Keine Regeln, nur Tatsachen.

Aus dem Alltag eines (kultur)schaffenden Menschen.

 

von Elfi Sonnberger

Kunst- und Kulturschaffende verkörpern oft das, was von der Wirtschaft als Idealbild für zukünftige Arbeitsverhältnisse propagiert wird: flexibel, eigenverantwortlich, innovativ. Hand in Hand geht damit aber auch Selbstausbeutung, ungenügende sozialrechtliche Absicherung und permanente Existenzängste. Ein Bericht aus dem Arbeitsalltag von Kulturschaffenden.

Oft gibt es kein Wochenende, gearbeitet wird fast immer – das aber bei freier Zeiteinteilung. Auch die Arbeit suchen sich Schaffende selber aus – aufgestanden wird in der Früh, früher als so manche glauben, dann schwingt man sich auf das Fahrrad und fährt zum Arbeitsort. Dort wurde mit viel Mühe und Einsatz das Basisequipment und eine funktionierende Werkstatt geschaffen. Hier ist Platz zum Experimentieren und Umsetzen. Beim gemeinsamen Kaffee wird dann besprochen, was zu tun ist, wer was macht und wann es die nächsten Deadlines gibt. Zwischendurch kommt die drängende Frage: Wie geht es weiter? Es gibt noch nicht einmal eine Zusage vom Bund, ob die ohnehin schon viel zu kleine Förderung weiterhin ausbezahlt wird. Aber auch FördergeberInnen brauchen die persönlichen Kontakte und Gespräche, auch sie möchten einen Eindruck über die Arbeit und die Zuverlässigkeit der Kulturschaffenden bekommen; FördergeberInnen fühlen sich oft wie Briefkästen, wo man die Ansuchen einfach nur einwirft. Also wird ein Termin mit der zuständigen Person vereinbart. Persönliche Treffen können zumindest hin und wieder Dinge klären und die Arbeit transparenter machen.

Alles super Weil die Schaffenden ja freie Zeiteinteilung haben, ist die Kinderbetreuung im Tagesablauf ebenfalls inkludiert. Dafür kann man/frau dann bis weit nach Mitternacht arbeiten, es gibt keine Regeln, nur Tatsachen. Tatsache ist der Termin eines Festivals, bei dem die Schaffenden dabei sind. Das Team ergänzt sich sehr gut, fast alle notwendigen Bereiche sind abgedeckt: Videotechnik, Sounddesign, Webdesign, Robotics, Metallbearbeitung, Elektronik, Textbearbeitung, verschiedenste Computerprogramme, Mathematik, Logistik, etc. Buchhaltung gehört ebenfalls zum Tagesgeschäft, weil sich die Schaffenden schon lange keine Buchhaltungskraft mehr leisten können. Selber Kochen ist ebenfalls billiger, Abwaschen gibt’s dafür gratis hinterher. Die Durchmischung von Arbeit und Privat ist normal, ein gutes Gesprächs- und Arbeitsklima besonders wichtig. Die Buchhaltung macht die katastrophale Bilanz offensichtlich. Seit Monaten ist kein Geld von den SubventionsgeberInnen eingetroffen. Somit gibt es auch seit Monaten kein Geld für die Schaffenden. Wie soll das funktionieren: Einerseits braucht man/frau Zeit, um die Kunstprojekte umzusetzen, andererseits braucht man/frau Geld, um nicht zu verhungern? Einer arbeitet nebenbei als Webdesigner, der andere hat noch ein Forschungsprojekt auf der Uni. Die Dritte hat immerhin noch für kurze Zeit ein Stipendium, wieder ein anderer arbeitet für einen Künstler. In der Nacht oder zwischendurch wird an der bevorstehenden Präsentation weiter gearbeitet.

… wie geht’s weiter? Für den persönlichen Gesprächstermin mit der Frau vom Bund haben die Schaffenden eine aufwändige Präsentationsmappe mit ihrer Arbeit vorbereitet, die sie fachgerecht präsentieren. Trotzdem fragt sich Frau vom Bund, was die denn da überhaupt machen. Das soll Kunst sein? Na ja, vielleicht kann ihre Arbeit auch aus dem Medientopf finanziert werden. Das Problem ist, dass sie im Grunde genommen nicht versteht, von was die da reden, was denn der Sinn ihrer Arbeit ist. Außerdem sind sie zu kommerziell – was soll denn da Kunst sein? Sollte schließlich doch eine Subvention aus dem Medientopf herausschauen, dann ist das keine Basisfinanzierung mehr, sondern nur mehr Projektförderung. Das heißt im Klartext: Keine Finanzierung des Hauses, kein Geld mehr für die Schaffenden, noch mehr Druck, auf dem „Freien Markt“ bei Kunstfestivals dabei zu sein. Dann ist das erst recht wieder ein Grund, nicht als Kunst- und Kulturschaffende anerkannt zu werden. Dann arbeiten sie zu „kommerziell“ (ist kommerzieller Erfolg gleichzusetzen mit fehlendem Kunstbezug?). Die Ansuchen, als Künstler anerkannt zu werden, sind schon wieder abgelehnt worden. Dann würden sie zumindest den halben Beitrag für die Pensionsversicherung über den KünstlerInnenhilfsfonds rückerstattet bekommen. Etwas Neues braucht Zeit, Zeit für Experimente und Zeit zum Denken und Zeit zum Tun. Im Kulturbereich sind innovative Ideen das Um und Auf, dann hat man/frau wieder die Chance, auf Festivals eingeladen zu werden. Die Zeit wird immer kürzer. Ein Teufelskreis. Ein fixer Zusatzjob auf der Uni oder Unterricht in einer Schule mit geregelter Arbeitszeit ist schwierig. Die Teilnahme an Festivals verlangt äußerste Flexibilität: man/frau muss ja ständig abrufbereit sein, wenn man/frau mit einem Projekt ins Ausland geht: Transport vorbereiten, verpacken, einladen und transportieren; wenn’s zuviel wird, wird eine Spedition beauftragt; in verstaubten Hallen aufbauen, oft ist es finster, stressig immer. Wieder einmal geschafft: Die Präsentation läuft gut, die Betreuung wird auch rund um die Uhr übernommen, weil man/frau damit Geld sparen kann. Hoffentlich bleibt soviel übrig, dass man/frau wieder einen Monat damit arbeiten kann.

… wie lange noch? Zwischendurch werden weitere Projekte konzipiert, ein EU-Projekt ist im Gange. Drei Projekte wurden mit verschiedenen Kultureinrichtungen aus fünf Ländern eingereicht. Immerhin zwei werden umgesetzt. Die EU finanziert in erster Linie die Reisekosten, für die Umsetzung gibt’s fast nichts, für die Arbeit der Schaffenden kann man/frau den tatsächlichen Aufwand nicht rechnen, sonst hat man/frau wieder keine Chance, das Projekt auch realisieren zu können. Die internationale Zusammenarbeit läuft ganz gut, es gibt viele Workshops und es wird hart gearbeitet. Am Ende hat man/frau dann doch ein neues Ding umgesetzt, zumindest den ersten Teil davon. Dann ist das Geld aus. Um andere Leute bezahlen zu können, muss ebenfalls wieder einmal vorfinanziert werden, damit dann vielleicht in einigen Monaten das Geld von der EU rückerstattet wird. Die Zeit drängt, sonst ist die Frist abgelaufen. Da von nirgendwo Geld herkommt, lösen die Schaffenden ihr letztes Sparbüchel – die Altersvorsorge!! – auf. Freunde, Bekannte und Familienmitglieder steuern als Überbrückung auch noch einen Teil bei. Damit es weiter geht!

Die wenigsten haben bisher als Cultural Worker die Pension erreicht. Fast alle haben vorher doch noch einen „sicheren Job“ mit Pensions- und Krankenversicherung angenommen. Bei den neuen Durchrechnungszeiten bleibt allerdings nicht mehr viel übrig. Das geht sich einfach nicht mehr aus. Um mit Würde auch als Schaffende alt zu werden, wie es so schön heißt.

Elfi Sonnberger

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