EU-Urheberrecht: „Vorschlag von zweifelhafter Qualität“

Ein neues Urheberrecht wird derzeit im EU-Parlament verhandelt. Das aktuelle genügt der digitalen Entwicklung nicht mehr. Die deutsche Piratenabgeordnete Julia Reda war Berichterstatterin des EU-Parlaments zur Evaluation der bestehenden Urheberrechtsrichtlinie. Unser Netzkolumnist Leonhard Dobusch hat sie für die KUPFzeitung befragt.

Leonhard Dobusch: Liebe Julia, als vor gut einem Jahr Dein Reda-Report zur Lage des EU-Urheberrechts im EU-Parlament mit großer Mehrheit verabschiedet worden war, gab es durchaus Hoffnung auf Verbesserungen. Auch wenn der Bericht ein Kompromiss war, die Richtung hat gestimmt. Jetzt, angesichts der Vorlagen der EU-Kommission zum Urheberrecht macht sich Ernüchterung breit. Statt Harmonisierung ist plötzlich sogar von einer EU-Version des in Deutschland gescheiterten Leistungsschutzrechts für Presseverleger die Rede und private Rechtsdurchsetzung auf Plattformen wie YouTube soll verschärft werden. Ist der Kampf um ein zeitgemäßes Urheberrecht schon verloren, bevor er richtig begonnen hat?

Julia Reda: Ich denke, so wie der Vorschlag jetzt auf dem Tisch liegt, kann er auf keinen Fall verabschiedet werden. Die Kommission hat die Position des Europaparlaments weitgehend ignoriert. Zum Beispiel hat sich das Parlament sehr kritisch zum Leistungsschutzrecht geäußert. Insofern ist es erstaunlich, dass die Kommission genau den gegenteiligen Weg eingeschlagen hat. Andererseits würden sich natürlich diejenigen über ein vollständiges Scheitern freuen, die von Anfang an versucht haben, eine Urheberrechtsreform zu sabotieren.

Warum würden die sich freuen, was sind die positiven Punkte im Kommissionsentwurf?

Es gibt eher positive Vorschläge zu Text- und Data-Mining, zur Verwendung von urheberrechtlich geschützten Inhalten zu Bildungszwecken und auch für Bibliotheken. Aber selbst diese beschränken sich auf Minimalforderungen. Unsere Aufgabe im Europaparlament wird deshalb sein, die Vorschläge zum Leistungsschutzrecht und zur Content-Filterung zu entfernen und gleichzeitig Punkte, die im Reda-Bericht schon konsensfähig waren, wieder in den Gesetzesentwurf einzufügen. Das wird aber natürlich deutlich schwieriger sein, als wenn die Kommission von vornherein Impulse aus der Debatte aufgenommen hätte.

Interessant ist, dass auch die Konsultationsergebnisse der Kommission kaum eine Rolle zu spielen scheinen. Es gab zum Beispiel eine eigene Konsultation zur Panoramafreiheit, also dem Recht, Fotos von Gebäuden und Kunstwerken im öffentlichen Raum frei online verbreiten zu dürfen. Im Entwurf wird Panoramafreiheit aber nur in einer einzigen Fußnote erwähnt. Müssen sich da nicht die Teilnehmerinnen und Teilnehmer an der Konsultation verschaukelt vorkommen?

„Es wird immer schwieriger, die Leute davon zu überzeugen, sich an Konsultationen zu beteiligen, wenn die Ergebnisse so ignoriert werden.“

Es wird immer schwieriger, die Leute davon zu überzeugen, sich an Konsultationen zu beteiligen, wenn die Ergebnisse so ignoriert werden. Gerade für die Panoramafreiheit haben sich sehr viele Leute ausgesprochen und auch zum Leistungsschutzrecht gab es eine ganze Menge kritischer Stimmen, die letzten Endes in der Auswertung nicht berücksichtigt wurden. So trägt die Kommission zur Politikverdrossenheit bei, gerade in einem Bereich, wo die Leute sich mehr europäische Initiativen wünschen wie bei Panoramafreiheit oder dem Ende von Geoblocking in der EU.

Das Ende von Geoblocking, also der Sperrung des grenzüberschreitenden Zugangs zu Inhalten innerhalb der EU, war von Digitalkommissar Oettinger explizit versprochen worden.

Inzwischen gibt es drei verschiedene Verordnungsvorschläge, die sich aus unterschiedlichen Perspektiven mit dem Geoblocking beschäftigen. Allerdings ist die Kommission vor dem Druck der Industrie eingeknickt und lässt jene Bereiche des Geoblockings außen vor, die Verbraucherinnen und Verbraucher am meisten nerven. Die Portabilitätsverordnung, die schon vor der Verabschiedung steht, wird es legalen AbonnentInnen von Streamingdiensten wie Netflix erlauben, diese auch zu nutzen, wenn sie temporär ins Ausland reisen. Das hilft allerdings denjenigen nicht, die von vornherein in einem Land leben, in dem das Angebot wesentlich kleiner ist. Vor allem betroffen sind Menschen, die sprachlichen Minderheiten angehören und für die es in ihrem eigenen Land nicht unbedingt attraktive Angebote gibt, im Nachbarland aber vielleicht schon. Komplett umgefallen ist die Kommission bei On-Demand-Angeboten von Filmen und Videospielen, die vom europäischen Binnenmarkt weiterhin quasi ausgenommen bleiben.

Gibt es wenigstens im Bereich des Flickenteppichs an Ausnahmebestimmungen Bewegung hin zu mehr Harmonisierung?

Nein, geplant ist keine Harmonisierung bestehender Schranken, sondern die Einführung zusätzlicher verpflichtender Schranken. Also das bedeutet, wenn jetzt Großbritannien eine Text- und Data-Mining Schranke hat, die in gewisser Hinsicht weiter geht als die europäische, dann dürfen sie das beibehalten. Das heißt also, selbst durch diese verpflichtenden Schranken wird es nicht zu einer Harmonisierung kommen.

„Top-Priorität hat für mich tatsächlich, das Leistungsschutzrecht und die Content-Filter-Pflicht zu verhindern.“

Wie sehen Deine weiteren Prioritäten aus, geht es eher darum, das EU-Leistungsschutzrecht zu verhindern oder eher darum, Verbesserungen in den Entwurf zu verhandeln?

Die Top-Priorität hat für mich tatsächlich, das Leistungsschutzrecht und die Content-Filter-Pflicht zu verhindern. Denn mit dem Leistungsschutzrecht würde ein neues Schutzrecht eingeführt, das per Richtlinie alle Mitgliedstaaten zwingt, dieses Schutzrecht in ihr jeweiliges nationales Recht zu übernehmen. Und wenn wir schon Schwierigkeiten damit haben, das deutsche Leistungsschutzrecht wieder abzuschaffen, dann kann man sich vorstellen, wie schwierig es wäre, ein gescheitertes europäisches Leistungsschutzrecht wieder rückabzuwickeln. Es würde dann nämlich nicht nur reichen, diese Richtlinie zu einem späteren Zeitpunkt zu ändern oder zu streichen, sondern man müsste aktiv die Mitgliedstaaten dazu bringen, ihre nationalen Gesetze wieder zu ändern.

Und wo liegt das Problem bei der Content-Filter-Pflicht?

Bei der Content-Filter-Pflicht wird in ganz elementare Grundrechte eingegriffen. Der Richtlinienentwurf sieht vor, dass Online-Plattformen proaktiv verhindern müssen, dass User bestimmte urheberrechtlich geschützte Inhalte überhaupt hochladen. Das ist aber nur durch eine Vorabkontrolle von hochgeladenen Inhalten zu erreichen.

Aber auch die anderen Vorschläge haben ihr Tücken, oder?

Eigentlich hat fast jeder Artikel des Richtlinienentwurfs das Potential, die Situation zu verschlechtern. Beim Text- und Data- Mining besteht die Gefahr, dass man durch eine zu eng gefasste Schranke die Lesart zementiert, dass Text und Data Mining eine urheberrechtsrelevante Handlung ist. Bei den Regelungen zu vergriffenen Werken wird eine Definition von vergriffenem Werk eingeführt, die gute Praxis in Mitgliedstaaten in Frage stellt. In Deutschland ist es so, dass alle Bücher, die vor einem bestimmten Datum in den 60er Jahren veröffentlicht wurden, als vergriffen gelten und dementsprechend auch über ein vergütetes Verfahren digitalisiert werden dürfen. Wenn man jetzt eine Einzelfallprüfung vorsieht, besteht die Gefahr, dass dadurch noch weniger erlaubt ist als bisher schon. Und selbst bei der Bildungsschranke droht durch den Lizenzvorbehalt die Gefahr, dass sich Mitgliedstaaten für einen solchen entscheiden könnten, die diesen im Moment nicht haben. Insofern muss die Priorität sein, bei einem Vorschlag von so zweifelhafter Qualität wie jenem der Kommission, erstmal die größten Probleme auszuräumen.

„Eigentlich hat fast jeder Artikel des Richtlinienentwurfs das Potential, die Situation zu verschlechtern.“

Zum Abschluss, welche Rollen spielen in dieser ganzen Auseinandersetzung ums EU-Urheberrecht eigentlich die österreichischen EU-Abgeordneten?

Also, die wichtigste Rolle in der Urheberrechtsreform spielt wahrscheinlich die österreichische Abgeordnete Evelyn Regner, weil sie Koordinatorin der Sozialdemokraten im Rechtsausschuss ist. Auch von der SPÖ ist Joe Weidenholzer einer der Abgeordneten, die sich zu Fragen von digitalen Grundrechten relativ stark hervorgetan haben. Insofern kann ich mir vorstellen, dass er sich auch in die Debatte zu Filterpflichten einmischen würde, weil dadurch ja gleich mehrere Grundrechte im Internet betroffen sind. Von den Grünen ist Michel Reimon als Mitglied des Kulturausschusses an der Reform beteiligt und hat da definitiv auch ein offenes Ohr für Kulturschaffende. Die konservativen österreichischen Abgeordneten haben sich eher wenig zu der Frage geäußert und die Rechten beteiligen sich an den inhaltlichen Verhandlungen meistens sowieso nicht.

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Glossar

Urheberrecht: das automatisch mit der Schaffung eines geistig-künstlerischen Werkes (z.B. Text, Bild, Filme) entstehende Recht des/der Urhebers/in, über jegliche Formen der Werksnutzung exklusiv verfügen zu dürfen, sofern die Nutzung nicht durch eine Ausnahme erlaubt ist

Reda-Report: die von Julia Reda als Berichterstatterin des EU-Parlaments verantwortete und 2015 mit großer Mehrheit verabschiedete Evaluation der EU-Urheberrechtsrichtlinie („Info-Soc-Directive“) aus 2001

Leistungsschutzrecht: ein dem Urheberrecht verwandtes Schutzrecht, mit dem Leistungen von Dienstleistern wie Tonträgerherstellern oder Presseverlegern geschützt werden

Panoramafreiheit: das Recht, Fotos von Gebäuden und Kunstwerken im öffentlichen Raum frei online verbreiten zu dürfen

Geoblocking: regionale Sperrung des Zugriffs auf online verfügbare Inhalte

Data-Mining: Auswertung von online zugänglichen Datenbeständen mit HIlfe statistischer Methoden

Content-Filterung: automatische Analyse und ggf. Blockierung von Inhalten, die auf Online-Plattformen hochgeladen werden

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