(Un-)Geordnete Verhältnisse

Reflektion der Gruppe Manana zum Thema Empire.

 

In einer Kooperation von KunstRaum Goethestraße, AK OÖ-Kultur, FIFTITU%, GFK OÖ, Kunstuniversität Linz, KUPF – Kulturplattform, MAIZ, QujOchÖ, Stadtwerkstatt, Radio FRO und der VHS Linz vermittelte die gruppe mañana an mehreren Terminen mittels Vorträgen, Crash Kursen, Workshops, einer gemeinsamen Aktion im öffentlichen Raum, Diskussionen und Reflexionen über das mittlerweile stattgefundene ASF in Linz grundlegende Begriffe und Kategorien aus Antonio Negris und Michael Hardts Buch Empire. Im folgenden Artikel reflektiert die Gruppe mañana noch einmal ihre grundlegenden theoretischen Herangehensweisen zu dieser Thematik.

Nein, zurück wollen wir nicht: Das Fließband, Symbol des Aufstiegs der industriellen Arbeit und des Wohlstands in den westlichen Industrienationen, mit seinen vorgefertigten Arbeitsstätten, mit der gänzlichen Unterordnung unter den Takt der Maschinen, effiziente Handgriffe, stupide Kontrolltätigkeiten, das Diktat der Stechuhr und der Fabriksirene, ist passé. Heute sind wir in unseren Jobs kreativ und flexibel, verfügen über ein bescheidenes Maß an Autonomie in der Gestaltung unserer Arbeitszeit, arbeiten an Netzwerken, um an nötige Infos zu kommen. Es scheint, als würden wir unsere Arbeitsplätze selbst erfinden müssen. Wohl fühlen wir uns in unserer Haut heute aber auch nicht. Schließlich müssen wir uns viel öfter abrackern, um überhaupt an eine bezahlte Arbeit zu kommen, oder zwei Jobs und Ausbildung unter einen Hut zu kriegen.

Lebensplanung erfordert Sicherheiten, und wenn alles flexibel und befristet ist, kann mann/frau sich nie auf das verlassen, was vielleicht in einem Jahr sein wird; wir geben uns mit der nächsten Zwischenlösung zufrieden. Romantische Leitbilder vom nomadischen Freelancer zerbrechen häufig an der Realität der Unsicherheiten, denen wir ausgesetzt sind. Ökonomisch betrachtet waren die Verhältnisse in den Nachkriegsjahrzehnten eine einfache Wachstumsgeschichte, und ein geordnetes System von institutionellen Arrangements sicherte bisher ungekannte politische Stabilität. Eine Stabilität, die bis in die Biographien der Einzelnen (Männer) ihren Ausdruck fand. Die regulationstheoretische Schule bezeichnet das Zusammenspiel und Zusammenpassen von ökonomischem Modell (Fließbandproduktion), politisch-institutionellem Arrangement und persönlich biographischer Ebene als (Akkumulations-)Regime des Fordismus. Dieses Modell zerfällt. Arbeit findet nicht mehr nur in der Fabrik statt, Bildung nicht mehr nur in der Schule, neue Strategien der Macht entstehen. Die Sphären des Ökonomischen, Politischen und Kulturellen überschneiden sich zunehmend und schließen einander ein. Leben in seiner Gesamtheit wird zum Gegenstand einer globalisierten Herrschaft, einer neuen globalen Ordnung. Die neue Ordnung diszipliniert und tötet nicht mehr nur, im Klassenzimmer, im Gefängnis oder am elektrischen Stuhl. Sie arrangiert und organisiert hybride Identitäten, flexible Hierarchien und eine Vielzahl von Austauschverhältnissen, durch abgestimmte Netzwerke des Kommandos und die in die soziale Praxis eingeschriebene Kontrolle. Die neue Weltordnung – das Empire – zieht alles andere wie ein riesiger Schlund in seine Ordnung, es organisiert einen übergreifenden Konsens und sei es nur der Konsens über eine allgemeine, um sich greifende Furcht – vor dem Terrorismus, vor steigenden Ölpreisen, zu hohen Spesenabrechnungen, was auch immer. Es scheint, als gäbe es keinen Standpunkt mehr von Gewicht, nur noch eine unerbittliche allgegenwärtige Machtmaschine.

Den Veränderungen, welchen wir ausgesetzt sind, kann nicht mit politischen Strategien von gestern begegnet werden. „Wenn es stimmt, dass das Kapitalverhältnis sich immer produktiver durch die Körper frisst, die Gefühle und die Subkulturen in Wert setzt und die Subjekte drängt, UnternehmerInnen ihrer eigenen marginalisierten Existenzen zu werden, dann sollten wir doch eineN AktivistIn erfinden, die auf der Höhe der Zeit ist“ (Katja Diefenbach). Im Zeitalter der Selbstnormierung, des „mobilisierten Bürgerkörpers“ ist der „Körper des bloßen Lebens“ selbst bereits ein Angriff. Es geht um die Frage, „wie mann/frau politisch wird ohne Politik zu machen, und auf welche Schwierigkeiten mann/frau dabei stößt“. Es geht also darum, Praxen und Forderungen zu setzen, welche die Verbindung von Biopolitik und Kapital attackieren. Sozialer Lohn, unabhängig von Nationalität und Erwerbszentriertheit, freie Mobilität und unbegrenzte Aufenthaltsdauer, setzten an dieser Schnittstelle an.

Wo es Macht gibt, gibt es Widerstand (Michel Foucault)

Je weiter das Kapital seine globalen Produktions- und Kontrollnetzwerke ausdehnt, desto wichtiger kann jeder Punkt der Revolte werden und desto geringer werden die Widerstandsverluste in den Wegen der Repräsentation. Ein Verschwimmen von Macht- und Widerstandspunkten im sozialen Gefüge mündet nicht in Ohnmacht und Lethargie, sondern bietet ebenso die Möglichkeit gezielter Guerillataktiken. Im Empire werden alle Bewegungen potenziell subversiv und bedürfen keiner langen Vertretungs- oder Repräsentationswege zu den Orten der Macht. Die Leidenschaften und Wünsche, die in Revolten und Revolutionen sichtbar werden, sind nicht obsolet, sie zielen auf Selbstermächtigung, die durch eine Ablehnung jeglicher Form der Repräsentation gekennzeichnet ist. Historisch und gegenwärtig besteht die Aufgabe darin, „alle Verhältnisse umzuwerfen, in denen der Mensch ein erniedrigtes, ein verlassenes, ein verächtliches Wesen ist“ (Marx). Kapitalistische Formen der Vergesellschaftung implizieren einförmiges Funktionieren, dagegen ist „Freiheit“ als eine Vielfalt von Möglichkeiten in einer Menge/Assoziation von Widerständigen, Militanten, Begehrenden, … und maßlos Wünschenden, in der Multitude möglich. Hier verfügen Assoziationen über eine potentielle Maßlosigkeit des Widerstands. Die Kämpfe werden nicht identitär geführt und nicht mit dem Ziel, die Macht zu ergreifen. Das Kollektiv als grundlegende Kategorie dieser Freiheitsbestrebungen zu setzen, schließt den mühsamen Weg der Vermittlung und des Ausgleichs aus; fundamentale geteilte Begierden bilden eine hinreichende Grundlage. Diese potenzieren das Vermögen der Multitude und führen von einer angstbesetzten Einsamkeit zur Gesellschaftlichkeit, zu einer kollektiven Praxis und militanten Performanz. Den identitären Homogenisierungsvorstellungen zu widerstehen heißt, die Stärke an Gegenmacht (Ambivalenz oder Dialektik) anzuerkennen. Es ist der Versuch eine Verbindung von Universalismus und Differenz zu stiften, die den Mechanismus des ausschließenden Einschlusses nicht wiederholt, sondern auf das Multiple, die Vielheit baut.

Die Wahrnehmung einer Vielfalt an Möglichkeiten und Erfahrungen motiviert Wiederholungswünsche, die Lust am Experimentieren und Erproben von ergänzenden Beziehungen, am Durchbrechen einförmiger Leis- tungsideale. Die totale Immanenz, die Negri im Rückgriff auf Spinoza betont, kollektive Erfahrungen von Freiheit in ebenso kollektiv gewollten und darum herbeigeführten Situationen, ist revolutionär, oder „die Praxis des Glücks wird subversiv, wenn sie kollektiv ist“ (Félix Guattari). Die Analyse gegenwärtiger Herrschaftsformen ist ein Baustein, die Suche emanzipativer Bewegungen gilt viel mehr den Befreiungsformen, den alltäglichen Möglichkeiten „nein“ zu sagen. Möglichst viele AkteurInnen feiern ihren Spaß am Widerstand, und diese Leidenschaften und Wünsche sind die Basis einer neuen Form soziale Militanz; es ist die Einladung deine Erfahrungen und Wahrnehmungen selbst in die Hand zu nehmen, dich in Beziehung zu setzen, gegen das Funktionieren in der Einförmigkeit der Ware. Es geht um eine radikale Kritik an den konkreten Verhältnissen. Ob daraus eine Situation entstehen kann, die jede Umkehr unmöglich macht, der Kapitalismus in ähnlicher Weise implodiert, wie die Systemkonkurrenz die Staatssozialismen in sich zusammenfallen ließ wie Hardt/Negri ihre Zielperspektive andeuten – all dies eröffnet einen Komplex an Fragen nach der notwendigen und hinreichenden Radikalität politischer Praxen.

Die „gruppe mañana“ ist ein transdisziplinärer kollektiver Arbeitszusammenhang im Bereich kritischer Gesellschaftsanalyse und Theorievermittlung, der seit der Gründung 1998 in Freiburg (D) besteht.

www.goldfisch.at/manana

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