Im Herbst 1998 präsentierte Kunst-Staatsekretär Wittmann das „Weißbuch zur Reform der Kulturpolitik in Österreich“, kurz „Weißbuch Kultur“ genannt. Ehe der Entwurf einer vielköpfigen Arbeitsgruppe in die Endredaktion geht, soll er in allen Bundesländern breit diskutiert werden. Mit Robert Harauer, einem der Mitautoren, sprach Martin Lengauer.
von Martin Lengauer
Die von der KUPF mitveranstaltete oö. Weißbuch-Diskussion ging am 1. Dezember im Offenen Kulturhaus in Linz über die Bühne. Das Gespräch mit Robert Harauer fand bereits eine Woche vorher statt.
KUPF: Wie kam das Weißbuch Kultur eigentlich zustande? Harauer: Bundeskanzler Klima beauftragte im Vorjahr Staatsekretär Wittmann, ein Weißbuch (i. f. WB) zur Reform der Kulturpolitik zu erstellen. Die Organisation wurde der Kunstsektion im Bundeskanzleramt (BKA) übertragen. Sektionschef Mailath-Pokorny hat dann einige Experten für dieses Projekt eingeladen, um über die Gestalt des WB zu diskutieren. Vor allem sollten die verschiedensten Bereiche aus Kunst und Kultur im Redaktionsteam vertreten sein.
Von 29 Weißbuch-AutorInnen sind 26 institutionell an die Bundeshauptstadt gebunden. Das widerspricht jenen Kapiteln des WB, die eine Stärkung der Regionen einfordern. Der Frauenanteil der AutorInnen liegt bei 20 Prozent – und das, obwohl die strukturelle Benachteiligung von Frauen im Kulturbetrieb mehrfach im WB erwähnt wird. Warum? Zur Einladungspolitik des BKA kann ich nicht viel sagen. Das Ungleichgewicht zwischen Wien und den Bundesländern ist augenfällig, hat aber auch damit zu tun, daß die Leute in Wien besser für Sitzungen verfügbar sind.
Zum Inhalt des WB. Es ist in drei Teile gegliedert. Voran steht ein schlagwortartiger Abriß von allgemeinen Zielen, hintennach ein Reflexionsteil mit ein paar Aufsätzen zur Weiterentwicklung heimischer Kulturpolitik. Dazwischen ein umfangreicher Katalog von Maßnahmen zu einzelnen Bereichen der Kulturverwaltung. Besteht Kulturpolitik für das BKA in erster Linie in der Verwaltung? Das stimmt zum Teil, hängt aber mit der Arbeitsweise im AutorInnenteam zusammen. Es gab am Anfang Diskussionen, ob nicht vor dem Verfassen eines Weißbuchs ein grundsätzlicher kulturpolitischer Diskurs nötig wäre. Erst danach könnte man über Einzelmaßnahmen reden. Diese Diskussion wurde aber nicht weitergeführt. Offenbar bestand kein gemeinsames Interesse an einer solchen Vorgangsweise. Die Arbeitsgrundlage bildeten somit die von dem einzelnen Teilnehmern eingebrachten Forderungspapiere.
Kann man sich das so vorstellen: Der erste fordert mehr Geld für Computerkunst, die zweite für modernen Tanz und die dritte für Kunstvermittlung? Die Papiere waren zum teil sehr umfangreich. In gekürzter Form flossen sie dann in den Maßnahmenkatalog des WB ein. Daß der allgemeine kulturpolitische Diskurs zu kurz kam, ist sicher eine Schwäche des WB. Bei bestimmten Themen, z. B. bei der Ausgliederung der Kulturverwaltung, hat sich die fehlende Grundsatzdiskussion bemerkbar gemacht – die verschiedenen Auffassungen wurden nicht ausdiskutiert.
Was umso mehr verwundert, als sich einzelne Vorschläge diametral widersprechen. Während z. B. manche AutorInnen ein „new public management“ des kulturellen Sektors ohne staatliche Einmischung postulieren, betonen andere die kulturpolitische Verantwortung der öffentlichen Hand. Diskursscheu im BKA? Möglicherweise, aber man darf nicht vergessen, daß dieser WB-Entwurfes als Diskussionspapier gedacht war. So unkomplett der WB-Entwurf sein mag, das Positive daran ist, daß er auf möglichst breiter Basis diskutiert wird.
Im Vergleich zur Argumentation von Sparteninteressen, Fördermaßnahmen und Effekten nimmt sich die kultur- und gesellschaftspolitische Debatte im WB dennoch etwas dürftig aus. Gab es Direktiven, nicht allzu kulturpolitisch zu argumentieren? Nein. Das Manko der fehlenden kultur- und gesellschaftspolitischen Debatte liegt vor allem an der Arbeitsweise und Zusammensetzung der Arbeitsgruppe. Das betrifft vor allem den technisch-organisatorischen Bereich. Die darin erhobenen Forderungen sind mit einerkulturpolitischen Gesamtkonzeption nicht unbedingt kompatibel. Dazu kam das Problem, daß es in Österreich keine einheitliche Zuständigkeit für Kulturpolitik gibt. Die einzelnen Agenda sind auf verschiedenste Ministerien aufgeteilt. Das Bundeskanzleramt bzw. die Kunstsektion ist ja eigentlich nur die Kunstförderstelle des Bundes und hat per Kunstförderungsgesetz nur diesen einen Auftrag zu erfüllen. Daher ist es auch verständlich, daß die Beamten darauf geachtet haben, das Weißbuch aus einer Perspektive zu schreiben, die den Möglichkeiten der Kunstsektion entspricht. Trotzdem wurden Vorschläge zu anderen Bereichen aufgenommen, z.B. Medienpolitik oder Auslandskulturpolitik (diese ressortiert im Außenministerium, Anm. M. L.). Manche dieser eingebrachten Vorschläge tauchen allerdings in der vorliegenden Version des WB nicht mehr auf. Das hat einigen Unmut ausgelöst.
Wurden also einzelne kulturpolitischen Vorschläge aus dem WB herausredigiert? Sagen wir, das WB wurde auf den Zuständigkeitsbereich der Kunstsektion eingeschränkt. Wohl auch, um koalitionären Streitigkeiten zwischen einzelnen Ministerien vorzubeugen. Die Frage bleibt weiterhin zu stellen: Was soll überhaupt Agenda der Kulturpolitik sein?
Könnte die Diskussion des WB in dieser auch demokratiepolitisch wichtigen Frage etwas weiterbringen? Ich glaube nicht. Denn Demokratiepolitik interessiert in Österreich nur eine kleine Minderheit. Und – von personalisierten Debatten, z. B. über Hermann Nitsch, einmal abgesehen – will man auch keinen kulturpolitischen Diskurs in Österreich. Was umso absurder ist, als Kulturpolitik international einen immer größeren Stellenwert einnimmt, etwa in der UNESCO, dem Europarat, aber auch in der EU. Die Frage der demokratischen Ausgestaltung einer modernen Gesellschaft wird breit diskutiert, Kulturpolitik als Querschnittsmaterie ist integraler Bestandteil dieser Diskussion.
Daran gemessen ist der Titel des WB ziemlich anmaßend. Im vorliegenden Entwurf geht es um die Reform der Kunstförderung, nicht der Kulturpolitik. Richtig. Wobei auch in den heimischen Medien der kulturpolitische Diskurs auf personalisierte Kunstdebatten reduziert wird. Dem passt sich auch vielfach die Kulturberichterstattung in den Medien an, insofern ist das WB symptomatisch.
A propos Medien. Brisante medienpolitische Themen wie rückwirkende Kartellgesetze oder die Förderung nichtkommerzieller Medien wurden im WB bestenfalls angedeutet. Wollte man den Kuschelkurs zwischen Bundesregierung und KronenZeitung nicht kreuzen? Für eine kompetente Auseinandersetzung mit medienpolitischen Fragen saßen zum Teil die falschen Leute in der Arbeitsgruppe. Eine Thematisierung der fragwürdigen Medienlandschaft über die Kulturpolitik wäre zwar wünschenswert, aber die legistische Ausgestaltung notwendiger Reformen würde die Debatte zu sehr strapazieren.
Zum Thema Kulturinitiativen. Immer wieder wird von Seiten der Kunstsektion die Notwendigkeit einer Qualitätsprüfung ins Spiel gebracht. Wie kann man ohne kulturpolitischen Diskurs Kriterien für gute Kulturarbeit festlegen? Ich wüßte nicht, wie das geschehen soll. Ein Kriterium könnte die Einbeziehung der Bevölkerung sein. Kulturinitiativen mit Event-Character wären dann problematisch.
Dem widerspricht z. B. die Förderpraxis bei freien Radios. Kulturinitiativen, die das Medium Radio breiten Bevölkerungsschichten vermitteln wollen, erhalten keinerlei Strukturförderungen. Geld fließt nur, wenn man Kunstradio macht. Hier schlägt ein bißchen die Denkweise durch, daß für alles die öffentliche Hand zuständig ist. Im Gegensatz zu anderen Ländern fehlt in Österreich die Balance zwischen öffentlichem und privatem Sektor. Private Kapitaleigner übernehmen kaum zivilgesellschaftliche Verantwortung. Wobei ich nicht die neoliberale Interpretation von Zivilgesellschaft bedienen möchte, die nur vom Rückzug des Staates spricht. Mir geht es um die Weiterentwicklung eines modernen demokratischen Gemeinwesens, und genau dafür sind nicht nur staatliche Stellen sondern auch die Mitglieder der Gesellschaft verantwortlich. Besonders jene, die über genügend Kapital verfügen. Zivilgesellschaft hat auch mit kommunaler Verantwortlichkeit von Umternehme und Privaten zu tun.
Das Weißbuch kann kostenlos bestellt werden: Via Internet: www.austria.gv.at/weissbuchkultur Oder bei: IKP, Siebensterngasse 31, A-1070 Wien, tel: 01 / 524 77 90, fax: 01 / 524 77 90-5.
Robert Harauer ist seit 1996 Geschäftsführer von „Mediacult“, dem „Internationalen Forschungsinstitut für Medien, Kommunikation und kulturelle Entwicklung“ in Wien. Das Institut wurde vor 30 Jahren von der UNESCO mitbegründet und betreibt Forschungsarbeiten in den Bereichen Neue Medien, Weltmarkt Musik und Kulturpolitik.