Über das Menschenwerden …

Notizen über Affen, MigrantInnen und Kulturarbeit

 

Um über das gegenwärtige Verhältnis der österreichischen Gesellschaft zum Fremden in Hinblick auf Kulturpolitik zu sprechen, Forderungen zu stellen und Strategien vorzuschlagen, erscheint uns als aufschlußreich einen Blick in die Vergangenheit zu werfen. Da der Rahmen dieses Artikels keinen ausführlichen Bericht über diese Vergangenheit ermöglicht, beschränken wir unsere Rückschau auf einige der vergangenen europäischen kulturellen „Begegnungen“ mit dem Fremden.

von Rubia Salgado

„Wenn sie unsere Sprache nicht können, dann deswegen weil sie gar keine Sprache können“, dachte Columbus bei der „Begegnung“ mit den Menschen der „neu entdeckten“ Welt. Der eurozentristische Blick und die technische (besonders militärische) Überlegenheit der Europäer bestimmten die Begegnungen und die darauffolgende Entwicklung der Verhältnisse zwischen den selbsternannten Zivilisierten und fremdernannten Barbaren. In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts und zu Beginn des 19. Jahrhunderts fanden zahlreiche Forschungs- und Entdeckungsreisen statt. Die parallele Begleitung dieser Reisen waren die literarischen Darstellungen und Deutungen der außereuropäischen Kulturen, die eine Wahrnehmung und Beschreibung dieser Begegnungen vermittelten, wonach die kulturelle Alterität (Anders-Sein) unter dem Blickwinkel des verlorenen Naiven und Natürlichen (Rosseau, Schiller) zu verstehen war. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts sind als Folge der Exkursionen in das Fremde zahlreiche „Materialien“ nach Europa gebracht und hier ausgestellt worden: Abschriften, Zeichnungen, gefangene Einwohner der erforschten Gebiete … Über die nach Europa gebrachten Menschen schreibt Honold: „Die wie Tiere vermessenen und ausgestellten Bewohner fremder Erdteile erschienen ihren zahlenden Besuchern einerseits degradiert als Besitz und Beutestück, andererseits provokativ als ein im psychoanalytischem Sinne ÔunheimlicherÕ Faszinationspol.“

Noch bevor wir die gegenwärtigen Assoziationen und Überbleibsel dieser Vorgangsweise erwähnen, erweist sich eine Beschäftigung mit einem Text von Kafka als sinnvoll und erleuchtend. Es handelt sich in diesem Text um eine Parabel über den im eurozentristischen Sinn „menschenwerdenden Prozeß“. Es geht hier um die Rede eines Affen, der im afrikanischen Gebüsch vom Mitarbeiter einer deutschen Firma gefangen wurde, um nach Europa gebracht zu werden. Der Autor betitelt seine Erzählung „Bericht für eine Akademie“ und beginnt folgendermaßen: „Hohe Herren von der Akademie! Sie erweisen mir die Ehre, mich aufzufordern, der Akademie einen Bericht über mein äffliches Vorleben einzureichen. In diesem Sinne kann ich leider der Aufforderung nicht nachkommen. Nahezu fünf Jahre trennen mich vom Affentum, eine Zeit, kurz vielleicht am Kalender ermessen, unendlich lang aber durchzugaloppieren (…) Diese Leistung wäre unmöglich gewesen, wenn ich eigensinnig hätte an meinem Ursprung, an den Erinnerungen der Jugend festhalten wollen. Gerade Verzicht auf jeden Eigensinn war das oberste Gebot, das ich mir aufgelegt hatte; ich, freier Affe, fügte mich diesem Joch.“

Die Parallele zwischen der sarkastischen Parabel und der Situation von MigrantInnen, die sich der Aufgabe hingeben, auf dem europäischen/österreichischen Territorium Anerkennung zu verschaffen, erscheint uns unerläßlich. Hier herrschen zwei Maximen: Anpassung und die Prädestinierung, Stereotypen zu entsprechen. Zwei Maximen, die in einem ersten Blick als widersprüchlich gesehen werden könnten, die jedoch in der Logik der Dominanzkultur eine ergänzende Funktion besitzen und den Zusammenhang zwischen Rassismus und Exotismus beispielhaft darstellen. Die nur scheinbar widersprüchliche Verbindung zwischen Degradation und Faszination wird fortgesetzt.

Fordern wir Anerkennung?

„(…) ich, freier Affe, fügte mich diesem Joch“, sagt der Affe aus der Kafkas Erzählung. Das Adjektiv „frei“ verlangt an dieser Stelle eine nähere Auslegung. Warum frei, wenn er doch gefangen worden ist? Wo befindet sich die Grenze zwischen Freiheit und Unterwerfung? Ist der Akt, Anerkennung zu verschaffen, ein Akt der Unterwerfung oder der Freiheit? Noch in einer Kiste eingesperrt und auf dem Weg nach Europa denkt der Affe: „Ich hatte keinen Ausweg, mußte mir ihn aber verschaffen, denn ohne ihn konnte ich nicht leben. Immer an dieser Kistenwand – ich wäre unweigerlich verreckt. Aber Affen gehören bei Hagenbeck an die Kistenwand – nun, so hörte ich auf, Affe zu sein.“ Einen Ausweg zu finden ist Teil einer Überlebensstrategie, und in diesem Zusammenhang wird nicht über Freiheit gesprochen: „Nein, Freiheit wollte ich nicht. Nur einen Ausweg (…)“ „Ich wiederhole: es verlockte mich nicht, die Menschen nachzuahmen; ich ahmte nach, weil ich einen Ausweg suchte (…) Als ich in Hamburg dem ersten Dresseur übergeben wurde, erkannte ich bald die zwei Möglichkeiten, die mir offen standen: Zoologischer Garten oder Varieté.“

Zwei Möglichkeiten: exotisches Tier oder bewundernswert assimiliertes und angepaßtes Tier. Das Prädikat ändert sich je nach Situation. Das Subjekt bleibt jedoch gleich: ein Wesen nicht-menschlicher Natur. Diese von Kafka als zwei untereinander ausschließliche Möglichkeiten erleben MigrantInnen, wie oben bereits erwähnt, oft als zwei Seiten einer gleichen Aufforderung, die uns MigrantInnen einen Ausweg versprechen. Einerseits widerspiegeln wir die Bilder, welche uns zugeschrieben werden. Eine Haltung, die oft als ein Akt der Selbstrepräsentation (meistens in der Form von Folkloredarstellungen) vermittelt und sogar erlebt wird. Außerhalb der Rahmen dieser oft vorgetäuschten Selbstrepräsentationsmöglichkeit müssen wir uns anpassen. Eine Haltung die von Abhängigkeit gekennzeichnet ist, und die zum Zweck des Auflösen der Differenzen dient. Sowohl die Darstellung des Exotischen als auch das „Aufgeben“ der Differenzen werden in diesem Zusammenhang oft als Währung eingesetzt, mit welcher der Preis für die so gepriesene Integration bezahlt wird.

Aber abseits dieses Auswegs entwickeln sich bereits Prozesse unter den MigrantInnen, bei welchen sich verschiedenen Möglichkeiten entfalten. Eine dieser Möglichkeiten besteht darin, aus der passiven Rolle herauszukommen, indem das System nicht mehr fatalistisch sondern kritisch betrachtet wird; indem Vernetzung und Organisationsformen entwickelt werden, um Strategien und Alternativen zu suchen, die den MigrantInnen ermöglichen, als ProtagonistInnen zu agieren und somit eine aktive Rolle auch im Kulturbereich zu übernehmen. Es wird sich ebenfalls als notwendig erweisen, einen Diskussionsprozeß zu führen, bei welchem Begriffe wie z.B. Herkunftskultur und kulturelle Identität, die eine Auffassung von Kultur als etwas Statisches beinhalten, kritisch untersucht werden. Es geht weiters darum, im Bewußtsein der Differenzen und der Machtgefälle, unsere Rechte zu fordern, Raum zu besetzen und in einer dialogischen Bewegung eine Kulturpolitik zu realisieren, an welcher die MigrantInnen als Akteure teilnehmen können. Eine Kulturpolitik,

  • die nicht nur eine gleichberechtigte Förderung, sondern auch eine kulturpolitische und
  • die eine förderpolitische Bevorzugung von kultureller Betätigung von MigrantInnen ermöglicht;
  • auch für Beiträge, die nicht ausschließlich als Folkloredarstellungen konzipiert werden;
  • die Raum für kulturelle Betätigungen ermöglicht, die sich nicht ausschließlich an die Angehörigen unserer „Communities“ richten;
  • die Entfaltung kultureller und künstlerischer Initiativen von MigrantInnen fördert, die Rahmen und Barrieren zu sprengen vermögen, ohne Differenzen auszulösen;
  • die sich auch zu ethnischen Unterschiedlichkeiten bekennt, Vernetzung von Kulturvereinen von MigrantInnen fördert und unterstützt;
  • die die Entwicklung von Kultur- und Kunstvermittlungskonzepten unter der Mitwirkung von MigrantInnen unterstützt;
  • die verschiedenen Volksgruppen den Zugang zu kulturellen Angebote ermöglicht;
  • die kulturelle Beiträge von sozial benachteiligten Gruppen als solche anerkennt und sich gegen die Einschränkung dieser Betätigungen auf den Sozialbereich positioniert;
  • die das Recht auf Mitgestaltung und Mitwirkung in Entscheidungsprozessen im Kulturbereich für MigrantInnen anerkennt.

 

Alexander Honold, Das Fremde verstehen – das Verstehen verfremden: Ethnographie als Herausforderung für Literatur- und Kulturwissenschaft. TRANS 1 (1997) http://www.adis.at/arlt/institut/trans/1Nr/honold.htm Franz Kafka, Die Erzählungen und andere ausgewählte Prosa. Fischer Verlag (1998).

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