„The People Formerly Known as the Audience“

Crowdsourcing und Crowdfunding in Kunst und Kultur

Das Zitat „the people formerly known as the audience“ (die Menschen, die man einst als das Publikum bezeichnete) von Jay Rosen, Professor für Journalismus an der New York University, illustriert den Paradigmenwechsel, der im Zuge des Aufstiegs des sozialen Internets die Medienwelt verändert. Das „Publikum von einst“ spielt gemäß Bertold Brechts utopischer „Radiotheorie“ aus den frühen 30ern des vergangenen Jahrhunderts zunehmend eine neue Rolle:

Der Rundfunk wäre der denkbar großartigste Kommunikationsapparat des öffentlichen Lebens, […] wenn er es verstünde, nicht nur auszusenden, sondern auch zu empfangen, also den Zuhörer nicht nur zu hören, sondern auch sprechen zu machen und ihn nicht zu isolieren, sondern ihn auch in Beziehung zu setzen. Der Hörfunk könnte den Austausch, Gespräche, Debatten und Dispute ermöglichen.
Diese Vision ist – zumindest in Hinblick auf die innovativen technischen Möglichkeiten, die das Social Web heute für Partizipation bietet – Realität geworden.

Auch für Crowdfunding und Crowdsourcing spielen Offenheit, Beteiligung und Vernetzung die Hauptrollen. Der Begriff „Crowdsourcing” wurde vom Journalisten Jeff Howe im Jahr 2006 in einem Artikel für das US-Nerd-Magazin „Wired“ geprägt.[1] Er beschreibt darin neue Formen der Auslagerung bestimmter Aufgaben, die traditionell von einer bestimmten Person oder einem Unternehmen ausgeführt wurden, an eine – im Gegensatz zum Outsourcing – nicht definierte, im allgemeinen größere Gruppe von Personen in Form eines offenen Aufrufs über das Internet.

Unser traditioneller Kunstansatz geht davon aus, dass ein Werk von einer bestimmten Künstlerin stammt. Was aber, wenn Ideen und Realisierung an Personen, die einst lediglich das Publikum darstellten, „gecrowdsourced“ werden? Wie können Menschen gemeinsam Ideen entwickeln? Kann man ein kohärentes Ergebnis erwarten? Kann „jedermann ein Künstler sein“, wie es Joseph Beuys postulierte?
Im Medienbereich verschwimmt die Trennlinie zwischen Produktion und Konsum zusehends. Soziale Medien scheinen auch im Kunst- und Kulturbereich Katalysatoren für Partizipation zu sein.

Einige Crowdsourcing-Beispiele im Kulturbereich:
Das  Brooklyn Museum in New York kreierte einen Dienst (The Posse), bei dem es Besucherinnen ermöglicht wurde den musealen Online-Content zu verschlagworten („Collaborative Tagging“). Ziel der Tagging-Option ist es nicht nur, Suchbegriffe zu erhalten, sondern auch den Besucherinnen die Möglichkeit zu geben, durch die Zuordnung ihrer persönlich gewählten Begriffe zu Kunstobjekten eine bestimmte Art von Identifikation zu schaffen.[2] Noch einen Schritt weiter ging die von einer Crowd kuratierte Ausstellung “Click”.[3] Diese Ausstellung hatte die Intention, die sich ändernden Gesichter des New Yorker Stadtteils Brooklyn zu dokumentieren. Die Crowd steuerte Fotografien bei und partizipierte am Prozess des Kuratierens.

Die Oper „Twitterdämmerung”[4], die ihre Premiere am London Royal Opera House im Jahr 2009 feierte, bestand aus einem Libretto von 900 Twitter-Einträgen zu jeweils maximal 140 Zeichen. Bühne und Musik wurden jedoch von Profis gestaltet.
Beim Savonlinna Opera Festival im Juli 2012 in Finnland wurden die Beteiligungsmöglichkeiten noch erweitert: „Bei diesem Projekt können alle an der Kreation einer Oper mitwirken. Alle Mitglieder der Online-Community können Beiträge zum Libretto schreiben, die Musik mitkomponieren sowie Bühnenbild und Kostüme mitentwerfen – und dies alles vom Beginn bis zum Ende.“ [5]

Crowdfunding [6] ist eine besondere Form des Crowdsourcing, bei der nicht auf die Arbeitsleistung oder die Ideen der Internetuserinnen abgezielt wird, sondern diese zur Finanzierung von Projekten gewonnen werden sollen. Innerhalb eines begrenzten Zeitraums (üblicherweise 30-90 Tage) soll ein von den Projektinitiatorinnen festgelegter Betrag erreicht werden. Bei Misserfolg fließen die Teilbeträge wieder an die Investorinnen zurück. Je nach Höhe des finanziellen Beitrags werden Gegenleistungen wie zum Beispiel CDs und Eintrittskarten in Aussicht gestellt.

Crowdfunding ist Ende 2010 im deutschsprachigen Raum angekommen. Neben Startnext [7], bieten einige andere Internetplattformen die partizipative Finanzierung von Kulturprojekten an. Mit Respekt.net [8] ist an dieser Stelle auch eine österreichische Initiative zu nennen. Über diese beiden Plattformen konnten bis zum Sommer 2012 insgesamt rund 1,5 Mio Euro eingeworben werden. Die Budgets liegen dabei pro Projekt zumeist unter € 10.000,–. Crowdfunding kann in Zukunft eine gute Ergänzung zur öffentlichen Kulturfinanzierung sein, die sich leider immer mehr auf dem Rückzug befindet, wie ein Crowdsourcing-Projekt des Guardian veranschaulicht.[9] Interessant sind auch Überlegungen, die traditionelle öffentliche Kulturfinanzierung in Kombination mit Crowdfunding durch transparente und partizipative Elemente zu innovieren.

Abschließend lässt sich feststellen, dass der inhärente partizipative Ansatz von Social Media nicht nur die Kommunikation, sondern auch die gesamte Wertschöpfungskette verändern wird. Partizipation in inhaltlicher und finanzieller Hinsicht führt zu Identifikation und ist ein Beitrag zur Publikumsentwicklung.

[1] http://www.wired.com/wired/archive/14.06/crowds.html

[2] “The Museum Social Tagging Project” http://www.steve.museum/

[3] http://www.brooklynmuseum.org/exhibitions/click/

[4] http://news.orf.at/stories/2010495/2010485/

[5] http://www.oopperajuhlat.fi/OperaByYou/English/Home.iw3

[6] Vergl. Definitionen bei http://www.ikosom.de/2012/06/11/definition-von-crowdfunding-beta/

[7] http://www.startnext.de/

[8] http://www.respekt.net/

[9] http://www.guardian.co.uk/culture/interactive/2012/aug/03/europe-arts-cuts-culture-austerity

 

 

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