Haben sich die Bedingungen und Umstände geändert?

Aileen Derieg untersucht die Freie Szene Linz.

 

Möglicherweise beruht die ganze Misstimmung in Bezug auf Linz09 schlichtwegs auf einem Missverständnis: die Linzer Freie Szene ist nicht – und war auch nie und soll auch nie werden – eine klar definierbare, festgelegte Gruppierung, auch nicht eine delegierte Vertretung und schon gar nicht eine eigene Institution.

Es handelt sich um einen chaotischen und streitbaren, mitunter auch widersprüchlichen Haufen von Einzelpersonen und Gruppen in wechselnden Zusammenhängen, die einiges an Einstellungen und Selbstverständnis gemeinsam haben. Diese Szene ist auch nicht getrennt vom gesamten Kulturleben dingfest zu machen, weil kaum eine größere Veranstaltung in Linz ohne Mitwirkung zumindest einiger sich der Freien Szene zugehörig verstehender Personen stattfinden kann. Wenn bei diversen Veranstaltungen Menschen mit Kamera und Kabel beauftragt werden oder an der Kassa oder hinter der Bar ihr Geld verdienen, handelt es sich häufig um kreative und kritische Menschen, die in anderen Zusammenhängen ihre eigenen Ideen verwirklichen (wollen). Bietet das Kulturhauptstadtjahr 2009 eine Gelegenheit dafür?

Mitte 2005 schienen die Aussichten nicht unbedingt vielversprechend. Eine Rückmeldung auf die internationale Ausschreibung der Intendanzleitung für Linz09 riet von einer Bewerbung ab: “considering how fake the job round for the ars electronica director was last year, it wouldn’t surprise me that someone already has been given this job. backroom politics is notorious in that part of the world.“ 1 Mit der Ernennung Martin Hellers als Intendant schienen die vorherrschenden Bedenken, die nicht nur international sondern auch und vor allem in Linz stark ausgeprägt waren, einmal gebannt zu sein: Ein neues Gesicht mit einem sympathischen Auftreten und viel Erfahrung im Bereich Kulturmanagement sowie einer hohen Kommunikationsbereitschaft. Es wurde gleich eine „Freie Szene Tour“ organisiert, Diskussionsabende vereinbart, und es herrschte – gerade unter den freien Kunst- und Kulturschaffenden – eine weitgehend optimistische Atmosphäre. Wann und wie ist dann die Stimmung – wie in der Stellungnahme „Maschine brennt“ festgestellt2 – gekippt?

Eine Nachlese der Beiträge, die auf die Mailingliste kartell3 im Jahre 2006 gepostet wurden, legt nahe, dass ein (bewußt angewendetes, absichtliches?) „teile-und-herrsche- Prinzip“ sehr bald und gründlich zu wirken begonnen hat. Schließlich wurde ein „Jour-fixe“ mit Martin Heller im Kunstraum Goethestraße Februar 2007 von vielen der dort Anwesenden als absoluter Tiefpunkt empfunden. Hatte Herr Heller mit seiner „Enttäuschung“ am Ende vielleicht sogar recht? Sollte die Szene tatsächlich so ausgelaugt und kraftlos sein, dass wirklich nichts mehr zu erwarten sei?

Doch bei aller gebotenen selbstkritischen Reflexion hätte die Frage anders gestellt werden sollen: selbst wenn es stimmen sollte, dass die Freie Szene ihre Bedeutung, Schlagkraft, ihr Was-auch-immer verloren habe, müsste man fragen, was sich geändert hat. Sind die engagierten Menschen vielleicht schon alle „ausgewandert“, weil Linz langweilig geworden ist? Sind die Freischaffenden von der Notwendigkeit, „nebenbei“ den Lebensunterhalt zu verdienen, einfach erschöpft? Haben sich die Bedingungen und Umständen geändert?

Eine Erkennung und Benennung der grundsätzlichen Problematik kann von aufgesplitterten EinzelkämpferInnen nicht geleistet werden. Mit der Stellungnahme „Maschine brennt“ wurde ein erster Schritt unternommen, Interessen und Ideen wieder zu bündeln, um die Lage insgesamt kritisch zu beleuchten. Bei dem darauffolgenden Workshop der Freien Szene Mitte Mai hat die selbstkritische Auseinandersetzung mit den Stärken und Schwächen der Freien Szene zu einer durchaus positiven Stimmung geführt. Auch wenn sie schon einiges an Schaden abbekommen hat, die Szene lebt noch, und eine neue Lebendigkeit anzustreben, könnte für uns alle, die sich damit identifizieren, spannend und anregend sein. Ob diese Bestrebungen für die Linz09-Direktion spannend sind oder nicht, ist unerheblich. Es geht um die Menschen, die in dieser Stadt leben und aktiv, kritisch, schöpferisch und lustvoll in dieses Leben eingreifen wollen – nicht nur im kommenden Jahr, sondern gleich jetzt und auch weit darüber hinaus.

1 „Re: Artistic Director for Linz 2009“, gepostet 17.04.05: http://coredump.buug.de/pipermail/spectre/2005-April/004486.html 2 „MASCHINE BRENNT – Stellungnahme der Freien Szene zur aktuellen kulturpolitischen Situation in Linz“, April 2008: http://www.servus.at/FREIE-SZENE/main/maschinebrennt09.html 3 Derzeit praktisch die einzige elektronische Plattform zum Austausch innerhalb der Freien Szene: http://lists.servus.at/mailman/listinfo/kartell

Aileen Derieg arbeitet als freiberufliche Übersetzerin, lebt in Linz. http://eliot.at

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