Zum Verhältnis von Medien, Politik und Zivilgesellschaft

Sechs Anmerkungen zum Verhältnis von Medien, Politik Zivilgesellschaft in Österreich

 

von Armin Thurnher

1. Medien und Gesellschaft haben sich überall auf der Welt dramatisch verändert.

Nicht einmal Österreich kann sich von internationalen Entwicklungen abkoppeln. Technische und soziale Evolution gehen Hand in Hand und bringen eine zunehmende Fragmentarisierung und Partikularisierung der Gesellschaft mit sich. Ohne sie zu analysieren, wird man auch die Entwicklung der Medien nicht verstehen. Die digitale Distributionstechnik hat die Radioliberalisierung gebracht und wird das Privatfernsehen bringen. Zusammen mit gesellschaftlicher Fragmentarisierung führt die Digitalisierung zur Auflösung traditioneller Trägermedien – sagen die Medientrendforscher. Demnach hätte der Konsument via Datenhighway die Auswahl in der Hand und mischte sich sein eigenes Medium nach seinen Vorstellungen. Mit dieser technischen Entwicklung verbunden ist ein kontinuierlicher Fluß der Daten und Informationen. Dieser Dauerstrom wird die Periodizität der Medien auflösen und durch Kontinuität ersetzen, die nur dauernd auf den neuesten Stand gebracht werden muß: An die Stelle punktueller Erscheinungsweisen oder Sendungen tritt die Datenbank, zu der der Benutzer Zugang hat. Damit sind traditionelle Trägermedien passé. Die Zeitung, wie wir sie kennen, hat ihr Ende gefunden. Sagt die Theorie.

2. Nicht Auflösung der Medienmacht einzelner Konzerne, sondern Konzentration ist das Ergebnis. Vielfalt überlebt höchstens als Eigentümer-Einfalt.

In der Praxis spielt sich das anders ab. Damit der Fluß fließt, ist eine kommerziell nutzbare Dichte der Nutzung Voraussetzung, die derzeit nicht absehbar scheint. Stattdessen bilden sich Hierarchien der Mediennutzer heraus: Die topinformierten Surfer, die interessierte aber passive, höchstens für ihre persönlichen Spezialinteressen medial mobilisierbare Mehrheit und das unbewegliche unterprivilegierte Drittel. Technische Entwicklungen sind kapitalintensiv und werden sich erst dann durchsetzen, wenn sie sich verwerten lassen. Bis dahin dürfen die Techno-Avantgarden die Märkte aufbereiten und sich dabei progressiv fühlen. Das Ende des traditionellen Verlags ist zwar in Sicht, nicht aber das Ende der traditionellen Medien, und schon gar nicht das Ende des zentralen Eigentümers. Eher das Ende der Eigentümervielfalt. Aber Vielfalt der Eigentümer wird ohnehin verwechselt mit Pluralität der Meinungen. Was nützt die Vielfalt der Eigentümer, wenn sie alle das gleiche tun?

3. Der Doppelcharakter der Medien wird gern übersehen. Medien sind Träger von Öffentlichkeit. Sie sind ebenso Geschäftsunternehmen. Jedenfalls sind sie das literarisierte, visualisierte Selbstbewußtsein eines Landes.

Die Unterscheidung nämlich, ob es etwas ist, das als Teil der klassischen Öffentlichkeit verstanden werden kann, oder ob ein Medium als bloßes Geschäftsunternehmen zu verstehen ist, wird kaum je gemacht. Sie ist schwer zu treffen, weil jedes Medium beide Elemente, Journalismus und Geschäft, in sich trägt. Medien sind gemischte Veranstaltungen. Wie die Mischung aus seriösen Medien und Dienstleistungsmedien ausfällt, das sagt einiges über den Zustand einer Gesellschaft. In Österreich fallen drei Besonderheiten auf: Konzentration, Boulevardisierung und ein dominierender Staatsfunk, der es verstanden hat, bisher fast jede Art von Privatisierung der Medien hintanzuhalten. Die historischen Ursachen und aktuelle Besonderheiten können nicht einmal angedeutet werden. Jedenfalls besteht ein Zusammenhang zwischen langer Dominanz von Staat und Parteien und einer stark ressentimentgeladenen Boulevardpresse; jedenfalls war die Wiederherstellung einer Öffentlichkeit nicht im gleichen Maß Teil der Re-Education nach 1945 wie sie es in Westdeutschland war. Das Ergebnis: Boulevardmedien treiben Politik und öffentliche Meinung in einem Maß vor sich her, wie man es in kaum einem anderen europäischen Land kennt.

4. Der Verhandlungszustand zwischen Politik und Medien leidet unter ungleichen Voraussetzungen

Politik und Medien haben tendenziell jeweils etwas ganz anderes im Sinn. Beide geben vor, im öffentlichen Interesse zu agieren, während nur die Politik tatsächlich einer öffentlichen Kontrolle unterliegt. Die sogenannte Abstimmung am Kiosk oder auch die berüchtigte Quote ist grundsätzlich von einer Wahl zu unterscheiden; und was Boulevardmedien von demokratischer Kontrolle halten, sieht man an ihrem Verhältnis zum Presserat: nämlich nichts. Andererseits benutzten Medien ihre Macht, um von der Politik zu erreichen, was sie wünschen: nämlich eine Marktordnung im Sinne ihrer Interessen. Und Politik fügt sich, indem sie politische Themen auf das Wohlwollen der Redaktionen hin abtestet. Sekretäre und Redakteure handeln permanent miteinander aus, was Nachricht, Jubelmeldung oder Negativ-Kampagne wird. Dieser ständige Verhandlungszustand, in dem sich Politik und Medien miteinander befinden, und bei dem sie sich immer ähnlicher werden, hat in den letzten Jahren fatale Folgen für den Zustand der Medien gehabt. Fatal, wenn wir einen geordneten Medienmarkt als Voraussetzung für existierende Medienvielfalt betrachten, wenn wir weiters Medienvielfalt für demokratisch wünschenswert halten, ja, wenn wir diese Vielfalt geradezu als Zeichen für das Vorhandensein von Pressefreiheit, also für die Existenz des Menschenrechts der Meinungsfreiheit nehmen. Vielfalt, wohlgemerkt, bedeutet nicht Vielzahl, sondern ein Nebeneinander von seriösen Medien und Dienstleistungsmedien.

5. Die Unterscheidung zwischen „Dienstleistern“ und Normalmedien wird allzu selten getroffen.

„“Weltanschauung““ dieser Begriff des späten 18. Jahrhunderts“ scheinbar untrennbar mit der Zeitung“ ebenfalls ein Produkt dieser Zeit“ verbunden“ hat – zumindest für die „Dienstleister“ – ausgedient. Medien werden nicht mehr gegründet“ um irgend jemand von irgend etwas zu überzeugen. Medien werden nur noch gegründet“ um Reichweite zu machen“ damit man genügend Anzeigen bekommt. Ein Medium heute vor seiner Gründung anders zu definieren“ als über sein an die Anzeigenwirtschaft verkaufbares Publikum“ käme ökonomischer Don-Quichotterie gleich. Journalismus dient den Dienstleistern vor allem als Mittel“ viele“ und die richtigen Leser zu erreichen. Er ist aber nur eines der Mittel zu diesem Zweck. Die Macht der Werbewirtschaft wirkt auf viele denkbare Weisen. Sie drängt die Zeitungen in Richtung Unterhaltung statt Auseinandersetzung. Sie zwingt sie dazu“ gewisse Themenfelder zu behandeln“ weil sie den geeigneten Rahmen für beworbene Produktgruppen abgeben. Sie zwingt sie dazu“ in diesen Feldern Kritik“ weil geschäftsstörend“ auszusparen. Die Zeitungen sind also längst dazu übergegangen“ sich selbst als „“Umfelder“ für die Werbung zu betrachten. Besonders schöne Beispiele für die Gründung von Zeitschriften als reine Reichweitenmedien sind die Illustrierten News und TV-Media. Diese Entwicklung zeigt Wirkung auf Personal“ indem sich Journalisten zu Redaktionsmarketingmanagern entwickeln. Sie zeigt Wirkung aufs Publikum“ das sich an immer stärkere Reize gewöhnt und dabei die demokratische Grundnotwendigkeit des nüchternen Abwägens von Argumenten verliert. Sie wirkt auf Politik und Politiker. Unterhaltungswert und Medienkompatibilität haben Sachkunde und Erfahrung längst ersetzt“ Politiker werden Popstars. Und sie wirkt auf den Medienmarkt“ der“ wenn ungeordnet“ wie jeder ungeordnete Markt in Richtung Konzentration tendiert. Die Ordnung des Marktes aber müßte die Politik vornehmen“ die sich wiederum in einer Abhängigkeit von den Medien wähnt. Diese Abhängigkeit ist nur zum Teil real“ denn Politik ist selbst ein Medium“ das – siehe Lichtermeer – durchaus über eigene Mittel verfügt“ um sich gegen die Interessen der Medien durchzusetzen.

6. Die Situation auf dem Medienmarkt ist irreversibel“ es kann nur noch der Kompromiß in Detaillösungen gesucht werden.

Politik in Österreich hat jahrelang vor all diesen Vorgängen den Kopf in den Sand gesteckt und sich darauf verlassen“ mit dem ORF ein Gegengewicht zur Mediensituation in der Hand zu haben. Dieses wird ihr nun aus der Hand genommen. Andererseits kann gegen die längst formierten internationalen Medien- und Unterhaltungskonzerne nur supranational“ also auf europäischer Ebene agiert werden. Dennoch wären seit Jahren Maßnahmen fällig“ die hier nur kursorisch aufgezählt seien: Erstens die Einrichtung einer österreichischen Bundesmedienbehörde“ welche die diversen“ hoffnungslos zerstreuten medienpolitischen Aktivitäten bündelt. Zweitens die ordnungsgemäße Vorbereitung der angekündigten TV-Privatisierung durch politische Diskussion solcher Rahmenbedingungen. Es geht nicht an“ daß Medienpolitik nur von den Medien-Beherrschern formuliert wird“ daß Medienpolitik nur mehr als bedingter Reflex auf einschlägigen Lobbyismus existiert. Drittens die Neuordnung der Presseförderung. Wobei politisch zuerst zwischen jenen Medien zu unterscheiden ist“ die bloß den Zweck des Geldverdienens verfolgen“ und jenen“ die den Handel mit Nachricht und Meinung noch als ein Geschäft besonderer Art betrachten. Medien“ die Bilanzgewinne nicht mehr verschleiern können“ scheiden aus der Presseförderung aus. Eigentumsverhältnisse und Größe des Mediums spielen dabei keine Rolle. Die besondere Presseförderung wird abgeschafft“ die Unterscheidung zwischen Tages-“ Wochen- und Monatszeitungen wird aufgegeben. An Stelle einer reinen Presseförderung tritt eine Medienförderung. Diese Medienförderung macht alle Maßnahmen der Medienbegünstigung transparent“ auch Post- und Steuerbegünstigungen (warum soll die Post mit Quasi-Gratis-Tarifen Verdrängungsaktionen bloß am schnellen Geschäft interessierter Verleger stützen?). Projektförderung hat Vorrang vor Dauersubvention. Inhaltliche Kriterien der Subvention“ Verknüpfungen an inhaltliche Angebote sind zu wagen. Viertens Alle Arten von Gewinnspielen und Zugaben sind für Medien derart zu untersagen“ daß nicht kapitalstarke Medien sich ihr Recht erkaufen und Prozesse riskieren können“ während kapitalschwächere dabei nicht mithalten und dadurch Marktanteile verlieren. Eine schärfere Neufassung des Kartellrechts bzw. eine konsequente Anwendung bestehender Gesetze ist notwendig. Fünftenssind alle Maßnahmen zu fördern“ die Problembewußtsein schaffen. Enqueten und Forschungsprogramme müßten als Ziel die Erstellung eines medienpolitisch-medienpädagogischen Maßnahmenkatalogs haben. Einrichtungen zur Selbstkontrolle von Medien- und Werbewirtschaft müßten forciert und rechtlich gestärkt werden.

 

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