GATS & Co. und Kunst & Kultur

Anmerkungen zu einer komplizierten Materie, die uns auf den Kopf zu fallen droht.

 

 

 

von Ludwig Laher

Ohne große publizistische Öffentlichkeit wird derzeit der nächste Akt des neoliberalen Trauerspiels in Szene gesetzt, die GATS-Runde der WTO. Dabei geht es um weitgehende Deregulierungen im Dienstleistungsbereich, die unter anderem massive negative Auswirkungen auf Einrichtungen wie den Öffentlichen Verkehr, das Gesundheits- oder das Bildungswesen haben würden. Auch Kunst und Kultur sind einschneidend davon betroffen.

Schon die kafkaesk komplizierten Kommunikationsmechanismen zwischen Betroffenen und Verhandlern machen es fast unmöglich, auf den Prozeß gezielt Einfluß zu nehmen. Hier nur eine knappe Darstellung:
Das Verhandlungsmandat liegt bei der Europäischen Kommission. Doch wegen der festgeschriebenen Subsidiarität für Kunst und Kultur, also der nationalstaatlichen bzw. föderalen Zuständigkeiten, gibt es schon bisher kaum eine europäische Kulturpolitik, kaum ein Lobbying der kulturellen Öffentlichkeit in Brüssel und Straßburg. Diese Subsidiarität allerdings wurde längst vor GATS ausgehöhlt. Mithilfe des EU-Wettbewerbsrechtes wird in der letzten Zeit massiv in Zusammenhänge eingegriffen, die die Rahmenbedingungen für Kunst und Kultur nachhaltig beeinflussen. Stichworte dafür sind etwa die Buchpreisbindung, deren von der Kommission erzwungene Neuregelung sofort zu Umgehungsformen wie dubiosen Reimportgeschäften 20% unter dem Ladenpreis geführt hat, die Attacken auf den (aus anderen Gründen zu kritisierenden) öffentlich-rechtlichen Rundfunk und seinen Kulturauftrag (entweder Werbezeitbeschränkungen oder Wegfall der Gebührenhoheit), die Beschränkung der nationalen Filmförderung auf 50% der Kosten. Auf welchem Niveau die EU-Bürokraten dabei die auf Ware und Dienstleistung reduzierte Wertigkeit von Kunst und Kultur abhandeln, zeigt die Ausnahmeregelung jener Filmförderungsbeschränkung: Schwierige und kleine Produktionen, heißt es da, können unter Umständen stärker subventioniert werden.

Auf europäischer Ebene setzen sich engagierte, aber finanziell wie personell nur unzureichend ausgestattete Dachverbände wie EFAH (European Forum of the Arts and Heritage) oder ECA (European Council of Artists) für die Belange von Kunst und Kultur ein, mit globalen Implikationen wie den GATS-Verhandlungen ist ihnen ein zusätzliches Aufgabengebiet zugefallen, das nur in Kooperation mit den nationalen Organisationen bearbeitet werden kann. Während aber in anderen Ländern wie Schweden oder den Niederlanden ein selbstverständlicher Konsultationsmechanismus zwischen Regierungen und Künstlerverbänden etc. besteht, herrscht in Österreich das Prinzip: Die Betroffenen nicht einmal ignorieren.

Was bedeutet das im GATS-Zusammenhang? Die WTO hat einen Wunschkatalog an Liberalisierungsschritten formuliert, die Europäische Kommission sammelt nun die Positionen der Regierungen der Mitgliedsstaaten dazu und hat auch die Zivilgesellschaft grundsätzlich eingeladen, Stellung zu beziehen. Das österreichische Kunststaatssekretariat hat es bis kurz vor Ende der dafür vorgesehenen Frist nicht für nötig gehalten, mit den Betroffenen in einen Dialog zu treten.

Die Kulturpolitische Kommission (IG Autorinnen Autoren, IG Bildende Kunst, Musikergilde, Übersetzergemeinschaft, Dachverband Filmschaffender, IG Kultur, IG Architektur, IG Freie Theaterarbeit, VOICE – Verband der Sprecher und Darsteller, Verband Freier Radios usw.) hat daher am 20. Jänner eine Erklärung veröffentlicht (siehe Kasten).
Die Grundsatzerklärung der Kulturpolitischen Kommission ist eine unmißverständliche Positionierung gegenüber den Begehrlichkeiten der durch die USA massiv beeinflußten Welthandelsorganisation. Die Europäische Kommission hat in jenen Dokumenten, mit denen sie ihren Dialog mit der Zivilgesellschaft eröffnet, die Logik der WTO im wesentlichen unkritisch übernommen, wenn sie meint:
Dienstleistungen spielen eine immer zentralere Rolle in der Weltwirtschaft, aber ihre wachsende Bedeutung spiegelt sich noch nicht in ihrem Anteil am Welthandel wider. Verschiedene Zugangshindernisse hemmen den Handel mit Dienstleistungen und bremsen somit das Wirtschaftswachstum.
Der Zugang zu hochwertigen Dienstleistungen (…) kommt der gesamten Wirtschaft zugute, da die Produktivität sektorübergreifend gefördert wird.

Ob neue neoliberale Schübe auch den Menschen zugute kommen,
+ die sich sündteure Tickets der durch Privatisierung zugrundegerichteten Bahnverwaltungen nicht mehr leisten können;
+ die sich privatisierten Bildungseinrichtungen mit Zugangsbeschränkungen, Elitenbildung und Qualitätsminderung für die breite Masse ausgeliefert sehen;

+ deren Operationen aus Kostengründen ab einem gewissen Alter von den privaten Versicherern nicht mehr bezahlt werden;
+ die auf ein gesundgeschrumpftes und maingestreamtes Kulturangebot verwiesen werden;
das diskutiert die Europäische Kommission mit der Zivilgesellschaft leider nicht.

In dem Katalog zur Disposition stehender Wünsche einflußreicher WTO-Mitglieder, den die Kommission präsentiert hat, ist auch im Bereich kulturelle und audio-visuelle Dienstleistungen viel von der Beseitigung diskriminierender Förderungen, vom Verbot für Quoten heimischer Produktion, vom uneingeschränkten Marktzugang die Rede.

Demgegenüber plädiert das internationale Netzwerk für kulturelle Diversität (INCD), dem weltweit hunderte Kulturorganisationen angehören, darunter auch der Europäische Künstlerrat, für eine Ausgliederung aller Kunst und Kultur betreffenden Handelsfragen aus den WTO-Verträgen. Eine Konvention, angesiedelt bei der UNESCO und unterzeichnet von den Nationalstaaten, soll – in der Terminologie entsprechender Vereinbarungen – dem Charakter kultureller Hervorbringungen und ihrer Vielfalt gerecht werden. Diese Konvention wurde zusammen mit erstklassigen Anwälten erarbeitet und besteht im Moment als weitgehend elaborierter Entwurf.
 

Längst haben auch die Kulturminister ein Netzwerk geknüpft. Ressortzuständige Regierungsmitglieder aus 48 Staaten haben sich darin organisiert, um sich abzustimmen und so gestärkt ihre Positionen innerhalb der einzelnen Regierungen vertreten zu können. Eine Arbeitsgruppe dieses internationalen Netzwerks für Kulturpolitik (INCP) hat im letzten Herbst ein Dokument vorgestellt, das sich im wesentlichen auf den INCD-Konventionsentwurf stützt, sich ausdrücklich darauf beruft und ebenfalls fordert, keine GATS-Verpflichtungen einzugehen. Auch Österreich ist Mitglied dieser Weltkulturministerkonferenz, leider hat Staatssekretär Morak den Weg zu dem so wichtigen Meeting in Südafrika nicht gefunden und nicht einmal für eine hochrangige Repräsentation Österreichs auf Beamtenebene gesorgt.
Ich war selbst bei der parallel stattfindenden INCD-Jahreskonferenz anwesend und mußte mir von Regierungsvertretern anderer Länder ihre Enttäuschung über das Desinteresse des offiziellen Österreich berichten lassen.
Seit ich, nunmehr sogar als Vizepräsident des Europäischen Künstlerrates, die Interessen der österreichischen Kunst- und Kulturschaffenden in diesem Dachverband vertrete, habe ich mich intensiv bemüht, das Problembewußtsein für europäische und globale kulturpolitische Fragen innerhalb der KollegInnenschaft zu schärfen, Informationen zugänglich zu machen, Veranstaltungen anzuregen, konkrete Schritte vorzuschlagen.
Besonders im letzten Jahr hat sich auf diesem Gebiet auch in Österreich viel getan. Wir alle sind als KünstlerInnen, als KulturarbeiterInnen etc. völlig ausgelastet, die Materie, von der hier die Rede war, ist trocken und komplex. Nur: Es hilft nichts. Wenn wir uns nicht einmischen, die österreichische Regierung nicht zum Dialog nötigen, zur Vertretung unserer existentiellen Interessen bewegen, wenn wir in Brüssel nicht präsent sind, wird die neoliberale Walze einfach über uns hinwegdonnern.

Ludwig Laher

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