Sozialforum im österreichischen Staat

Ein Bericht über die Vorbereitungstreffen zum ersten Austrian Socialforum.

 

von Ljubomir Bratic

Im Mai 2003 findet in Hallein das erste österreichische Sozialforum, als Pendant zum World bzw. European Social Forum, statt.

Hallein ist die Stadt, in der offensichtlich das working class-Bewusstsein, durch die jahrhundertealte Stellung der Zulieferer für das Salzburger Bürgertum geschärft, die Turbulenzen des Untergangs des Proletariats überlebt hat. Jedenfalls insofern lebendig ist, weil diese kleine Gemeinde mit einem direkt gewählten ÖVP-Bürgermeister und einer starken linken Allianz im Gemeinderat es für notwendig befunden hat, der – innerhalb des österreichischen Staates bisher nur im virtuellen Raum verortbaren – Bewegung der Sozialforen auch einen real existierenden Raum anzubieten. Und zwar für die vom 29.05. bis 01.06.2003 stattfindende Gründung des ASF (Österreichischen Sozialforums).

Im folgenden soll es nur um die Vorbereitungstreffen zum ASF im Mai gehen. Die Geschichte der Bewegung im österreichischen Staat ist kurz, und wenn man etwas genauer nachdenkt, eigentlich erst im Entstehen. Fest steht, dass es am 06. 11. 2002 einen Zug mit ca. 500 AktivistInnen an Bord aus Wien nach Florenz gegeben hat, fest steht weiter, dass die Fahrt von der Gewerkschaft der Eisenbahner bezahlt wurde. Und fest steht letztendlich auch, dass die Menschen unter dem Eindruck der florentinischen Verhältnisse beschlossen haben, ein Sozialforum im österreichischen Staat zu installieren. Aber der österreichische Staat ist nicht der italienische, und diese beiden haben wenig gemeinsam mit Porto Alegre, wo die Bewegung der Sozialen Foren ihre Wurzeln hat. Alles muss halt auf die hiesigen, uns allen bekannten, Verhältnisse gebogen werden. Dass dabei auch Pannen passieren, wie z.B. das große nationalistische und eurozentrische Transparent „Ein anderes Österreich für ein soziales Europa.“, dass die MigrantInnen in einem rassistischen Duktus auf der Tagesordnung „Ausländer“ genannt werden, und dass manche linke Gruppen im Namen der Antikriegsbewegung auch gleich gegen die Besatzung Palästinas vorgehen wollen, kann noch immer als ein relativ unreflektierter Zugang zu diesen politischen Feldern verstanden werden. Lang wird es aber nicht dauern, bis von allen klare und eindeutige Positionierungen verlangt werden. Genau um das ging es bei dem Treffen. Um die „größte gemeinsame Vielfalt“, wie ein Aktivist es ausdrückte. Ob sich diese auch tatsächlich herauskristallisiert, wird erst die Zukunft zeigen.

Insgesamt waren am 18. 01. 2003 in Hallein um die hundert AktivistInnen anwesend. Die Hälfte etwa aus Wien, aber auch aus Salzburg, Innsbruck, Steiermark, Ober- und Niederösterreich, soviel ich erkennen konnte. Alle Alterstufen. Um einiges mehr Männer als Frauen. Und ein paar MigrantInnen. Keine VertreterInnen von Behinderten-Organisationen und auch keine der Lesben- und Schwulenorganisationen. Das Treffen ist das zweite in einer Reihe von vier, die zum großen Gründungstreffen Ende Mai führen sollen. Das erste Treffen nach Florenz wurde Mitte Dezember in Wien organisiert, und das nächste wird am 01.03.2003 in Linz stattfinden. Ziel des Treffens in Hallein war es, die Vorstellungen weiter zu konkretisieren und sich dem, was allen gemeinsam ist, anzunähern. In fünf Arbeitsgruppen wurde über Grundsätze, Programm, Vernetzung, Organisation und Frieden diskutiert. In meiner Arbeitsgruppe über die Grundsätze durchaus auch kontroversiell. Die Meinungen reichten von Samba als allgemeine strategische Vorgangsweise, die „eine menschlichere Welt“ erreichen soll, über Ablehnung und Befürwortung der Parteienpräsenz bis zur strikten Ablehnung des nationalstaatlichen Prinzips. Wesentlich dabei ist, dass alle diese Gruppen und EinzelaktivistInnen in einem Raum waren und sich um eine Atmosphäre, die andere aussprechen lässt und zu verstehen versucht, zumindest bemühten. So standen da die VertreterInnen der Gewerkschaften neben denjenigen der politisch antirassistischen Gruppen und feministischen Gruppen genauso wie einige der linken Gruppen, wie sie nur selten so an einem Ort zu treffen sind. Dass dabei der Vorschlag, Ende Mai die Autobahn zu blockieren und so einen Anschluss an die Probleme der lokalen Bevölkerung Halleins zu finden, im Plenum hauptsächlich unter dem Gesichtspunkt der medialen Mainstreamtauglichkeit diskutiert wurde, zeigt allerdings ein Politikverständnis, das relativ problematisch ist. Ein Teil der AktivistInnen wollte unbedingt Präsenz in den Medien und nahm dabei die offensichtliche Aufgabe der Medien als Konfliktnivellierer kaum zur Kenntnis.

Damit offenbart sich auch das Paradoxon dieser Versammlung, denn manche wollen etwas mittels Kampf, Auseinandersetzungen und Konfliktinszenierungen verändern und buhlen gleichzeitig dabei fast kindisch um die Anerkennung der Gegenseite. So wird sich das in Zukunft sicher nicht abspielen, wenn das Sozialforum für sich irgendeine politische Ernsthaftigkeit beanspruchen will. Aber wie gesagt, das alles ist erst ein hoffnungsvoller Anfang, und die konkreten Ergebnisse werden erst folgen. Die Bewegung ist erst im Entstehen, und wenn sie einen nicht nationalistischen, nicht sexistischen und nicht rassistischen Weg einschlagen soll (was trotz guter Absichten derzeit keineswegs klar ist), dann muss auch eine breite Diskussion geführt und ausgetragen werden.

In diesem Sinn hier ein Aufruf an alle Kräfte, auch aus dem Kultur- und Kunstbereich, der in Hallein am 18.01.2003 vor allem mit radikaler Abwesenheit glänzte, sich in den Diskurs um die Gründung des ASF einzuschalten und die AktivistInnen in ihren Bemühungen zu unterstützen. Allianzen bilden heißt zeitweilige Parallelisierung der Interessen, um ein gemeinsames Ziel zu erreichen. Je stärker die gemeinsamen Interessen sind umso dauerhafter die Ziele. Die Allianzen brauchen Räume und ein solcher Raum ist gerade dabei sich in Form des ASF zu konstituieren.

Austrian Social Forum, 29.05. – 01.06.2003, Hallein (Sbg) Vorbereitungstreffen: 01.03.2003, Linz (AK, Volksgartenstr. 40) http://www.socialforum.at

Ljubomir Bratic

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