Seit einem guten Jahr wird Wels nun von einem FPÖ-Bürgermeister und einer blau-schwarzen Koalition regiert. Bereits vor der Wahl hat diese Aussicht jenem Teil der Bevölkerung, der sich als tolerant, solidarisch und progressiv versteht, die Sorgenfalten ins Gesicht getrieben. Doch wie steht es um die Stadt ein Jahr nach dem Wechsel an der Regierung?
Offensichtlichster Effekt des Machtwechsels ist die erhöhte mediale Aufmerksamkeit, welche die Traunstadt in den vergangenen Wochen und Monaten erfahren hat. Nicht nur die österreichischen Tageszeitungen informieren ausführlich über stadtpolitische Entwicklungen, auch internationale Medien beschäftigen sich neuerdings mit der „blauen Musterstadt“. Worüber sie berichten ist eine Politik, die sich im Wesentlichen durch rigorose Einsparungen vor allem im Sozial-, Bildungs- und Kulturbereich manifestiert. Über konkrete Maßnahmen, wie die allgemeine zehnprozentige Reduktion der Ermessensausgaben, die personellen Kürzungen bei den Kindergärten, die Streichung der Wohnkostenförderung für junge Familien und AlleinerzieherInnen und die Schließung der Jugendherberge kann an entsprechender Stelle ausführlich nachgelesen werden. Abgesichert werden diese Entscheidungen, indem sie als Umsetzung eines homogen imaginierten „Volkswillens“ stilisiert werden. Dieser wird entweder einfach behauptet oder durch pseudodemokratische Verfahren, etwa in Form der Bürgerumfrage zur „Struktur- und Aufgabenreform“, bei der es sich letztlich um eine nicht repräsentative Meinungsumfrage mit 15%iger Beteiligung handelte, festgestellt. Auch hierzu wurde landesweit umfassend berichtet. Diese Art von antipluralistischer Sparpolitik wurde in einem Beitrag im druckaecht, der Vereinszeitung des Kulturvereins waschaecht Wels, treffend als „neoliberalen Populismus“ tituliert.
Jenseits konkreter Maßnahmen sind für die Analyse der politischen Veränderungen in der Stadt aber auch „weiche“ Parameter wie der Politikstil und das daraus entstehende gesellschaftliche Klima beachtenswert. Um dies einordnen zu können, hilft ein kurzer Ausflug ins Akademische. In seinem Hauptwerk “Faktizität und Geltung” beschreibt der deutsche Sozialphilosoph Jürgen Habermas die Idee, dass in modernen Gesellschaften nur das Gesetz werden soll, was zuvor in einem rationalen Diskurs verhandelt wurde. Genau konträr dazu stehen die Handlungen der FPÖ: Nicht über einen rationalen Diskurs, sondern über die Aktivierung von Emotionen wird hier Politik gemacht. „Postfaktisch“ lautet das Modewort für einen derartigen Stil, der unreflektierte Meinungen über sachliche Argumente stellt. In Wels wurden deshalb etwa Bildungsfragen eben nicht im entsprechenden Ausschuss und Verkehrsfragen nicht durch ein deliberatives Verfahren unter Einbindung von ExpertInnen und AnrainerInnen entschieden, sondern über die genannte Umfrage. Im Sinne der Postfaktizität bleibt dadurch neben der höheren Qualität der Entscheidung auch die verstärkte Einbindung der Bevölkerung in die Politikgestaltung bloße Illusion.
Und auch die Habermas’sche “Geltung” verkehrt sich in der freiheitlichen Politik zusehends zur „Vergeltung“. Dies bezieht sich auf die Selbststilisierung der FPÖ als Opfer, wahlweise etwa der etablierten Parteien und deren VertreterInnen, der „linkslinken Gutmenschen-Schickeria“ oder einfach abstrakt der „Political Correctness“. Dies zeigt sich etwa bei der Postenbesetzung durch die neue Bürgermeisterpartei. So wurden die mit Gestaltungsmacht ausgestatteten Stadtsenatsposten unter den neuen RegierungspartnerInnen aufgeteilt und die Konkurrenz mit Orchideenressorts abgespeist. Ebenso umgefärbt wurde der höchste Verwaltungsposten im Magistrat, der nunmehr von einem deutschtümelnden Burschenschafter besetzt ist. Der so oft propagierte „neue Politikstil“ der FPÖ, der sich gegen den Proporz wendet, zeigt sich hier, wie schon zur Jahrtausendwende auf Bundesebene, jedenfalls nicht. Und auch in der Interaktion mit unliebsamen Institutionen außerhalb der Parteipolitik scheint seit dem Regierungswechsel ein Konzept von Vergeltung vorzuherrschen. Auseinandersetzungen werden nicht mehr im Sinne der Formulierung von Bedürfnissen und Möglichkeiten geführt, sondern entlang der Durchsetzung von juristisch festgelegten Pflichten, wenn dies der „Sühne“ von angeblich bestehendem Unrecht dient.
Was also bleibt von einem Jahr FPÖ-Regierung in Wels? Neben empfindlichen finanziellen Kürzungen in jenen Bereichen, deren Existenz von öffentlichen Förderungen abhängig ist, bleibt vor allem die Entstehung eines belasteten Politikklimas deutlich spürbar. Es ist ein Klima, das von überwiegend negativen Emotionen beherrscht ist und das Konfrontation über Kooperation, Ressentiments über Argumente stellt. Etwas überspitzt könnte man sagen: Ja, wir leben noch, aber es macht deutlich weniger Spaß als zuvor.