Der Kleinbus in der Diskurs-Werkstatt

Viel Theorie, aber wenig Denkanstöße beim Symposion „Kunsteingriffe“ der IG-Kultur. Daher kein Bericht für eine Akademie, dafür mit einer sehr langen Einleitung.

 

von Martin Lengauer

Mit der sogenanten Freien Kulturszene verhält es sich wie mit einem Kleinbus, sagen wir Baujahr 1984. Etliche Kilometer hat das Vehikel schon auf dem Buckel, viele Einbahnstraßen, Holzwege, aber auch Mainstream-Autobahnen und manchmal sogar unerforschte Schleichwege hat es befahren – und befährt es immer noch. Zumindest so lange es Jahr für Jahr das „Pickerl“ in Form von Subventionen bekommt. Im großen und ganzen ist der Bus trotz seines Alters recht gut in Schuß. Die Zahl der Initiativen, die sich auch heute noch mit ihm auf die Reise machen wollen, stagniert keineswegs. PolitikerInnen, Medienleute und sogar KünstlerInnen zeigen, wenn schon keine große Freude, so doch immerhin Respekt, kommt ihnen irgendwo der Bus entgegen. Das Problem mit Kleinbussen älteren Baujahrs ist, daß ihre Ausstattung nicht mehr ganz zeitgemäß ist. Angefangen von den Landkarten, die keine Orientierungshilfe im heutigen Straßendschungel bieten, bis zum Motor selbst. Dessen Drehfreudigkeit war früher fast unerreicht, heute langt sie nur mehr selten für die Überholspur. Dafür blieb dem Bus bislang das Schicksal einiger High-Speed-Kulturaktivisten erspart, die nach Kavalierstarts mit Getriebeschaden liegenblieben. Man erinnere sich nur des Aufgebots an prominenten Personen aus Politik und (Klein-)Kunst, die der Ex-SP-Innenminister Charly Blecha jüngst medienwirksam um sich scharte. Die neu gegründete „Plattform für Kultur“ (sic!) gab sich besorgt ob des derzeitigen Zustands sozialdemokratischer Kulturpolitik, mahnte hier, schimpfte da – und ehe es zum Buffet ging, durfte der unvermeidliche Werner Schneyder noch billige Ressentiments bedienen und zum Rundumschlag gegen „Objektkunst“ ausholen. Wegweiser? Neue Aufbrüche? Keine Spur.

Zurück zu unserem Kleinbus. Um ihn ein bißchen spritziger zu machen, organisieren die wichtigsten ChaffeurInnen von Zeit zu Zeit eine Art Totalservice. Dieses heißt nicht ÖAMTC oder ARBÖ, sondern „Symposion“ und dauert meist mehrere Tage. Der Kleinbus namens Freie Kulturszene wird dabei von den ChauffeurInnen durchleuchtet, seine Straßenlage überprüft. Professionelle Fahrzeug-Kontrollore unterbreiten Vorschläge zur Feinabstimmung des Gefährts. Und weil der Bus an diesen Tagen gerade nicht unterwegs ist, können sich alle Mitfahrenden mit anderen VerkehrsteilnehmerInnen unterhalten, wohin denn die weitere Reise zu gehen habe und welche Straßen und Wege benutzt werden sollen. Außerdem überlegen sie, wie sie mit den VerkehrspolitikerInnen umgehen sollen, die immer weniger „Pickerl“ ausstellen.

Eine vernünftige Sache also, so ein Symposion. Das Problem ist, daß manche Service-Leute in ihren Lagern jede Menge Ersatzteile für neue (zum Teil noch ungebaute!) Autos vorrätig haben, aber nicht das klobige Zeug, mit dem man einen Kleinbus, sagen wir Baujahr 1984, flottkriegt. Mit diesem Problem hatte auch das Symposion der IG-Kultur zu kämpfen, das von 22.-24. Jänner 1998 im Wiener Radiokulturhaus über die Bühne ging. Unter dem spannenden Titel „Kunsteingriffe – Möglichkeiten politischer Kulturarbeit“ boten die Organisatoren Cai Mosich und Gerald Raunig einen Pool von Feinmechanikern auf, die normalerweise den (deutschen) A-Klasse-Diskurs dem Elchtest unterziehen. Die etwas spärlich erschienen KleinbusfahrerInnen staunten nicht schlecht, auf welchem Abstraktionsniveau die Möglichkeit zur (Re-)Politisierung von Kulturinitiativen und Kunstszene diskutiert werden kann. Die Relevanz des Themas steht freilich außer Streit: „Die politische Unschuld ist der Kunst in doppelter Hinsicht genommen – einerseits kann sie sich nicht naiv unpolitisch geben (eine alte Erkenntnis) – andererseits auch nicht naiv politisch (eine etwas weniger alte Erkenntnis)“. Cai Mosichs Worte gelten selbstverständlich auch für Kulturinitiativen, wenngleich das Symposion kaum Anhaltspunkte zur (Selbst)Reflexion ihrer Arbeit bot. Dies lag hauptsächlich am theorie-orientierten Ansatz der ReferentInnen, denen die Bedürfnisse des Zielpublikums Freie Kulturszene offensichtlich nicht sehr vertraut waren. Eine vertane Chance. Es mag zwar für ein kunsttheoretisches Seminar legitim sein, z. B. „die Inkommensurabilität der Erfahrungen von Personen, Gruppen und Kollektiven“ zu beklagen und dagegen „das Imaginäre“ als „erfinderische Reflektivitätsform“ (Johanna Schaffer und Miriam Wischer) aufzubieten. Für ein Symposion von und für Kulturinitiativen steckt aber allein in der akademischen Rhetorik zuviel an diskursiver Selbstlegitimation der ReferentInnen und zuwenig an konkretem Erfahrungsinhalt der Initiativen. Man komme mir hier nicht mit dem Vorwurf, die Freie Kulturszene sei theoriefeindlich. Viele ProtagonistInnen hungern nämlich nach Theorie – die geeignet ist, den (nicht nur) ökonomischen Legitimationsdruck unangepaßter Initiativen etwas abzufedern. Der „politische Radius“ der Symposions-Beiträge reichte jedoch nicht über das „spezifische Produktionsumfeld“ (Sabeth Buchmann) des (mitunter recht hermetischen) Kunstdiskurses hinaus und an die Erfahrungen der KulturarbeiterInnen heran. Schade: Gewiß böte Günther Jacobs Beschreibung des Verhältnisses von Pop-Kultur und Politik Reflexionsmöglichkeiten für soziokulturelle Initiativen und ihre (gesellschafts)politischen Ambitionen. Gewiß könnte Oliver Marcharts Auslegung von Antonio Gramscis Konzept der „kulturellen Hegemonie“ das Selbstverständnis „freier“ Kulturarbeit befördern. Doch beide Referate konnten oder wollten sich nicht auf die Ebene praktischer Relevanz begeben. Das brave Publikum gab sich keine Blöße – und verkniff sich die Frage nach der Anwendbarkeit der Theorie. Umgekehrt stellten sich manche ProtagonistInnen der Kulturszene kein gutes Zeugnis aus, als sie während der Arbeitskreise – auf die „böse Politik“ kann man sich auch in Zeiten theoretischer Flaute bequem berufen – anstatt über die Politisierung der Kulturarbeit (also über die Sicherung ihrer Qualität!) nachzudenken, lieber über einzelne Politiker herzogen. Schlicht beschämend war die Diskussionshemmung des Publikums nach jenen Referaten, denen der Brückenschlag zwischen ästhetischer Theorie und künstlerischer bzw. kulturarbeiterischer Praxis gelang. Herbert Maly ist Direktor von COOPERATIONS, einer „geschützten Werkstatt“ in Luxemburg. Er analysierte die Möglichkeiten langfristiger künstlerischer Zusammenarbeit mit sozial benachteiligten Gruppen. Der Leiter des Amsterdamer Kulturzentrums Melkweg, Cor Schlösser, setzte sich mit Veränderungen der herrschenden Auffassungen von (Hoch)Kultur und der Rolle autonomer Kulturzentren auseinander. Schließlich erläuterten „alte Bekannte“ der KUPF, Pascale Jeannée und Katharina Lenz von der Gruppe WochenKlausur, ihr Konzept von „Kunst als sozialer Intervention“ (siehe KUPF-Zeitung Nr. 73, 4-1997, S. 20). Die drei Referate hätten Werkzeug genug geboten, um unseren Kleinbus aufzumöbeln, allein die ChauffeurInnen fuhren an der Werkstatt vorbei. Cai Mosichs Hoffnung auf „dauerhafte Denkanstöße“ erfüllte sich leider nicht.

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