Das Überflüssige ist das Übel des Notwendigen

Martin Böhm betrachtet den Festivalsommer 2006.

 

Der Festivalsommer 2006 neigt sich seinem Ende zu, es wird bilanziert, Resümee gezogen und der kulturelle Alltag ist bei so mancher Kulturinitiative bereits wieder eingezogen. Beinahe wäre er meinerseits ohne Kommentar verstrichen, wenn da nicht das Interview mit dem Frequency-Macher Harry Jenner unter dem Titel „Frequency – Festival überlegt Abwanderung aus Salzburg“ am 7. August 06 auf derstandard.at zu lesen gewesen wäre.

Denn hier beklagt der Chef von „MusicNET Entertainment GmbH“, dass die Vergnügungssteuer zu hoch ist und er keine Förderung vom Land erhalte. „Würden die Gemeinden Koppl und Plainfeld dem Veranstalter“, so Harry Jenner weiter, „mehr entgegenkommen und das Land eine Förderung zuschießen, dann könnte man sich bei einem Gesamtbudget von rund drei Millionen Euro in Summe 100.000,- bis 300.000,- Euro ersparen.“

Recht so! Das wäre ja gelacht, wenn man da nichts machen könnte! Dass bei der Festivalisierung in Österreich der ökonomische Faktor eine wesentliche Rolle spielt, ist ja hinlänglich bekannt, und so werde ich auch die Aussage Jenners, dessen Firma übrigens mit der Kooperation mit dem ehemaligen Konkurrenten Nova Music die heimische Festivalszene (Frequency, Nuke, NovaRock, Lovely Days) somit direkt oder indirekt kontrolliert, nicht beurteilen. Jedoch sollte man wissen, dass diese Festivals im Idealfall Gewinne im sechsstelligen Bereich abwerfen. Die Notwendigkeit von solchen „big“ Festivals darf bei solchen Diskussionen nicht in Frage gestellt werden, es ist lediglich das Überflüssige, das so manchen nervt und mich einerseits dazu veranlasste, mich mit den Begriffen Festivalisierung/Ökonomisierung und deren Konsequenzen für den Kulturbetrieb zu beschäftigen und andererseits auf Festivalsuche innerhalb der KUPF-Mitgliedsvereine zu gehen.

Nun zu den Begriffen Festivalisierung und Ökonomisierung. Betrachtet man den Begriff Festivalisierung genauer, dann ist diese sogenannte Festivalisierung von Ereignissen eine andere Form der Inszenierung von Erlebnissen, d.h. es wird ein temporärer Erlebnisraum zur Selbstinszenierung im Rahmen eines kommerziell geprägten kollektiven Erlebnisses geschaffen und durch die Durchdringung von Kultur und Ökonomie kommt es nicht nur zu einer Kulturalisierung der Alltags- und Warenwelt, sondern auch zu einer Kommerzialisierung und Ökonomisierung des Kulturbereichs. Das führt für den Soziologen Gerhard Schulze dazu, dass sich im Laufe der zunehmenden Ökonomisierung ein neues Leitmotiv der Kulturpolitik neben den Motiven Hochkultur, Demokratisierung und Soziokultur etabliert, und somit kommt es zwischen den staatlichen Kulturangeboten und den Angeboten privater Anbieter auf dem nachfrageorientierten Erlebnismarkt zum Konkurrenzkampf um die Gunst der erlebnisorientierten Gesellschaft – unter dem Motto „Gut ist, was gut läuft“. Des weiteren spricht sich Schulze im Bereich der Kulturpolitik dafür aus, dass sich dieser nicht vollständig ökonomischen Aspekten unterordnen sollte, denn es lässt sich feststellen, dass eine sog. kritische Distanz, die sich bewusst der Erlebnisnachfrage auf inhaltlicher oder formaler Ebene entzieht, heutzutage nicht mehr erwünscht ist, bzw. nicht mehr nachgefragt wird. Für Frederic Jameson geht ebenso die kritische Distanz, die es ermöglicht, die Gesellschaft und die ihnen zugrunde liegenden Ideologien und Mechanismen anzugreifen, aufgrund der neuen gesamtgesellschaftlichen Relevanz des Kulturbereichs und seiner ästhetischen Produktion verloren. Jedoch bieten sich aber durch das Expandieren der Kultur und das Ankommen in der Gesellschaft auch neue Möglichkeiten und Aufgabenfelder für die Kulturproduzenten.

So weit, so gut. Aber abseits der großen Festivals gibt es natürlich auch noch die Festivals der „kleinen“ Kulturinitiativen, die immer mehr ums Überleben im Festivaldschungel kämpfen und sich auf einem ganz anderen Parkett bewegen als die bereits oben erwähnten.

Eines der kleinen, feinen Festivals, das man mittlerweile kennen muss/soll, ist das Ottensheim Open Air. Auf dem gemeindeeigenen Gelände in Ottensheim, das für das Festival dem Kulturverein Ottensheim Open Air kostenlos zur Verfügung gestellt wird und durch den Hochwasserschutzdamm, der die angegrenzte Donau im Notfall zähmen sollte, einer Arena gleicht, so Jörg Parnreiter (Obmann vom KV – Open Air Ottensheim), fand heuer das 11. Open Air seit der Vereins- und Open Air Gründung 1993 (2001 – 2003 wurden keine veranstaltet) statt.

Jörg Parnreiter antwortet auf meine Frage, ob es auch 2007 ein Open Air Ottensheim geben wird: „Schwierig zu sagen… Nach dem Open Air kann keiner mehr das Wort Open Air hören und wir machen jetzt einmal 2 Monate Pause, aber im Herbst werden wir wieder eine Klausur machen und dann entscheiden. Außerdem ist die finanzielle Situation gegenüber der in den 90er Jahren bis Anfang 2000 extrem schwierig“, so Parnreiter weiter, „denn da hat es im Großen und Ganzen nur Ebensee, Passau und Ottensheim gegeben …und natürlich auch Woast. Aber jetzt ist es mit den ganz Großen, die es zur Zeit gibt, wie Frequency, NovaRock und wie sie alle heißen, wo man praktisch jedes Wochenende ein Mega Festival geboten bekommt, ein harter Kampf um das Publikum.“

Eine notwendige Prämisse für das Gelingen, oder um im Laufe der immer schwieriger werdenden finanziellen Zeiten überhaupt wirtschaftlich überleben zu können, ist die Resonanz innerhalb der Gemeinde und der OrtspolitikerInnen. Sie stellt quasi mit vielen anderen Dingen das Fundament eines Open Airs dar. Die Frage, wie die Resonanz und der Rückhalt in Ottensheim seitens der Gemeinde, etc. ist. beantwortet Jörg Parnreiter so: „Gut, muss man sagen. Speziell von unserer Bürgermeisterin Frau Uli Böker kriegen wir viel Unterstützung, und es steht auch die gesamte Gemeinde hinter uns, die meisten jedenfalls. Mit den Anrainern gibt es ebenso keine Probleme, und die Gemeinde entdeckt mittlerweile den Werbewert, den das Open Air für Ottensheim darstellt, weil wir ja auch den Namen Ottensheim in unserer Open Air Bezeichnung tragen. Somit kommt der Name auf jedem Plakat, auf jedem Flyer, etc. vor und wird natürlich auch bei den Werbeeinschaltungen im Radio genannt. Konkrete Unterstützungen für das Open Air gibt’s auch. So wird das Festivalgelände kostenlos zur Verfügung gestellt und auch der Bauhof, die Feuerwehr, etc. unterstützen uns. Alle, auch die Wirte, ziehen an einem Strang, da es ansonsten bei dieser Größenordnung nicht mehr funktionieren würde.“ Der enorme Aufwand, den so ein Festival seinen ehrenamtlichen KulturarbeiterInnen bereitet, kann am Besten durch einige Daten und Fakten, die Parnreiter im Laufe des Interviews nennt, veranschaulicht werden. Die Vorbereitungszeit für das Open Air startet bereits im Winter (meist Dezember oder Anfang Jänner), heuer wurden 16 Sitzungen abgehalten, die jeden 2. Sonntag stattfanden, so könnte man die Vorbereitungs- bzw. die Organisationszeit mit ungefähr 400 h rechnen, und am Festival selbst arbeiten dann ca. 150 Leute, die pro Festivaltag jeweils 6 h arbeiten, jedoch arbeitet jede(r) an allen 2 Tagen. Das wären dann ca. 1.800 h – ehrenamtlich versteht sich! Da es zur Zeit einen neuen „Schmäh“ bei der Interviewführung gibt, nämlich den, einen Satz vorzulesen und ihn vervollständigen zu lassen, habe auch ich mich dem Trend angeschlossen und Jörg Parnreiter gebeten, meinen Satz zu beenden.

Dass bei der Festivalisierung in Österreich der ökonomische Faktor eine wesentliche Rolle spielt, ist ja hinlänglich bekannt, aber mich nervt…

Jörg Parnreiter: „…hm. Schwierige Frage, ich sehe das eigentlich nicht so, mich nervt nur, dass das die Leute so sehen, denn genau das ist das Problem, weil ein richtiges Festival soll den ökonomischen Faktor darauf beschränken, dass man plus minus null rauskriegt und nicht darauf, dass man furchtbar viel Kohle verdient…“

Martin Böhm ist im Vorstand der KUPFKulturplattform OÖ, des KV Woast und qujOchÖ.

 

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