Kultur des Machtmissbrauchs

Machtmissbrauch, Mobbing, sexualisierte Übergriffe – normalisierte Arbeitsrealität im österreichischen Kunst- und Kulturbereich, weiß Clara Gallistl. Die neue Vertrauensstelle VERA soll’s jetzt richten. Aber was muss sich wirklich ändern? Ein persönlicher Bericht.

Erste Produktion

Kantine des Akademietheaters. Premierenfeier. Es ist meine erste Produktion an einem Theater, und dann gleich das Burgtheater. Ich studiere Germanistik, bin 21 Jahre alt und durch einen glücklichen Zufall an die Position der Regiehospitantin für das Weihnachtsstück gekommen. Für mich ist es in dem Moment das Größte – Teil des Burgtheaters zu sein und die Profis täglich bei der Arbeit zu sehen.

In meiner Zeit am Burgtheater lerne ich wahnsinnig viel. Das geringe Honorar, die über alle Grenzen gehenden Arbeitszeiten, der emotionale Druck – das alles nehme ich gerne in Kauf, um an diesem Theater mit Weltruf erste Arbeitserfahrungen und Kontakte in die Theaterszene machen zu dürfen. Mit meinem direkten Vorgesetzten und den meisten Kolleg*innen verstehe ich mich sehr gut. Ich gehe auf im Theater-Vibe. Alles ist frei, ohne Grenzen, die kreativen Energien fließen. Ich liebe es.

Erster Übergriff

Eines Tages frage ich einen Schauspieler, der doppelt so alt ist wie ich und den ich als Bezugsperson wahrnehme, weil er so nett ist zu mir, ob ich in einer der wenigen Pausen in seiner Garderobe kurz ein Nickerchen machen kann. Andere Rückzugsorte sind mir nicht bekannt. Und bei 12h+ Diensten muss ich einfach mal kurz in Stille Pause machen. Er ist nett und sagt sofort zu. Als ich mich zum vereinbarten Zeitpunkt in seiner Garderobe einfinde, ist er auch da. Ich frage ihn, ob es sich um ein Missverständnis handelt, aber er schlägt vor, dass wir es uns „gemeinsam gemütlich machen”. Mir wird schlecht. Ich unterdrücke Tränen. Ich bin komplett überarbeitet, hundemüde und die Person, der ich gerade vertraut habe, findet es normal, mich in dieser Situation anzubraten. Mit keiner Wimper zeigt er, dass er ein Bewusstsein für die Unangemessenheit der Situation hat. Ich schäme mich.

Ich bin allein in einer versperrten Garderobe mit diesem Mann, dessen Wort im Betrieb wesentlich mehr zählt als meines, und der im Gegensatz zu mir in der Produktion nicht ersetzbar ist. Wie sich weibliche Personen in potenziell gefährlichen Situationen eben verhalten, mache auch ich einen Scherz, überspiele meine Angst und spiele den Übergriff herunter. Er entschuldigt sich. „Jaja, alles kein Problem. Missverständnis.”, sage ich und schaue, dass ich das Weite suche.

Alltag?

Ein paar Wochen später hat ein anderes Stück Premierenfeier im Akademietheater. Die Stunde ist fortgeschritten und so auch der Alkoholkonsum des besagten Schauspielers, der mich plötzlich und ohne vorhergehendes Gespräch ankeift, warum ich nicht mit ihm schlafen will. Ich bin überrascht, beschämt vor all den Leuten, mit denen ich für meine Karriere Kontakte aufbauen möchte, und reagiere nicht. Da wird er lauter und wirft mir über mehrere Meter Entfernung hinweg an den Kopf, dass es meine Pflicht sei, mit ihm zu schlafen, weil er sich sonst sexuell nicht weiterbilden könne. Nichts von dem macht irgendwie Sinn. Trotzdem schäme ich mich zu Tode. Niemand mischt sich ein. Genauso laut wie seine Anschuldigungen ist die Stille der Anderen.

Wie die meisten Betroffenen von sexualisierten Übergriffen melde ich beide Vorfälle nicht. Genügend Menschen wissen von der ‚Vorliebe’ des Schauspielers, ‚Geschichten’ wie meine sind Normalität. Außerdem will ich den Kolleg*innen, die ja auch alle überarbeitet scheinen, nicht zusätzlich zur Last fallen. 

Unlearning is a process

Ich erzähle mein Erlebnis hier, damit klar wird, wie Übergriffe zustande kommen. Klar gibt es schreckliche Vorfälle von Vergewaltigungen und anderen physischen Übergriffen, Karriereenden und psychischer Krankheit. Meine Erfahrung ist so unscheinbar, dass ich lange nicht darüber gesprochen habe. Wie viele Betroffene hätte ich auch nicht gewusst, wohin ich mich wenden kann. Heute ist das anders.

Als Referentin von Kulturstaatssekretärin Andrea Mayer konnte ich helfen, die Vertrauensstelle VERA auf den Weg zu bringen. Ich finde es schön und erleichternd, dass der Bund damit seinen Teil der Verantwortung für ein System übernimmt, das immer noch stark hierarchisch (patriarchal-kapitalistisch) geprägt ist. VERA wird keine reine Anlaufstelle sein, an die sich nur Betroffene wenden. VERA wird mit Präventionskonzepten und Kommunikationsarbeit die Arbeitsmentalität in Kunst, Kultur und Sport für alle Beteiligten sicherer machen. Und das ist wichtig, denn es geht nicht nur um sexualisierte Übergriffe von cis-Männern in Machtpositionen auf cis-Frauen in Ausbildungs- oder anderen Abhängigkeitsverhältnissen. Wer grundsätzlich die eigene Wirkungsmacht nicht hinterfragt, nicht mit dem Bewusstsein der Allgegenwart von Diskriminierung arbeitet und stets Offenheit und Angemessenheit prüft, dem „passiert“ Sexismus, Rassismus, Homo-, Bi- und Transphobie und andere Diskriminierungen. „Unlearning is a process“, sagt unter anderem Mwoyo, Performer*in in Wien. Und wir alle müssen uns diesem Prozess gemeinsam stellen.

See it. Say it. Sort it.

Was sich wirklich ändern muss, ist die Art und Weise, wie wir miteinander umgehen. Cis-Männer mit hohem sozialen, kulturellen und ökonomischen Kapital werden vom System bevorzugt. Neben Frauen werden auch queere Personen, BIPOCs, Menschen mit Behinderungen und geringem sozio-kulturellen wie ökonomischen Kapital benachteiligt. Faire Gehälter, aktive Anti-Diskriminierung, Barrierefreiheit, familienfreundliche Arbeitszeiten… das alles sind Themen, denen sich die Kunst und Kultur stellen muss, wenn sie echte Vielfalt in ihrer Produktionsweise erreichen will.

Im Londoner U-Bahnnetz kommt man am Spruch „See it. Say it. Sort it.” nicht vorbei. Es ist eine Awareness-Kampagne, die sich für Zivilcourage einsetzt. Ich denke, genau diese Einstellung innerhalb des Kunst- und Kulturbereichs muss sich ändern. Und es liegt nicht an den Betroffenen selbst, sondern an den Institutionen, den älteren Kolleg*innen, den Führungspersonen. Alle Beteiligten müssen wissen, dass sie in einem sensiblen Bereich arbeiten und Achtsamkeit in den Berufsalltag integrieren.

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