SM und Kulturarbeit

Seit Jahren plagt mich die Feststellung, dass Bezeichnung und Funktion von SM (Social Media, nicht Sadomasochismus) oft diametral auseinanderliegen. Genauso paradox wie das Phänomen ist, so schädlich sind seine Algorithmen mitunter für Kulturarbeit. Ich bleibe beim Wortspiel:

Warum vergleichen wir nicht einmal Kulturarbeit und Kunstschaffen (als Teil davon) mit SM, der analogen Variante, die geprägt ist von Leidenschaft, gegenseitigem Vertrauen, Mut und Außenseiter-Bewusstsein, Respekt vor dem Gegenüber und einem Individualitätsbegriff, der sich nicht exklusiv verortet, sondern als einzigartig in einem unüberschaubar großen Kollektiv.

Peinlicherweise versucht uns SM (die digitale Variante) genau das zu suggerieren, und endet dabei im Paradox: einer rein binären Datenübertragung, die an keinem Ende emotional qualifizierbar ist und somit in grundsätzlichem Widerspruch zu sozialer Interaktion steht. Unfähig, den Informationsfluss zu verarbeiten, hetzen wir zwischen Tweet und Retweet, retten uns mittels Emojis dann letztlich in ‹Safe Spaces› und

‹Bubbles›, die Comfort-Zone, die soziale Isolation. Hier folgt endlich alles unserer Agenda. Nicht frei? Aber frei von Verantwortlichkeit! Ohne Tonfall, Mimik und Gestik des gesprochenen Wortes wirkt geschriebener Stammtischjargon pathosbeladen und misanthrop. Wir können Konflikte nicht mehr verbal austragen, da uns das linguistische Rüstzeug fehlt. Stattdessen wird misstraut und gecancelt, denn wenn wir nicht voll FÜR etwas sind, können wir nur dagegen sein, schließlich MUSS Position bezogen werden und zwar von ALLEN.

Ein Klick reicht, also ca. 4/10s, um unserer Zustimmung Ausdruck und uns Befriedigung zu verleihen. Bewertung eines FB-Feeds vs. Dauer, diesen Artikel für die Printausgabe zu verfassen: 2,1s vs. 25.200s. Das bedeutet, Kulturarbeit ausschließlich quantitativen Parametern zu unterwerfen, z. B. der Anzahl von Followern, Erwähnungen oder Retweets. Mittlerweile häufen sich die Beispiele von Bands, die unfähig sind, sich zu einer Probe zu treffen, oder zwar 10.000e Follower auf Spotify haben, aber keine Leute zu den Konzerten bekommen, oder von Künstler*innen in unbesuchten Ausstellungen, da jedes Exponat ohnehin schon auf Instagram zu finden ist. Wir machen uns zu kreativen Orks. SM tötet die Sinnlichkeit, der freiwildernde Markt gewinnt. Fragen Sie Ihre*n Ärzt*in oder Sexualtherapeut*in.

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