Kulturkampf

Franz Fend

 

Kulturkampf – oder wie sich die Kulturszene wieder einmal hineinlegen lassen hat

Einige (thesenhafte und durchaus auch selbstkritische) Anmerkungen zur akuten Diskussionsveranstaltungskultur und warum das Theater Phönix doch weiterhin Diskussionsreihen organisieren wird.

1. Der Begriff Diskurs avancierte in jüngster Zeit zu einem der meistgebrauchten und beliebtesten Termini einer vermeintlich aufgeklärten, ästhetisch interessierten und politisch dem Gutmenschensektor zuzurechnenden Teil einer kultur- und kunstinteressierten Öffentlichkeit. Daß dabei nicht die kontroversielle methodische Behandlung eines gesellschaftlichen, politischen, kulturellen, ökonomischen oder ästhetischen Zusammenhangs gemeint ist, vielmehr ein thumbes Gefühl von Affirmation zu einer aktuell hippen Meinung oder These zum Ausdruck gebracht wird, stellt sich erst bei näherer Hinsicht heraus. In den seltensten Fällen schon die gefühlsmäßige Übereinstimmung mit einem komplexeren System von Gedanken, Positionen oder Entwicklungen, denn die Behandlung von umfassenderen, auch abstrakteren Zusammenhängen wie beispielsweise ideologischen Funktionszusammenhängen ist gänzlich aus der „Mode“ geraten. Vor allem steht „Diskurs“ nicht für kontroversielle Auseinandersetzung und dadurch gezieltes Vorwärtstreiben von Inhalten und Positionen, man gefällt sich bereits darin, sich um einen Begriff zu scharen und dadurch den unvermeidlichen narkotisierenden Szene-Stallgeruch kollektiv zu inhalieren.

2. Dieses Unvermögen, inhaltliche Auseinandersetzungen in nötiger Schärfe und Zielgerichtetheit zu führen, das Unvermögen, einen inhaltlichen Streit als einen Streit von politischen und ökonomischen Interessen zu verstehen und zu formulieren, hat zu einer unpolitischen und dadurch defensiven Haltung der gesamten Off-Szene geführt, deren einzige Anstrengung die eigene Rechtfertigung und die Verteidigung des Status quo ist. Ein selbstmitleidiger Opferhabitus ist Garant für die Verhinderung einer kritischen Reflexion der eigenen Zusammenhänge, Positionen und Produktionen. Eine unbezähmbare Harmoniesucht läßt Widersprüche, die teils antagonistischer Natur sind, erst gar nicht aufkommen, obwohl deren Behandlung wohl die einzige Chance für das Überwinden des derzeitigen Auf-der-Stelle-Tretens wäre.

3. Das Politische in der Kunst und in kulturellen Zusammenhängen wird auf die Verhinderung parteipolitischer Einflußnahme reduziert, obschon allein dieses Unterfangen die Kunst und deren Produktion erst recht wieder zum Spielball der vorherrschenden politischen Interessenskämpfe macht. Eine Politisierung im Sinne der Erkenntnis, die Kunst eben zum ideologieproduzierenden „Gewerbe“ zählt, wäre eine wünschenswerte Entwicklung, in die es die Anstrengungen zu richten gilt. Die aktuelle Kunstproduktion (auch die kulturelle Handwerkelei) ist in ihrer Gesamtheit den (ökonomischen und politischen) Verwertungsbedingungen der Herrschenden unterworfen. Eine Opposition und Widerstand gegen diese Entwicklung sind nicht in Sicht. Oder wie Gottfried Hattinger das in einem anderen Zusammenhang, aber durchaus auch in diesem Sinne zutreffend, formulierte: „In der Hackmaschine der Massenmedien wird die Kunst als Korrektiv, auch immer noch als Intervention des Subjektiven (Adorno), wichtige Funktionen erfüllen, wenn auch anders, als sich die Ideologen der Kulturpolitik dies vorstellen mögen, die momentan den populistischen Oberflächenreiz des Spektakels bevorzugen, die Kultur als Slipeinlagen weich und hygienisch, aus Ekel vor dem Intimbereich.“

4. Der Begriff „Kulturkampf“ wurde in den letzten Jahren von der sogenannten neuen Rechten dazu benutzt, um die angeblich existierende „linke Hegemonie“ im kulturellen Bereich zu denunzieren und den politischen Paradigmenwechsel zu betreiben, gesellschaftlich zu verankern und durchzusetzen. Die Kulturszene bedient sich dieses Begriffs unreflektiert, ohne seine Bedeutung zu hinterfragen, ohne zu analysieren, ob das Erstarken radikal rechter Politik und Ideologie wirklich Resultat eines neurechten „Kulturkampfes“ ist oder ob die Antreiber für diese grundsätzliche Umwälzung unserer Gesellschaft und des Staates nicht in den Reihen der Herrschenden in Politik und Ökonomie zu suchen sind, die Stichwortgeber nicht in den zu manchesterliberalen Sturmtruppen mutierten Wirtschaftsredaktionen sich einstmals liberal gebärdender Blätter. Sie sind es, die „Kultur von null an neu kalkulieren“ wollen, die einer Kunst, so sie nicht Jubelereignis für die herrschenden Zustände ist, den Kragen abdrehen wollen. Der Kampf gegen dieses Roll Back erfordert eine Strategie, die über rein gewerkschaftlichen Interessenskampf hinausgehen muß. Es gilt, von einer Kritik an den Mißständen zu einer Kritik der Zustände zu gelangen.

5. Rechter Kulturkampf findet in anderer Form statt. Vor allem auf ideologischem Gebiet und auf dem Feld der Sprache. Der Begriff Kultur hat in den letzten Jahren einen gewaltigen Bedeutungswandel erfahren. Er ersetzt im neurechten Zusammenhang längst den nicht mehr ganz salonfähigen Begriff Rasse. Kulturelle Identität, ein ideologisches Konstrukt, dem nicht unwesentliche Teile einer freien Kulturszene anhängen, ist längst zu einem Ausgrenzungsmechanismus in politischer, sozialer, ethnischer Hinsicht geworden. Ein sozialdarwinistisches Kampfmittel, das von der „Kulturszene“ in keiner Weise als solches wahrgenommen worden ist. Schafft die Kulturszene in all ihrer Differenziertheit keine adäquate Gegenstrategie, wird sie sich objektiv bald gegen das wenden, wofür sie einst angetreten ist. Die oft proklamierte popersche offene Gesellschaft erweist sich hier als schmalbrüstiger Rechtfertigungsversuch des Herrschenden.

6. Die Wiener Journalistin Doris Knecht formulierte in einem Referat: „Édie österreichische Kultur (hat) ihr Maul selten weiter aufgerissen, als es der Regierung genehm war, und den Künstlern und Intellektuellen, sollten sie sich einmal zu Kritik hinreißen lassen, (ging) es meistens nur um das eigene WohlbefindenÉ“ Eine Behauptung, die in dieser verallgemeinerten Form gewiß nicht stimmt. Sie ist vielmehr auf jene Zusammenhänge zutreffend, die sich der sogenannten Kulturvermittlung verschrieben haben. Aber das ist eine andere Geschichte, zu der Walter Wippersberg beispielsweise bereits wichtige Beiträge beigesteuert hat.

7. Verzicht auf gesellschaftspolitische Auseinandersetzung und ideologischer Zurüstung wird oft mit „Sicherstellung einer kulturellen Grundversorgung in Notstandsgebieten“ argumentiert. Hier zeigt sich am deutlichsten, daß sich ein großer Teil der freien Szene nur als Ergänzung zum Bestehenden verstand. Als Struktur, die Bestehendes festigt, eine etwas soft gestylte Stütze der Macht.

Schluß: Dieser Mangel an Auseinandersetzung und konstruktivem Streit, der über persönliche Angerührtheiten hinausgeht, ist nicht durch Lamento über die eingelullte, sich in ihrer Opferrolle bestens gefallende, denkfaule Szene zu beheben. Es gilt hier eben unverbesserlichen Optimismus an den Tag zu legen, und weiterhin die Versuche zu unternehmen, Larmoyanz und Ohnmachtsphantasien zu geißeln, bis die ProtagonistInnen dieser müden und angepaßten Szene aus ihrem „Dornröschenschlaf“ (Schanovsky) erwachen. Ein wachküssender Prinz wird gewiß nicht kommen. Es gilt auch in diesem Zusammenhang, was in anderen Bereichen unumstritten ist: Übung, Training und Kontinuität kann die ideologische Formkrise einer schlappen Szene überwinden helfen. Nicht Verzicht auf Diskurs und inhaltliche Provokation. Hoffentlich können einige dieser Themen diskutiert werden bei der Veranstaltung, die anläßlich der Ausstellung „An der Grenze des Erlaubten – Kunst und Zensur in Österreich“ stattfindet. Diese Ausstellung bietet mit Sicherheit zahlreiche Ansatzpunkte, der Entwicklung eines Selbstverständnisses auf die Sprünge zu helfen. Diese Ausstellung zeigt, daß nicht immer Larmoyanz und Affirmation die vorherrschenden Haltungen waren. Sie zeigt, daß Radikale Auseinandersetzung auch gehörig Spaß machen kann.

Eine Veranstaltung von Theater Phönix & Rennerinstitut am 23. Mai 1997, 20 Uhr: Eingeladen sind u. a.: Mark Terkessides, Reinhard Kannonier, Christine Frisinghelli, Walter Wippersberg, Elisabeth Schweeger, Georg Ritter, Franz Primetzhofer.

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