Konkurrenzdenken überwinden

Marlene Streeruwitz plädiert für das Erlernen von Teilnahme und Selbstachtung.

Ich würde sehr gerne zu Theaterproben gehen. Ich würde sehr gerne sagen, heute gehe ich zur Nachmittagsprobe im Theater XY und schaue mir an, wie weit die da in den Proben zum Stück YZ gekommen sind. Ich gehe zu Gerichtsverhandlungen. Ich würde sehr gerne in den Eingangshallen zu Krankenhäusern und Altenheimen sitzen können und in abstinenter Teilnahme wissen, wie gelebt wird. Ich möchte an Schulstunden teilnehmen und in der Universität vorbeischauen. Ich kann mich in manche Bibliotheken setzen und lesen. Das ist aber nicht selbstverständlich. Ich möchte Konzertproben anhören können. Ich möchte teilnehmen. Das hieße, den Begriff vom öffentlichen Raum neu zu bedenken. Eine solche Teilnahme hieße auch, die Vorstellung vom kulturellen Ereignis als Fertigprodukt abzubauen und die Entstehung zu betonen. Insgesamt. Mir ginge es um Teilnahme und Mitbestimmung. Die Anwesenheit von Publikumspersonen sollte anregend aufgefasst und nicht als Störung angesehen werden. Diese Sicht kommt ja auch aus dem Feudalen als Publikum, dem etwas serviert wird und das darüber das übliche Urteil fällen darf. Diese Sicht kommt auch aus der Anordnung etwa der Theaterprobe in der Form der sentimentalen Familie, in der eine väterliche Figur, die auch eine Frau sein kann, über Untergebene bestimmt. Der öffentliche Blick auf solche Vorgänge müsste Erhellung mit sich bringen. Auflösung der immer noch gewaltsamen Strukturen durch Öffnen der geheimen Räume. Es wird in jedem Fall notwendig werden, das, was wir heute Publikum nennen, anders zu benennen und das Stockmassendasein so aufzulösen, dass das Still-Entgegen-Nehmen des Kunstereignisses durch Teilnahme an der Entstehung eben zu Teilnahme werden könnte. Und. Keine Expertise würde dadurch geschmälert. Im Gegenteil. Und natürlich müssten alle Teilnehmenden die jeweiligen Projekte fördern. Wie das gehen könnte, das wären die Einstiegsprojekte in eine solche demokratisierte Kulturwelt. Es würde nicht um Konkurrenz gehen können. Es müsste die Erhaltung des Selbstwerts aller Beteiligten verhandelt und zumindest erhalten werden. Der Gewinn aus solchen Unternehmungen wäre ja die Steigerung des demokratisch gedachten Selbstwerts. Und in einem besitzlosen Umgang mit den zu bearbeitenden Sinneinheiten könnte das auch gelingen. Und wieder natürlich. Wir sind von solchen Möglichkeiten so weit entfernt, wie es gelingt, jeder Person das Recht und die Pflicht zur Selbstachtung vermittelt zu haben und das jeweilige Projekt als Mittelpunkt der Bemühungen festgelegt zu haben. Und ohne hierarchische Führung sollte die Frage der Konkurrenz bearbeitbar werden.

Im Februar 2022 hat Marlene Streeruwitz eine Keynote für das NÖKU-Kulturvermittlungs-Symposium UNLEARNING – Praktiken und Begegnungen des Verlernens verfasst. Darin beschreibt sie ausführlich mögliche und notwendige Veränderungen der Welt. Teil davon ist auch dieser Auszug.

Die gesamte Keynote online unter marlenestreeruwitz.at


Zuletzt erschienen:

Marlene Streeruwitz: Geschlecht. Zahl. Fall. Vorlesungen 2021. S. Fischer 2021, 134 Seiten.

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