Zugvögel

Man muss doch auch irgendwann nach hunderttausend Kilometern seine Wäsche waschen können. Alenka Maly über ein Linzer Durchreiseprojekt für Sinti, Roma und Jenische.

Immer finde ich das nie, protestiere ich innerlich, als ich zum vierten Mal wende und den Skoda in die nächste Wohnstrasse lenke. Verborgen am Stadtrand liegt der kleine Kindergarten, in dem KETANI – der oberösterreichische Verein für Sinti und Roma untergebracht ist.

Gitta Martl hat ihn vor 10 Jahren gegründet, ihre Tochter Nicole Sevik leitet ihn seit zwei Jahren.

Als ich endlich das Büro betrete und von den beiden Frauen und Nicoles zweijähriger Tochter Tuana begrüsst werde, befinde ich mich nicht mehr in einem Kindergarten, sondern in einer ganz anderen Welt. Wie es mit dem Projekt eines Durchreiseplatzes in Linz für Roma, Sinti und Jenische läuft, das sie mit den Fabrikanten bei Linz ´09 eingereicht haben, frage ich und schon befinden wir uns auf einer Reise durch die Geschichte der Sinti und Roma, erfahren Verfolgung, Ausgrenzung und Zusammenhalt. Wir machen gelegentlich Station beim Durchreiseplatz Linz und reisen weiter. Es hätte lange gedauert, erzählt Gitta, bis sie Linz als ihre Geburts- und Heimatstadt annehmen konnte. Wie ein Teenager an den Eltern hat sie sich an der Stadt gerieben, bis sie hier daheim war. Gegen die Eltern zu rebellieren liegt dagegen nicht in der Kultur der Sinti. Familie ist das Wichtigste. Elf Geschwister hat Gittas Mutter gehabt, alle sind von den Nazis ermordet worden. So wie neunzig Prozent ihrer Volksgruppe.

»Hast Du Hunger«, fragt sie mich,

und diese Frage hat hier eine ganz eigene Dimension. Bis 1985 war sie mit ihrer Familie unterwegs, jetzt wohnt sie in Linz. Sie vergleicht die Fahrenden gerne mit Zugvögeln. Wer wann wohin reist weiss man nicht, sie melden sich nicht an, sind über Nacht einfach da, ändern je nach Gegebenheit die Richtung, bleiben immer zusammen. Sie sitzen allesamt fest, wenn einer ins Krankenhaus muss, oder ins Gefängnis, wegen dem Gewerbeschein. Die Geschäfte gehen immer nur begrenzte Zeit, dann gibt es Probleme, aber jemanden zurück zu lassen kommt nicht in Frage. Die kleine Tuana fängt gerade in Romanes, Türkisch und Deutsch zu reden an. »Abi Wuda zu« kann sie schon sagen. Jedes Wort in einer ihrer Sprachen. Das wesentliche wäre, sagt Gitta, dass die Schulen von den Lagerplätzen aus gut zu erreichen sind. Sie mag es nicht, wie ihre Leute untergebracht werden, nahe dem Müll an den Ausläufern der Städte, ohne geeignete Infrastruktur. Man muss doch auch irgendwann nach hunderttausenden Kilometern seine Wäsche waschen können. Lediglich zwei Klohäusln, eins für Männer, eins für Frauen und das auch noch nebeneinander, das ist schrecklich für uns. Wir haben ein ausgeprägtes Schamgefühl, es ist ungeheuer peinlich wenn jeder mitbekommt wohin man geht. Wenn es eine richtige Toilettenanlage gibt, mit Duschen und Möglichkeit zum Wäschewaschen, können die Frauen diskret mit einem Handtuch oder mit Wäsche in die Anlage gehen.

Vermutlich wird sich Linz als Kulturhauptstadt mit ihrer Geschichte als Wunschtraum des Führers intensiv auseinandersetzen,

da wäre es als schöne Geste zu verstehen, wenn die Errichtung des Platzes für die Fahrenden ermöglicht würde. Es gibt einen Campingplatz am Pichlinger See, aber da ist man halt der Willkür des Pächters ausgesetzt. Wenn er schlecht ausgelastet ist lässt er drei, vier Familien rauf, nicht mehr, wegen der Vorbehalte der Erholungsuchenden. Die kann Gitta von deren Position aus gesehen ja verstehen. Ihre Leute leben dort Alltag. Die Urlauber liegen daneben im Bikini, inmitten von angezogenen arbeitenden Leuten, fühlen sich komisch und möchten eigentlich ihre Ruhe. Aber ob das nicht schon wieder Ausgrenzung ist, wenn man ihre Leute dann lieber wieder auf einem eigens für »Zigeuner« errichteten Platz unterbringt, will ich wissen. Das kann sein, sagt sie langmütig. Aber das Leben der Fahrenden geht weiter, sie können nicht darauf warten, dass die Menschen vielleicht eines Tages mehr Verständnis für sie haben. Es geht der Alltag weiter, es gehen die Probleme weiter, es müssen die Kinder in die Schule. Ein Durchreiseplatz in halbwegs zentraler Lage…

Dann läutet das Telefon.

Eine weinende 73 jährige KZ-Überlebende ruft an. Ihre KZ-Rente ist noch immer nicht bewilligt. KZ-Rente ist etwas anderes als Sozialhilfe, auch wenn sich die eine von der anderen in der Höhe der ausbezahlten Summe nicht unterscheidet. Aber in der Aussenwirkung und vor allem in der Wirkung auf einen selbst. Gitta und Nicole müssen arbeiten. »Abi Wuda zu« heisst »Bruder Türe zu« auf Tuanisch. Mit der Errichtung eines Durchreiseplatzes könnte man durchaus eine öffnen.

Alenka Maly ist Linzer Filmemacherin und Schauspielerin.

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