Vor allem im Kunst- und Kulturbereich spaltet Partizipation als Schlagwort zuweilen die Meinungen. Doch was ist, was kann und vor allem: was soll diese? Und wie können Kulturtätige trotz bestehender Ausschlussmechanismen durch Partizipation kulturelle Teilhabe fördern? Siglinde Lang analysiert den Begriff und gibt konkrete Empfehlungen.
Was ist Partizipation an und in Kultur?
Jeder Mensch hat und lebt Kultur. Denn Kultur ist Ausdruck unserer Lebensweise, unserer Haltungen, unseres individuellen oder gemeinsamen Tuns. Kultur zeigt sich in kulturellen Formaten und Praxen, mit denen wir unser Welt- und Selbstverständnis erfahren, vermitteln und sichtbar machen. Kultur ist auch stets wandelbar, verändert und entwickelt sich. Am kulturellen Leben teilzuhaben, ist in den Grundrechten verankert – und dennoch keine Selbstverständlichkeit. Partizipation an und in Kultur umfasst folglich, ein Grundrecht zu gewährleisten, kulturelle Teilhabe zu ermöglichen und kulturelle Entwicklungen mitzubestimmen/mitzugestalten.
Wo setzt Partizipation im Kultursektor an?
Die Vielfalt kultureller Ausdrucksweisen prägt eine postmigrantische, diverse und demokratische Gesellschaft. Neben Sprache, Ethnizität und Religionszugehörigkeit stellen Alter, Geschlecht, sexuelle Orientierung, körperliche und geistige Behinderung sowie psychische Erkrankung kulturelle Exklusionsmechanismen dar. Dazu kommen räumliche Distanz, also fehlende kulturelle Angebote im Lebensumfeld, sowie die Auffassung, dass Kunst und Kultur für die eigene Lebenswelt nicht relevant, sondern elitär seien. Auch hohe Eintrittspreise oder mangelnde Zeitressourcen sind Ursachen einer Nicht-Teilhabe.
Somit haben nicht alle Menschen Zugang zu Kultur, zumindest nicht `gleichen´. Denn Kultur ist stets in Produktionsstrukturen und Machtverhältnisse eingebettet, die diese Exklusionsmechanismen und kulturellen Barrieren bedingen.
Was soll Partizipation in der Kulturarbeit?
Basale Intention von Partizipation ist es, diesen kulturellen Ausschlüssen entgegenzuwirken. Zentrale Aufgabe besteht folglich darin, kulturelle Teilhabe und Mitbestimmung zu ermöglichen.
In der partizipativen Kulturarbeit sind es zumeist Projekte, die sich konkret an spezifische, oft marginalisierte, Personengruppen richten. Ein `klassisches´ – und auch homogenes – Publikum kann zumeist nicht vorausgesetzt werden. So werden oft Themen und Inhalte aufgegriffen, die im öffentlichen kulturellen Leben ausgeblendet sind, zumindest wenig Gehör und Sichtbarkeit erfahren – in der Lebenswelt der Beteiligten jedoch hohe Relevanz für ihren Alltag, ihre Erfahrungen, Bedürfnissen und Interessen haben. Diese können durchaus auch widersprüchlich sein. Räume eines diversen (projektbezogenen) Miteinanders herzustellen, kann folglich als weitere Aufgabe von Partizipation angesehen werden.
Wie kann Partizipation in der kulturellen Praxis umgesetzt werden?
Wie Partizipation realisiert wird, kann sehr unterschiedlich sein – und muss nicht per se ein aktives Mitmachen aller Beteiligten, bedeuten. (Dezentralen) Orten und (öffentlichen) Räumen kommt ein hoher Stellenwert zu, ebenso dem Postulat einer vielfältigen kulturellen Praxis. Ein einladendes und prozessorientiertes Projektmanagement sowie die kontinuierliche Kommunikation mit den Beteiligten ist stets Voraussetzung.
Formate und Praxen kultureller Partizipationsprojekte sind stets vom Umfeld, der Intention und budgetären Situation definiert. Zahlreiche partizipative Projekte entstehen unmittelbar aus dem Wahrnehmen konkreter kultureller Ausschlüsse. Diesen entgegenzuwirken kann auf verschiedene Weise erfolgen. In der Partizipationsforschung gehen Stufenmodelle davon aus, dass transparente Information und eine Anhörung der Interessen von eingeladenen und/oder adressierten Partizipant*innen die Basis sind, damit Mitbestimmung und Co-Creation überhaupt ermöglicht werden können. Programmatiken und Formate sollten zumindest teilweise gemeinsam entwickelt werden. Höchste Stufe, auch Intention, bilden stets Selbstorganisation und eigenverantwortliches Handeln.
Was können Kulturtätige tun?
Oft ist es jedoch gar nicht so einfach, Menschen für ein Einlassen auf Kunst und Kultur, eine Mitgestaltung dieser, zu gewinnen. Kulturtätige können
Auf Menschen zugehen
Das Zugehen auf Menschen ist die wichtigste Prämisse, um Partizipation zu ermöglichen und kulturelle Teilhabe zu unterstützen. ‚Kunst‘ und kulturelle Angebote kommen zu den Menschen. Je nach Vorhaben und Umfeld gilt es auszuloten, wo und wie wir, als Kulturtätige, jene Personen ansprechen, die wir zu einer Beteiligung einladen möchten – und wer uns als Sprachrohr und Kommunikationskanal dabei unterstützen kann.
Anbindungen an die Lebenswelten herstellen
Programme speisen sich nicht aus dem klassischen Schul- oder Bildungskanon, sondern stehen in unmittelbarem Bezug zu jenen Personen, die adressiert werden. Inhalte greifen das Lebensumfeld und die Alltagserfahrungen der Beteiligten auf und verhandeln diese in einem gemeinsamen Prozess.
Ein vielfältiges und offenes Verständnis von Kunst und kulturellen Praxen mitbringen
Künstlerische und mediale Formate als kulturelle Praxen verändern sich ständig. Teilhabe an kulturellen Entwicklungen kann das Hochladen von TikTok-Clips, künstlerisch aktiv zu sein die Produktion digitaler Klingeltöne oder das Zeichnen von Comics bedeuten. Der Kanon an kulturellen Praxen ist ebenso divers und wandelbar wie die Gesellschaft selbst.
Lust auf Kunst und Freude an künstlerischer und kultureller Aktivität wecken
Eine Atmosphäre zu gestalten, in der sich die Menschen wohlfühlen, ist Voraussetzung, um sich auf kreatives Tun einzulassen. Im Laufe ihrer Sozialisation, biografischen Erfahrungen und auch der Dichte des Alltags haben viele ‚vergessen‘, wie bereichernd das Ausüben einer kulturellen Aktivität oder das Einlassen auf Kunst sein kann. Ein niedrigschwelliges ‚Einfach mal Vorbei-Schauen‘ kann dem entgegenwirken.
‚Werkzeuge‘ der kulturellen Mitgestaltung vermitteln
Viele Menschen möchten gerne mitmachen. Oft fehlen jedoch das Vertrauen, die Zeit und auch der Rahmen, um kulturelle, kreative und künstlerische Praxen zu erproben. Workshops in vertrauter Umgebung helfen Schwellenängste abzubauen und unterstützen das kurzweilige Ausprobieren.
Eine gemeinsame Sprache finden
Eine persönliche, verständliche und wertschätzende Kommunikation bedeutet, dass Gespräche, Materialien, Informationen und die programmatische Ausgestaltung die eingeladenen Personen in ihrer (Alltags)Sprache abholt. Damit ist neben erlernten Mutter-/Erstsprachen, Dialekten oder einem generationsspezifischen Jargon auch Verständlichkeit gemeint, die etwa Bildsymboliken und Design umfassen kann.
Offene Prozesse und stufenweise Selbstermächtigung unterstützen
Den Weg zu selbstorganisiertem kulturellen Handeln zu ermöglichen, umfasst, dass die adressierten Personen in ihrer Bereitschaft, am kulturellen Leben aktiv teilzuhaben, ‚abgeholt‘, ermutigt und unterstützt werden. Offen für einen nicht immer ‚perfekten‘ Projektverlauf zu sein, ist oft ein Haltungsfrage – unterstützt Prozesse der Selbstermächtigung jedoch fast immer!
Das von Siglinde Lang entwickelte Stufenmodell Partizipation in der Kulturarbeit ist hier downloadbar: