Assimina Gouma über die beeindruckende Karriere des Integrationsbegriffs
Wien Aktionen zum Tag des Transnationalen Migrantinnenstreiks statt. Damit schließt ein Bündnis aus Migrantinnen und Aktivistinnen an die transnationale Mobilisierung an, die in den letzten Jahren in den USA, Frankreich, Italien und Griechenland stattgefunden hat. Inhalt der Proteste ist es auch, der Migration eine politische Stimme zu geben. Zeitgleich zu den Vorbereitungen für den 1. März hat der Ministerrat die Novellierung des Fremden- und Asylrechts abgesegnet. Unter dem Vorwand der „Integration“ haben die Regierungsparteien ein Regelwerk vorbereitet, das die Illegalisierung von Migrantinnen vorantreibt.
Die politischen Anliegen der Aktivistinnen und der regierenden Parteien sind gegensätzlich. Manche träumen davon, Migration vollends kontrollieren zu können, andere setzen sich für das Recht auf Bewegungs- und Niederlassungsfreiheit ein. Einerseits gibt es viele gesellschaftliche Akteurinnen, die vom Interesse, stattfindende soziale Ordnung zu konservieren, getrieben werden. Anderseits gibt es jene, die eine Veränderung der Gesellschaft durch Grenzüberschreitungen fordern bzw. erzwingen. Denn Migrantinnen verändern die Gesellschaft, indem sie Grenzen überschreiten und Nationen „überwinden“. Gesellschaft, Politik und Ökonomie reagieren auf Migration und Migrantinnen: Machtverhältnisse werden neu formuliert bzw. übersetzt.
Die beeindruckende Karriere des Integrationsbegriffs
Die erfolgreichste Übersetzung politischer Machtverhältnisse ist das Integrationsparadigma: Die Frage der Integration bestimmt den gesellschaftlichen Umgang mit Migration und blendet andere Aspekte völlig aus. Die Wissensproduktion rund um „Integration“ läuft indes auf Hochtouren: Integrationsbarometer, Integrationsindikatoren, Integrationsbeauftragte und Integrationsvereinbarungen sind nur wenige Beispiele dafür.
Die Gründe, warum „Integration“ zu einem politischen Schlager avancierte, sind vielfältig. Der Integrationsbegriff setzt eine homogene Mehrheitsgesellschaft voraus. Damit stellt er kein Risiko für nationale Narrative dar. „Integration“ wird zudem als Abgrenzung zu „Assimilation“ bemüht, um sich vom Verdacht des kolonialen Erbes der westlichen Gesellschaften zu distanzieren. Die Parole „Integration statt Assimilation“ galt lange Zeit „als non plus Ultra des linksliberalen fortschrittlichen Denkens“ (Bratić 2010: 43f.) Eine ganze Generation von Sozialwissenschaftlerinnen verschrieb sich daraufhin der Aufgabe, den inhaltlichen Unterschied zwischen Integration und Assimilation aufzuzeigen.
Trotz dieser Bemühungen erwies sich „Integration“ als besonders elastisch in den Händen der politischen Akteurinnen: Es gibt kaum gesellschaftliche oder ökonomische Konflikte, die nicht medial wirksam auf die „Integrationsunwilligkeit“ der Migrantinnen zurückgeführt werden. Auch die florierende Industrie der Integrationsindikatoren demonstriert die Elastizität des Integrationsbegriffs: So wurden in Fragebögen der 80er Jahre Migrantinnen nach den Dimensionen „Arbeitswilligkeit“, „Hilfsbereitschaft“, „Reinlichkeit“, „Freundlichkeit“ und „Anpassungsfähigkeit“ beurteilt. Im Gegensatz dazu sollen heute „Sprache“, „Homophobie“ und „Frauenrechte“ das Maß der Integration angeben. Angesichts dieser Entwicklung liegt der Schluss nahe, dass Integrationsindikatoren in ihrer Vorgefasstheit kaum etwas über Migrantinnen aussagen: Vielmehr liefern sie Einblick in das gefällige Selbstbild einer wie auch immer definierten Mehrheitsgesellschaft.
Antirassistische Interventionen
Der Integrationsbegriff versperrt sowohl den Blick auf Fragen des Rassismus als auch auf die globalen Produktions- und Arbeitsverhältnisse, obwohl Migration innerhalb dieser Bedingungen stattfindet. Im Gegensatz dazu begreift der Integrationsdiskurs in der Herkunft begründete soziale Ungleichheiten entweder als selbst verschuldet oder als Ergebnis kultureller Differenzen, während strukturelle Rassismen und Exklusionsmechanismen ausgeblendet werden.
In den letzten Jahren war die Dekonstruktion der politischen Verhältnisse rund um “Integration” ein Thema für Wissenschaftlerinnen und Aktivistinnen. Der Politikwissenschaftlerin Manuela Bojadzijev (2008) gelang es, aufzuzeigen, wie die migrantische Forderung nach Kollektivrechten in individuell zu erbringende Leistungen übersetzt wurde: Die Kämpfe der Gastarbeiterinnen nach Gleichberechtigung und Inklusion in die gesellschaftlichen Strukturen wurden politisch in einen Integrationsimperativ umgedeutet. Der rassismustheoretische Zugang zu „Integration“ hatte eine Reihe von Aktionen zu Folge: Die Aufrufe „Demokratie statt Integration“ in Deutschland oder „Ausschluss Basta“ in Österreich haben breite Unterstützung erfahren. Es heißt, dass Utopien Ventil für politisches Handeln sind. In den aktuellen Protesten rund um den 1. März spielt „Integration“ keine Rolle. Die Aktionen grenzen sich auch inhaltlich von Diversity- oder „Nützlichkeits“- Diskursen ab. Denn das argumentative Arsenal rund um die Einführung der Rot- Weiß-Roten Karte führt nicht zu gerechteren Arbeits- und Lebensbedingungen, sondern Migration abseits deFekter Integration kulturpolitik – mit den Worten von Ljubomir Bratić – zu einem „neuen Gastarbeitertum“.
In Vordergrund der Proteste rund um den Transnationalen Migrantinnenstreik am 1. März standen Fragen nach antirassistischen Interventionen und der Anspruch auf gleiche Rechte für Alle. Aus diesem Grund richten sich die Aktionen nicht nur an Migrantinnen, sondern auch an alle anderen, die sich gegen soziale Ausschlüsse solidarisieren. Dabei geht es um das Verständnis von Migration als eine Bewegung, die in Zusammenhang mit den umfassenden gesellschaftlichen Kämpfen um gerechtere Arbeits- und Lebensverhältnisse steht. Es gilt die Gruppe der Migrantinnen trotz ihrer Heterogenität als politische und soziale Bewegung sichtbar zu machen: „Wir kommen als Arbeiterinnen und als Familienangehörige, Studierende und Menschen ohne Papiere, Lehrende und Sexarbeiterinnen, Flüchtlinge und Ärztinnen, Pflegekräfte […] Wir haben alle Geschlechter und sexuellen Orientierungen, alle Religionen und Weltanschauungen, sind aus allen Altersgruppen und aus allen Schichten. Wir kommen von überall, haben alle Hintergründe, mal definieren wir uns über sie, mal können wir damit nichts anfangen. Wir suchen weder ein altes noch einen neues Vaterland. Wir leben da und dort. Grenzen sind uns zu eng, sie passen nicht zu uns.“ (Auszug aus der Website der Aktionen)
Literatur Bojadzijev, Manuela (2008): Die windige Internationale. Rassismus und Kämpfe der Migration. Münster: Westfälisches Dampfboot. Bratić, Ljubomir (2010): Politischer Antirassismus. Selbstorganisation, Historisierung als Strategie und diskursive Interventionen. Wien: Löcker.
Assimina Gouma ist Kommunikationswissenschaftlerin und lebt in Wien. Sie ist Mitglied der Forschungsgruppe “Kritische Migrationsforschung [KriMi]”.