Lernkultur

„Ich kann nicht zeichnen“, sagt sie, entschuldigt sich für ihre vermeintliche Kritzelei. Vor mir steht ein Mensch mit mindestens acht Jahren Schulerfahrung. Ich stelle mir vor, wie gleichaltrige Schüler*innen Deutschlehrer*innen anflehen: „Ich kann einfach nicht schreiben.“ Oder in Mathematik um Nachsicht bitten: „Addieren ist leider nicht mein Talent.“ Bestimmt entgegnen die Lehrer*innen dann: Schreiben und Rechnen könne man lernen. Zeichnen etwa nicht?

Musiklehrer*innen absolvieren ebenso wie Kunstlehrer*innen eine Aufnahmeprüfung und stellen so bereits zu Beginn der Ausbildung ihre fachliche Eignung unter Beweis. In anderen Lehramtsstudien geht man hingegen davon aus, dass die Studienanfänger*innen sich schon eignen und – viel wichtiger – im Verlauf des Studiums weiterbilden und weiterentwickeln werden. Also lernen werden. 

Dem gegenüber steht der Geniekult: Entweder man kann es – oder man kann es nicht. Im Eignungsverfahren wird ausgesiebt. Zufälligerweise können es, historisch betrachtet, meist Männer aus Akademiker*innenfamilien. In den Theoriekursen an Kunstunis lernen Studierende Methoden der Dekonstruktion und die romantische Vorstellung von genialen Künstlern (und eher nicht -*innen) zu hinterfragen. 

Doch wie bauen Schüler*innen Kompetenzen im visuellen Gestalten auf? Kolleg*innen und ich lesen das heute in der Fachliteratur nach, weil es nicht im Studienplan stand. 

Wie Kinder generell lernen, sollten Lehrer*innen bei Kindergartenpädagog*innen erfragen. Sie wissen nämlich: Schablonenarbeit muss weg! Kinder sollen sich individuell entfalten – kreativ, analytisch, sprachlich. 

In Kindergärten fehlen die Mittel für die Umsetzung dieser hehren und entwicklungspsychologisch gestützten Ziele. Mehr Ressourcen gibt es spätestens in den Oberstufen. Doch dort heißt es: Lehre, prüfe und beurteile! In den Schularbeitsfächern machen Lehrende Druck und die Schüler*innen liefern Leistungen ab. In den kreativen Fächern bieten Lehrpersonen Entspannung und die Schüler*innen atmen durch. Das Lernen verkommt in Kunst, wenn überhaupt, zum Nebeneffekt. Dabei gäbe es in allen Fächern gleichermaßen zu lernen – und kreative Muße benötigen auch Deutsch und Mathe.

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