Die weißen Haare

Endlich. Geschafft. Die letzten Farbreste sind herausgewachsen.
Einfach war das nicht. Die Haarkosmetikindustrie hatte lange was von mir, aus Karrieregründen:

«Deine Haarfarbe ist zu unspezifisch für die Rolle, ohne erotische Ausstrahlung.»
Meine Haarfarbe war eine der wenigen Eigenschaften, über die ich mir noch keine unfreundlichen Gedanken gemacht hatte.

Heute frage ich mich, wie der patriarchal gedeutete Begriff ‹Erotik› eine solche Macht in meinem Berufsfeld erlangen konnte. Ob die Ausweitung des Begriffs wegbereitend war für die Missbrauchsfälle in unserer Branche, mit denen wir derzeit konfrontiert sind.

Aber damals war ich noch nicht so weit.
Ich wurde vorübergehend – und um zu gefallen – karottenrot.
Aber ich war alarmiert.
Lebenslänglich der Pumuckl des Theaters – laut, frech, aber auf Befehl unsichtbar?
Theater sollte auch hinter den Kulissen leben, wovon es auf der Bühne erzählt: Menschlichkeit, Diversität, gesellschaftliche Anteilnahme. Stattdessen immer noch: Gender Pay Gap, Altersdiskriminierung.
Das Agreement von Agenturen, Geburtsdaten auf Wunsch zu korrigieren, ist nur scheinbar Entgegenkommen, vielmehr Optimierung der Vermittelbarkeit. Gespräch mit einer Kollegin, die in Deutschland arbeitet:

«Ich färbe weiter, denn sie legen Wert auf ein jugendlich wirkendes Team. Ich muss noch 10 Jahre Jobs bekommen oder lieber länger, ich bin sonst von Altersarmut betroffen.»

Sind also meine weißen Haare ein Privileg? Weil ich in Österreich mit 60 durch eine Regelpension so etwas wie ein bedingungsloses Grundeinkommen habe? Mir deshalb Freiheit leisten kann, Meinung, Widerspruch? Während es gerade schick wird, weiße Haare zu tragen und ich somit gar keine Einzelkämpferin bin?
Mittlerweile ist es Mainstream geworden, über Ausgrenzung und Diskriminierung zu sprechen. Gleichzeitig werden allerdings im Hintergrund vorherrschende Stereotype weiterhin reproduziert. Deshalb brauchen wir Widerstand und Zeichen. Weiße Haare sind ein solches Zeichen.

Verena Koch ist mit ihrem Text Sykorax Teil der Publikation female positions, die 2022 in Linz erschien.

Termine female positions-Salon:
14. März 2023, 19.30 — Theater Phönix: mit Verena Koch 1. Mai 2023 — Matinee beim Crossing Europe Filmfestival

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