Kulturpolitische Protokolle
Schwarzbücher erfreuen sich seit einigen Jahren ungebrochener Beliebtheit. Nun hat die edition selene eine Materialsammlung von Gerhard Ruiss und Ulrike Stecher zur österreichischen Kulturpolitik herausgegeben.
von Andi Wahl
Gerhard Ruiss, Schriftsteller, Schlagersänger, Vortragsreisender sowie Gelegenheitsschauspieler und -regisseur, ist seit 1982 Geschäftsführer der IG Autorinnen und Autoren und gilt als Galionsfigur aufmüpfiger Renitenz und fröhlichen Widerstands aus der Kunst- und Kulturszene. Ulrike Stecher ist literaturwissenschaftliche Mitarbeiterin der IG Autorinnen und Autoren. Der vorgelegte erste Band (weitere sind geplant), sammelt politische und kulturpolitische Ereignisse/Vorfälle/Skandale der 90er-Jahre in Österreich, Deutschland und der Schweiz, und stellt diese nach einer kurzen, meist sehr gelungenen Einführung anhand von Zeitungsartikeln, Petitionen, Schriftverkehr und Flugblättern dar. Das Buch eignet sich sehr viel besser zum Schmökern denn als Nachschlagewerk. Einerseits weil die Auswahl der Dokumente offenbar sehr subjektiv geschah (anzunehmen, dass sich Ruiss und Stecher hauptsächlich aus dem IG-eigenen Archiv bedienten) und andererseits, weil dem Buch zwar ein Personen-, nicht aber ein Sachregister angefügt wurde. Dieser formale Mangel zeigt sich vor allem, wenn man nach Texten zu bestimmten Ereignissen oder Organisationen sucht.
Beim Schmökern allerdings sind selbst altgediente KulturfunktionärInnen nicht vor einigen Aha-Erlebnisse gefeit. Sehr verdienstvoll ist die zusammenhängende Darstellung von Entwicklungsdynamiken anhand der Dokumente. Die Briefbombenserien, Zensurmaßnahmen an Theatern, die jahrelange „Verheimlichung “ des Staatspreises an Salman Rushdie, die zunehmende Erschwernis von Kulturarbeit durch die Steuer- und Abgabenpolitik, das politische Abtriften Österreichs nach Rechts und noch vieles, vieles mehr ist in diesem Sammelband nachgezeichnet. So werden Entwicklungslinien klar, und einiges erscheint der/dem interessierten LeserIn in einem klareren Licht. Dass sich Ruiss und Stecher vorwiegend auf eigene Archivbestände verlassen haben und keinen grösseren Rechercheaufwand betrieben haben, zeigt sich auch darin, dass Gerhard Ruiss mit 50 Nennungen in dem Buch nur von Peter Wittmann, mit 51 Nennungen, übertroffen wird – etwas abgeschlagen: Jörg Haider, 45. (Offensichtlich handelt es sich bei der österreichischen Kulturpolitik auf allen Seiten nach wie vor um ein Männer-business.) Bedauerlich ist der geringe (zusätzliche) Rechercheaufwand auch deshalb, weil einige „WiderstandsnesterÒ, wie etwa die KUPF in der Auseinandersetzung mit der FPÖ um 1995, noch einiges beizusteuern gehabt hätten. Dies würde das Bild der Wehrhaftigkeit der freien Kunst- und Kulturszene wesentlich bereichern.
Alles in allem ein schönes Buch voll Realsatire und manchmal erschreckender Dummheit, Ignoranz und Peinlichkeiten. Brauchbar. SCHWARZ.BUCH Kulturpolitische Protokolle, Band 1 Hrsg.: Gerhard Ruiss und Ulrike Stecher, Edition Selene Wien 2000, 563 Seiten, 402,- öS