Kunst, Kultur und Krieg in der Ukraine

Seit Kriegsbeginn mussten Millionen von Menschen die Ukraine verlassen und in anderen Ländern das Auslangen finden. Katharina Serles hat recherchiert, welche Möglichkeiten es für ukrainische Kulturarbeiter*innen in Österreich gibt und was die nächsten Monate auf uns zukommt.

Immer noch Krieg

Seit Februar haben sich über 70.000 Ukrainer*innen in Österreich registriert; darunter mindestens 500 Kulturarbeiter*innen, schätzt das Bundesministerium für Kunst, Kultur, öffentlichen Dienst und Sport (BMKÖS). Nach anfänglich starkem Interesse, zahlreichen Solidaritätsbekundungen, politischen Maßnahmen und zivilgesellschaftlichen Initiativen, ebbte die öffentliche Auseinandersetzung mit dem Ukraine-Krieg über den Sommer ab. Das sei, so Karin Zimmer, Leiterin des Referats für internationale Kulturpolitik im BMKÖS, “bitter”, denn: “Krieg ist noch immer” – und immer noch kämen Künstler*innen aus der Ukraine nach Österreich. Immerhin gibt es hierzulande einige Organisationen, die sich just dieser Zielgruppe annehmen – darunter ein Konzept mit europaweiter Vorbildfunktion:

Office Ukraine als Best Practice

Als sich eine Gruppe von Kulturarbeiter*innen, -beamt*innen und Expert*innen für die Ukraine, darunter Vertreter*innen des BMKÖS, des Bundesministerium für europäische und internationale Angelegenheiten, von zeitgenössischen Kunst-Initiativen wie tranzit, rotor und Künstlerhaus Büchsenhausen, eine Woche nach Kriegsbeginn mit dem Ziel zusammensetzte, Unterstützung für geflüchtete ukrainische Künstler*innen aufzustellen, wurde eine völlig neue Plattform aus dem Boden gestemmt: Office Ukraine. Hauptziel war und ist die Vernetzung der Kulturszene auf Augenhöhe und die Etablierung eines nachhaltigen, professionellen Support-Systems. “Es waren die richtigen Leute am richtigen Ort und die Staatssekretärin hat es von Anfang an unterstützt”, so Zimmer.

Entsprechend rasch nahmen drei Büros in Wien, Graz und Innsbruck ihre Arbeit auf. Natalia Gurova, die seit Anfang März im Wiener Büro tätig ist und mit ihren Kolleg*innen bisher knapp 150 Künstler*innen vermittelt hat, betont die Niederschwelligkeit des Angebots: “Es gibt eine Website, ein Kontaktformular, über das man entweder Unterstützung anbieten oder anfragen kann. Das ist ganz leicht.” Das Ganze steht und fällt also mit dem zivilgesellschaftlichen Engagement und Angebot. Man berät Ukrainer*innen individuell; zusätzlich gibt es regelmäßige, öffentliche Treffen, um Kontakte zu knüpfen und sich auszutauschen. Die Fragen sind häufig dieselben: Wie erhalte ich die Grundversorgung oder die Blaue Karte? Was passiert, wenn ich ein Stipendium erhalte? Wie komme ich an Materialien? Wie finde ich Kooperationspartner*innen? Ein Spendenkonto ermöglicht es darüber hinaus, unbürokratische Hilfszahlungen an frisch angekommene Personen zu tätigen – “ein ganz kleiner, aber hilfreicher Betrag”, konstatiert Veronika Riedl aus dem Innsbrucker Büro. 

Die persönliche Involviertheit der Mitarbeiter*innen ist hoch: In Wien stellte eine Mitarbeiter*in kürzlich ihre Wohnung einem 16-jährigen Künstler zur Verfügung, den sie auch zum Aufnahmegespräch an die Universität begleitete. Iryna Kurhanska vom Office Innsbruck ist aus der Ukraine geflüchtet, wandte sich im April über das Kontaktformular selbst ans Team und hilft nun anderen Geflüchteten. Regelmäßig tauscht eine Lenkungsgruppe aus allen Büros sowie dem Kultur- und Außenministerium Erfahrungen aus bzw. bespricht Herausforderungen. Darunter sicher: die Knappheit der Ressourcen. Im gesamten Office Ukraine-Netzwerk betreuen 17 Personen knapp 200 Künstler*innen und mehr als doppelt so viele Anfragen; das Ganze zumeist in Teilzeit, nur ein Bruchteil ist über kooperierende Institutionen angestellt – wie etwa Larissa Agel von tranzit. 250.000 € gab es dafür im ersten Jahr, zu 100% aus dem Kulturministeriumsbudget. Extra Gelder gab es keine.

Wohnungsmangel und Jackpot Residency

Die größte Herausforderung ist die längerfristige Vermittlung von Wohnungen. Das Wiener Büro zählte Anfang September dreißig Personen auf der Warteliste für eine Unterkunft; auch das umtriebige Grazer Büro, das ukrainische Künstler*innen nur auf Einladung nach Graz vermittelt, leidet unter der schwierigen Wohnungssituation. Aufs Land, so Anastasiia Khlestova, wollen die Wenigsten – dort sei “nicht so viel zu tun”. Riedl beschreibt entsprechend Residencies (Arbeitsaufenthalte) als absoluten “Jackpot”: Sie garantieren – zumindest kurzfristig – Unterkunft, aber auch Arbeitsraum, manchmal sogar Materialien und Ausstellungsmöglichkeit. Künstler*innen können sich dann auf ihre Arbeit konzentrieren und “einfach einmal tief Luft holen”. Außerdem reiche eine gratis Unterkunft für ein Monat oft, um für die Grundversorgung anzusuchen und die nächsten Schritte zu planen.

Sonderförderung, Kulturpass und andere Initiativen

Während Office Ukraine dem BMKÖS viel an Vermittlungsarbeit abnimmt, sind drei Ministeriumsangestellte seit März mit der Abwicklung der Sonderförderung Ukraine-Hilfe beschäftigt. Diese besteht aus Arbeitsstipendien à 1.400 € für max. drei Monate und Projektförderungen zu max. 5.000 €. Antragsberechtigt sind sowohl aus der Ukraine geflüchtete Künstler*innen sowie jene Personen/Einrichtungen, die diese betreuen, als auch österreichische Personen/Einrichtungen, die künstlerische Projekte in der Ukraine umsetzen. Seit März wurden 114 Anträge eingereicht (davon lediglich zwei aus Oberösterreich). Das Förderbudget wurde im Juni von zunächst 300.000 € auf 500.000 € aufgestockt; damit konnten bisher ca. 140 Künstler*innen unterstützt werden. Die Geschwindigkeit, in der die Jurys Entscheidungen treffen (die Anträge werden elektronisch übermittelt, damit es nicht zu Rückstaus kommt) und diese auch kommuniziert werden, sucht in der Kulturförderszene sicher ihresgleichen.

Die Aktion Hunger auf Kunst und Kultur, die bundesweit Menschen mit finanziellen Engpässen den Eintritt in Kultureinrichtungen ermöglicht, hat ihre Zielgruppe mit dem Kulturpass auf Geflüchtete aus der Ukraine erweitert. Allein in Wien wurden für diese bisher ca. 8.340 Kulturpässe ausgestellt.

Zahlreiche Kunstprojekte wurden in den letzten Monaten von und mit Ukrainer*innen umgesetzt und belegen den kulturellen Impact dieses Krieges – von der “Emergency Intervention” Can you see what I see im Lentos über den Co-Working-, Diskurs- und Veranstaltungsraum Freiraum Ukraine in Wien. Die digitale Ausstellung state of the art(ist) im Rahmen der ars electronica angesichts politischer Repressalien weltweit, macht die Auswirkungen dieses Krieges auf Kunst auch nachhaltig sichtbar. Von knapp 200 Einreichungen waren fast 50 % aus der Ukraine bzw. mit ukrainischer Beteiligung.

Zukunft

Es ist fraglos, dass die Unterstützung wichtig ist. So formuliert Zimmer: “Ganz abgesehen von der moralischen Verpflichtung, Menschen in Notsituationen zu helfen, ist die Unterstützung von ukrainischen Künstler*innen eine Bereicherung für die Kulturlandschaft Österreich.” Gleichzeitig bleibt der problematische Nachgeschmack zurück, dass es vergleichbare Angebote für geflüchtete Künstler*innen aus etwa Afghanistan oder Syrien bisher nicht gibt. Könnte und sollte – mit dem entsprechenden Etat – eine Vernetzungsplattform wie Office Ukraine nicht auf Office World ausgedehnt werden? 

Darüber hinaus bleibt unklar, wie es weitergeht. Sowohl die Büros als auch der Sonderfördertopf sind nur bis Ende des Jahres finanziert. Nach derzeitigem Stand ist das Budget des BMKÖS bald verbraucht. “Wir raten den Menschen, möglichst schnell anzusuchen bevor das Geld weg ist”, erläutert Riedl. Der Bedarf ist also da, reißt trotz der Sommerruhe nicht ab. Und das alles, während Ukrainer*innen nicht wissen, “ob oder wann ihre Welt enden könnte”, schließt Gurova.

Unterstützungsmöglichkeiten

Spendenkonto von Office Ukraine
IBAN: AT362011184532396001
BIC: GIBAATWWXXX

Kontaktformulare von Office Ukraine
https://forms.artistshelp-ukraine.at/i_can_provide_service und …/i_can_provide_housing

Du planst eine Kulturveranstaltung? Überlege, wie du vielleicht eine*n geflüchtete*n Künstler*in miteinbeziehen kannst!

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