Plädoyer für mehr Fluortabletten! Zitatenschwangere Gedanken zu einer Konferenz.
Die Konferenz der IG-Kulturzum sektor3/kulturvom 31. 3. Ð 2. 4. hat sicher einiges zur Klärung beigetragen. Zur Klärung dessen, was unter dem Begriff der Zivilgesellschaft und dem noch ominöseren des dritten Sektors zu verstehen ist. Daß die Konferenz sich aber nicht im Leitsatz „Sie sind doch philosophisch gebildet“ verlor, sondern den praktischen Umsetzungsstrategien viel Augenmerk widmete, ist es zu verdanken, daß die von Gerald Raunig gewünschte „posteuphorische Nachhaltigkeit“ zumindest beim Autor noch nicht verklungen ist.
von Stefan Haslinger
Es lag etwas Kämpferisches in der Luft. Etwas, das motiviert und beflügelt. Aber auch etwas, das den schalen Nachgeschmack hinterläßt: „Schaffen wir das jemals?“. sektor3/kultur als Kampfbegriff der „neuen Zivilgesellschaft“ wurde ausgerufen. Als Kampfbegriff, der schon durch seine Proklamation einen Begriff besetzt bzw. zurückerobert. Dies ist auch eine der Strategien, die, wie Oliver Marchart bei seinem Referat ausführte, relevant ist, um die gegenwärtige Politisierung und den erstarkten Widerstand halten zu können. Gerade der Kulturarbeit als „freie Opposition“ kommt hierin eine wesentliche Aufgabe zu, da sie das symbolische Kapital „verwaltet“ bzw. zur Verfügung stellt, das als Legitimationsgut für die Mächtigen dient. Daraus zu schließen, daß widerständiges Agieren dem kulturellen Sektor immanent ist, wäre sicher zu euphorisch.
Kultur(arbeit) war aber immer schon eines jener Felder, auf welchem gesellschaftliche Konflikte ausgetragen wurden. Nach Boris Buden zu schließen, wurde aber der jetzt existierende (bzw. neu erwachte) gesellschaftliche Konflikt vor allem von der Linken in Österreich zum Zwecke der Pazifizierung auf die Kultur übertragen. Das hierbei aufgetauchte Problem ist aber, daß der Konflikt als etwas künstlich generiertes gesehen werden muß und der Kultur jede Subversionskraft abhanden gekommen ist. Die Zivilgesellschaft (der 3. Sektor) ist nach Buden zu einem Kontrollorgan – einem Wachturm – geworden und übt diese Rolle aus. Die Frage, die offen bleibt ist, in welchem Auftrag dies geschieht und wer die Befehlshaberinnen sind.
Dieser Umstand des „Kontrollorgan sein“ bedingt jene Definition des 3. Sektors, daß er einen Raum außerhalb von Markt und Staat darstellt – sozusagen den Big Brother! Sollten aber Systeme nicht von innen verändert werden? Durch die Ausübung einer Kontrollfunktion nimmt sich die Zivilgesellschaft sehr schnell aus der Handlungsrolle, aus dem Feld des aktiven Eingreifens heraus. Die Zivilgesellschaft soll – und das war auch die Grundthese des Referates von Renata Salecl – nicht einen Bereich außerhalb des staatlichen Zugriffes suchen. Vielmehr muß sie die direkte Konfrontation suchen. Hierbei geht es wiederum um das Besetzen von Begriffen. Denn die Neue Rechte schafft sich ihre eigene Zivilgesellschaft innerhalb des Staates nach ihren ideologischen Denkmustern und öffnet Identifikationsräume. Und genau jene Räume müssen von der Kultur durch politische Aktionen zurückgewonnen werden, auch um Alternativen zu einer kapitalistischen Gesellschaft aufzuzeigen.
Was es also zu suchen gilt, sind die Tragflächen für den Transport der Politisierung. Daß hierbei die (freien) Medien den entscheidenden Part übernehmen, liegt auf der Hand – es bedarf aber auch ihrer Nutzung und der Schaffung partizipatorischer Zugangsmöglichkeiten. Das Angebot dieses Zugangs stellt für Fiona Steinert von Radio Orange eine „Dienstleistung an der Öffentlichkeit dar, die der Staat nicht wahrnimmt und deshalb fördern muß“. Durch die Schaffung von Artikulationsforen gelingt es dem Radio, spezifische Öffentlichkeiten herzustellen und an der Vernetzung von partikulären Interessen zu arbeiten. Da dadurch die „normale“ Politik nicht „gerettet“ werden kann/soll, sich aber innerhalb der Gesellschaft (die ja nicht in einem politikfreien Raum agieren kann) die Auseinandersetzung und das Erlernen von Konfliktkultur bildet, bleibt es dem widerständigen 3. Sektor nicht erspart, neue Medien zu erschließen und zu nutzen. Diese Medien müssen – nach Robert Zöchling – als Antagonismen zu den „gängigen“ Medien fungieren. Gerade durch die Schaffung neuer Medien kann der parteipolitischen Vereinnahmung der Zivilgesellschaft – und der Frustration, die sich ob konkreter Interventionen, die dann doch ins Leere gehen – entgegengehalten werden.
Auch in weiteren Beiträgen (von Marie Luise Angerer & F.E. Rakuschan) ging es darum, die Relevanz der Medien für die Politisierung spürbar zu machen, „die Phantasmen des Netzes mit politisch-sozialen Strategien in Beziehung zu setzen“ (M.L. Angerer). Was aber direkt anschließt ist, daß der Umgang mit den Medien und dadurch auch mit der Öffentlichkeit neu gelernt werden muß. Das erlernte Verständnis von Öffentlichkeitsarbeit führt sich angesichts der Ist-Situation – in welcher es vor allem darum gehen muß, Öffentlichkeit herzustellen – ad absurdum. Auf das Herstellen von Öffentlichkeit und die Besetzung von spezifischen Räumen bezog sich Juliane Alton in ihrem Referat. „Straßen, Plätze, ehemalige Fabriken und Ausstellungsräume von Autohändlern bieten Möglichkeiten der öffentlichen Auseinandersetzung…“. Durch das Schaffen neuer Räume kann es auch gelingen, die etablierten Repräsentationsflächen zu entziehen.
Die Verweigerung der Preisgabe dieser Flächen ist einer der zentralen Punkte bei der Diskussion um die Strategien und Maßnahmen, die gegenüber dem „Staat“ zu treffen sind. Schwieriger zu klären war da schon die Frage nach der Autonomie der Zivilgesellschaft von öffentlichen Förderungen. Die Idee der Selbstfinanzierung wurde des öfteren am Beispiel des Inserates in der Herald Tribune aufgehängt (wobei ich dies nicht als das beste Beispiel für konkrete Intervention anerkennen will). Es könnte also theoretisch möglich sein, daß sich sektor3/kultur aus sich selbst finanziert. Daß dies aber mehr im Feld der „präeuphorischen Utopien“ angesiedelt ist, führte Rolf Schwendter aus, da zuallererst „eine Grundsicherung, die diesen Namen auch verdient“ für den 3. Sektor geschaffen werden muß. Er sieht viel mehr die Chance des 3. Sektors in seiner Vernetzung und dem vehementen öffentlichen Lobbying denn „kulturpolitische Forderungen haben schließlich mehr Chance auf Durchsetzung, wenn sie nicht nur von Kulturschaffenden erhoben werden.“
Beim sonntäglichen Abschlußpodium war der Grundtenor „Beißt die Hand die euch füttert“. Aufgrund der in der Volksschule erhaltenen Fluortabletten, die das kraftvolle Zubeißen verstärken sollten, so Martin Wassermair, dürfte der sektor3/kultur auch genügend Bißkraft besitzen. Wassermair gab zum Abschluß noch einmal die Losung aus: „sektor3/kultur versteht sich als ein kulturpolitischer Kampfbegriff gegen Neoliberalismus und eine entfesselte Marktwirtschaft, gegen soziale Ausgrenzung und gegen jede Form der politischen Bedrohung von Kunst und Kultur, von Menschenrechten, Meinungsfreiheit und Demokratie!“ sektor3/kultur 30. 3. – 2. 4. 2000, Kunsthalle Exnergasse (Wuk) Wien Die Dokumentation zur Konferenz erscheint diesen Frühsommer