Globale Umbrüche und Geschlechterverhältnisse

Zum Thema „Arbeit und Gender im Neoliberalismus“

 

von Frigga Haug

Mit der neoliberalen Globalisierung findet weltweit eine Neuzusammensetzung der Arbeiterklasse statt, in die auch Frauen auf eine bisher unbekannte Weise geschleudert werden.

In der Verurteilung neoliberaler Globalisierung können wir uns schnell einig sein. Zu offensichtlich ist die Zunahme an Ungerechtigkeiten. Zu offensichtlich sind die Apologien neoliberaler Theoretiker. Aber bei allem ist gerade in der Frage der Geschlechterverhältnisse ein Umbruch zu verzeichnen, der zunächst verblüfft und sorgfältig zu analysieren ist, da er so oder so unser Politikfeld verändert. Feminisierung der Beschäftigung

Schon seit Anfang der 80er Jahre wurde offenkundig, dass die bisherigen Analysen und Daten zur Beschäftigung von Frauen in der Lohnarbeit einer radikalen Veränderung unterlagen. Links- feministisches Selbstverständnis in Bezug auf Frauenarbeitspolitik beruhte auf der Einsicht, dass Frauen, zumindest in den westlichen kapitalistischen Ländern als eine Art Puffer in der Erwerbsarbeit fungierten, eingestellt bei Arbeitskräftemangel und wieder entlassen in jeder Konjunkturschwankung und vor allem bei Produktivkrafterhöhung. Gesichert schien, dass Kapitalismus und Frauenarbeits-, bzw. besser -erwerbslosigkeit miteinander verbunden waren, dass es also kein Recht auf Lohnarbeit für Frauen gab, ja, dass diese Rechtlosigkeit selbst noch im kulturellen Einverständnis kapitalistisch regulierter Gesellschaften verankert war. Dies wurde etwa abgestützt durch eine Arbeitsteilung, in der Frauen so gut wie ausschliesslich für alle reproduktive Arbeit zuständig waren und entsprechende Mutter- und Kindideologien etwaige Empörung, die sich auf einen Gleichheitsgrundsatz berufen wollte, in Schuld und Versagensgefühlen erstickte.

Es ist wohl als allgemein bekannt vorauszusetzen, dass der Prozess, den wir als neoliberale Globalisierung bezeichnen, die Lage der Frauen in diesen Punkten zum einen verschärft, zum anderen auch verschoben hat. Der staatliche Sozialabbau bedeutet für Frauen aus der ehemaligen DDR in der Frage der Kinderversorgung nicht nur die Zerstörung der gewohnten Sicherheit; der Abbau verschlechtert auch die Lage der Frauen im Westen. Aber anders, als noch vor nur zwei Jahrzehnten behauptet, schwindet der männliche Ernährer aus den Wahlmöglichkeiten für Frauen mit Kindern. Die wachsende Arbeitslosigkeit ist zugleich bedingt durch die Entwicklung der Produktivkräfte, solange nicht eine radikale Arbeitszeitverkürzung entsprechend der gewachsenen Arbeitsproduktivität oder ein ebensolches Wirtschaftswachstum dem entgegenstehen. Der Reichtum der menschlichen Arbeit schlägt als Armut der Arbeitenden auf diese zurück. Aber durch die strukturelle Änderung der Arbeitspraxen kann es zu Kämpfen um die geschlechtliche Zuordnung bestimmter Arbeitsarten, also um Arbeitsteilung und Arbeitsplätze kommen.

Ausgetragen werden sie in Form von männlicher Besitzstandswahrung oder Verdrängung von Frauen; ihr Verlauf ist bedingt durch die öffentliche Aufmerksamkeit, ist also selbst ein Feld, in dem von Frauen politisch eingegriffen werden kann und muss. In dieser allgemein schwierigen und widersprüchlichen Lage vollzieht sich im Weltmaßstab eine Entwicklung, die unseren bisherigen Annahmen Hohn zu sprechen scheint: eine Überbeschäftigung von Frauen. Mit dem Begriff Feminisierung der Beschäftigung wird ein mit der neoliberalen Globalisierung einhergehender Prozess angeklagt, grössere Teile der gesellschaftlichen Gesamtarbeit profitbringend auf Frauen zu verschieben – in den Ländern der Ersten Welt in Tele-Heimarbeit, überhaupt Heimarbeit, ungeschützte Arbeitsplätze, aber vor allem in den Ländern der Zweidrittel-Welt niedrig bezahlte Arbeit unter extremen Bedingungen in grossem Umfang auf rechtlose Frauen zu übertragen.

Mit der neoliberalen Globalisierung findet weltweit eine Neuzusammensetzung der Arbeiterklasse statt, in die auch Frauen auf eine bisher unbekannte Weise geschleudert werden. Ohne Rücksicht auf die in den industrialisierten Ländern aus Kämpfen von mehr als 100 Jahren durchgesetzten Kompromisse zwischen kapitalistischer Ausbeutung und Schutz der Arbeiterklasse geschieht insbesondere in den Zweidrittel-Welten ein neuerlicher Kapitalisierungsschub, der in seinen Durchsetzungsformen durchaus der ursprünglichen Akkumulation (vgl. Karl Marx, Das Kapital, Bd.1, Kap 23) einerseits und den frühen Phasen der Industrialisierung andererseits entspricht (vgl. ebenda, Kap. 13). Und wie in der Mitte des 19. Jh. sind es wieder die Frauen, deren Einbeziehung in den Produktionsprozess in „Sweatshops“ oder „Maquiladoras“ unerhörte Extraprofite erlaubt, während alle Schranken, die ihrer Vernutzung entgegenstehen könnten, niedergerissen werden.

Unter dem Titel Feminisierung der Lohnarbeit schreibt Hilary Rose schon 1984: „Dass sich die industrielle Produktion in den sich entwickelnden und neu industrialisierenden Regionen der Welt – besonders in Asien, aber nicht nur dort – ausbreitet und dass dort der Anteil der Frauen an den neuen Produktionsarbeitern vorherrscht, hängt eng mit der Krise in den alten Wohlfahrtstaaten zusammen. Die neuen Produktionstrukturen sind transnational. Das Produkt durchläuft die verschiedenen Stadien seines Produktionsprozesses jeweils in verschiedenen Niedriglohnländern. … Die Beziehungen zwischen den Ländern der Ersten und der Dritten Welt durchlaufen Veränderungen, die nicht nur eine neue internationale Teilung der Lohnarbeit mit sich bringen, sondern auch eine neue Geschlechtertrennung, denn es sind Frauen, insbesondere junge Frauen im Alter zwischen 14 und 25, die in den Fabriken der Dritten Welt arbeiten.“

Rose verknüpft Dimensionen von Produktivkraftentwicklung, neoliberaler Globalisierung und Verschiebungen in staatlicher Politik mit den Geschlechterverhältnissen, um die besondere Rolle der Frauen in den Ausbeutungsstrukturen zu kennzeichnen. „Das unerschöpfliche lokale und internationale Arbeitskräftepotential nimmt den örtlichen Gewerkschaften die Voraussetzungen, einen kollektiven Selbstschutz durchzuhalten. … Dass die neuen Produktionsarbeiter junge Frauen sind, schwächt die Möglichkeiten der Gewerkschaften zusätzlich. Der Druck der patriarchalischen Strukturen einer vorkapitalistischen Gesellschaft wird oft innerhalb der Fabrik sehr geschickt aufrechterhalten, um die soziale Stabilität und Unterwürfigkeit zu erhalten. Die herrschenden männlichen Eliten bilden die Hauptnutznießer der neuen Industrialisierung.

Ihre Arbeit besteht darin, die Anwesenheit der Fabriken in der Dritten Welt zu unterstützen, die Geschlechterbeziehungen der alten Gesellschaft aufrechtzuerhalten, Steueroasen zu garantieren und durch Repression die Entstehung von Gewerkschaften zu verhindern.“ – Die Berichte über die Lage der Frauen in den neuen Produktionsstätten gleichen denen der Fabrikinspektoren in der Mitte des vorigen Jahrhunderts. Sie zeigen Überausbeutung, geringen Lohn, langfristige körperliche Schädigungen und als einzige Alternative zunehmende Prostitution. Auf der IV Weltfrauenkonferenz in Peking 1995 wird als Feminisierung der Beschäftigung eine Umstrukturierung der Erwerbsarbeit umschrieben, welche die Ausweitung von Frauenerwerbsarbeit mit der Verbreitung flexibler Arbeitsstrukturen verknüpft. So wichtig die Aufarbeitung von Daten zu neuen Ausbeutungsstrukturen weltweit, die überdurchschnittlich Frauen betreffen, sind, so wenig eingreifend und überzeugend bleibt Feminisierung der Arbeit als Begriffsverwendung.

Er ist in diesem Kontext blosser Deskriptionsterm zum einen. Wo er dagegen begrifflich als untersuchungsleitend ernst genommen werden will, scheint er eine Bewegung zunehmender Verweiblichung als Skandal zu kennzeichnen und verdoppelt auf diese Weise die Verbindung von weiblich und negativ, bietet die Illusion mit einer Maskulinisierung der Prozesse sei Befreiung gewonnen und richtet die Kritik nicht ausreichend auf die globalen Kapitalprozesse und nicht auf eine Widersprüchlichkeit in diesen. Saskia Sassen verweist allerdings auf widerstreitende Dimensionen: „Andererseits verändert sich mit dem Zugang zu eigenem Einkommen, mit der Feminisierung des Arbeitsangebots und mit der wachsenden Feminisierung der Geschäftsmöglichkeiten im Zusammenhang mit der Informalisierung das gesamte Gefüge der bisherigen Geschlechterhierarchie.“ Die enge Verbindung von Geschlechterverhältnissen und neuen Entwicklungen von Ausbeutung und Beschäftigung machen es zwingend, eine in der Globalisierung eingreifende Frauenpolitik zu gründen auf die Analyse der Methoden zur Produktion des relativen Mehrwerts und die Neuzusammensetzung der globalen Arbeiterklasse im Neoliberalismus.

Die Diskussion um Arbeit Im Weltmaßstab verschiebt sich das Politikfeld für Frauen in den kapitalistischen „Mutterländern“ auf eine Weise, die uns wiederum anders unter Handlungsdruck setzt, neue Strategieüberlegungen verlangt. Ich meine hier vor allem eine Bewegung, die man mit Vereinnahmung von ursprünglich linken Forderungen oder solchen der neuen sozialen Bewegungen in neoliberale Strategie bezeichnen könnte. Seit den siebziger Jahren wurde im westlichen Feminismus die Diskussion um die Hausarbeit geführt.

Sie begann 1973 mit Maria Rosa dalla Costas Manifest zur Bedeutung der Hausarbeit und der mit ihr verbundenen Akteurinnen für den politischen Kampf. Die wesentlichen Kampfpunkte waren und sind: die Veränderung und Erweiterung des Arbeitsbegriffs auf eine Weise, dass auch die von Frauen ausserhalb der Lohnarbeit „Zuhause“ verrichteten Tätigkeiten als gesellschaftliche Arbeit erkennbar werden; damit einhergehend die Aufwertung der Hausarbeit bis hin zu ihrer tatsächlichen Entlohnung. Der Streit wurde auch als einer um marxistische Theoriebildung und Begrifflichkeit geführt. Praktisch politisch wurden die Diskussionen in den neunziger Jahren vor allem fortgeführt und erweitert um Fragen von Umsonst-Arbeiten überhaupt und der in ihnen möglichen nicht-entfremdeten Dimensionen, eine Doppelbestimmung, die zugleich auf den Skandal der vielen unbezahlten Arbeiten verwies, als auch Hoffnung setzt auf alternatives Arbeiten, das dem Leistungs- und Tauschkalkül kapitalistischen Wirtschaftens nicht direkt unterworfen ist.

Es ist den feministischen Diskussionen der 70er und 80er Jahre gelungen, die Bedeutung von Haus- und Familienarbeit ins allgemeine gesellschaftliche Bewusstsein zu bringen; diese Einmischung hat jedoch nicht dazu geführt, in die vielfältigen Überlegungen zur Krise der Arbeitsgesellschaft feministisches Denken nennenswert einzubringen. Ein bemerkenswerter Bruch zeichnet sich durch die im Zuge des Neoliberalismus artikulierten neueren Vorschläge aus dem mainstream ab. Die Konzentration auf bezahlte Arbeit in der Güterproduktion gehört einer vergangenen Epoche an. Jetzt geht es darum, die beiden anderen Dimensionen menschlicher Produktivität und Kreativität, die „identitätsstiftend“ sind, zum Einsatz zu bringen. Die bloße Funktion von menschlicher Arbeit als ökonomischer Produktionsfaktor verursache Schäden und sei eine Herabwürdigung.

Die Autoren schlagen im Prinzip eine Dreiteilung des Verständnisses von Arbeit vor. Zu den herkömmlichen monetarisierten Arbeiten, die auf ca 20 Std. pro Woche reduziert werden sollten, kommen die nichtmonetisierten. Das sind Tätigkeiten, die herkömmlich nicht bezahlt geleistet werden, sondern „freiwillig“ oder „wohltätig. Schließlich gibt es die nicht-monetarisierten produktive Tätigkeiten, die gewöhnlich nicht in Geld ausgedrückt werden. Sie resümieren, „…,dass jede Strategie für die Entwicklung von Beschäftigung und produktiven Tätigkeiten alle drei Formen der Produktion parallel fördern muss.“ Mit anderen Worten, die etwas komplizierte Unterscheidung dient dem Nachweis, dass eine Gesellschaft, die allein auf Tausch basiert zunehmend weniger überlebensfähig ist. Man kann diese Vorschläge leicht dahingehend diskutieren, dass hier ein Weg beschritten sei, auf dem zum Teil durch bloße Umbenennung, jedenfalls aber auf Kosten der Arbeitenden eine Krise gelöst werden soll, die anders kaum bezahlbar scheint. Ich habe die Thesen nicht vorgestellt, um zu behaupten, dass der Umbau von Gesellschaft in konservativen und neoliberalen Händen sehr gut aufgehoben ist, sondern eher um uns gemeinsam wachzurütteln, dass wir uns mit unseren bisherigen Politikforderungen auf einem schon überholten Gleis befinden und eine Neuorientierung dringend not tut.

Im letzten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts ist es modern geworden, die Frage der Gleichberechtigung der Geschlechter in die Parteiprogramme aufzunehmen, ohne dass dies bahnbrechende Folgen gehabt hätte. Die Forderungen der Frauenbewegung sind bereits in neoliberale Politik integriert, als eine Art passive Revolution von oben. Wie also könnte eine Befreiungspolitik vom Standpunkt auch von Frauen aussehen? Ganz offensichtlich hat sich die Konstellation für die über lange Jahre zentralen Forderungen auf eine Weise geändert, dass aus Befreiungsforderungen jetzt solche der Systemsicherung und der Beförderung und Reproduktion neoliberaler Politik wurden, ohne dass darum die Forderungen selbst – etwa die nach Neufassung des Arbeitsbegriffs – falsch geworden wären.

Frigga Haug

Im Original erschienen in: PDS Reader Controvers, Berlin, Februar 2000

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