Mitgegeben

Teilhabe in der Kulturforschung 

Angela Wieser

Aktuell arbeite ich an einem europäischen Forschungsprojekt zum Thema Kulturerbe. Schon in der Antragsstellung haben wir den Forschungsverlauf als partizipativ beschrieben. Einerseits, weil wir überzeugt sind, dass ein Forschungsfeld nur über die Perspektive der involvierten Personen erforscht werden kann. Andererseits, weil Partizipation zu einem Schlagwort geworden ist, das – geht man nach den meisten Ausschreibungen – in jedem Antrag vorkommen soll. Jetzt, am Ende des Forschungsprozesses, besteht im Team Unsicherheit, ob wir partizipativ genug gearbeitet haben. Wurden ausreichend Kulturschaffende in den Forschungsprozesse eingebunden? Es ist nicht einfach, Personen für eine Teilnahme zu gewinnen. 

Partizipation kostet Zeit, die sich Teilnehmende nehmen und leisten können müssen. Wenn wir wollen, dass Kulturschaffende sich an einem Forschungsprozess beteiligen, muss dieser den begrenzten Ressourcen im Kulturbereich Rechnung tragen. In seiner besten Form sollte es ein Prozess der Ermächtigung sein und zu einem Ergebnis führen, das für die Teilnehmenden anwendbar und nützlich ist.

Im Fall des erwähnten Forschungsprojekts bin ich mit unserer Arbeit zufrieden, denn wir haben denjenigen, die sich die Zeit genommen haben, etwas geboten, indem wir Wissensaustausch ermöglicht und ein Ergebnis erarbeitet haben, das ihre konkrete Arbeit unterstützen kann.

In vergangenen Projekten haben wir wiederholt auch zu Barrieren von kultureller Partizipation geforscht. In solchen Fällen ist dieser Anspruch umso relevanter. Denn hier ist das Ziel, den (politisch) Verantwortlichen Möglichkeiten zum Abbau von Hindernissen aufzuzeigen und denjenigen, die aus Kulturleben und Kulturinstitutionen ausgeschlossen sind, konkrete Instrumente der Ermächtigung zu bieten. Daten und Analysen über Hindernisse kultureller Partizipation können solche Instrumente darstellen. Auf diese Weise kann die Kulturforschung dazu beitragen, Forderungen nach erhöhter Teilhabe insbesondere marginalisierter Gruppen zu unterstützen.


Modelle für partizipatives Lernen

Wolfgang Schmutz

Ich arbeite täglich an einer Teilnehmer*innen-zentrierten Vermittlungspraxis. Gemeinsam mit Kolleg*innen entwickle ich diese weiter, sammle Erfahrungen, schärfe darüber mein Denken und entwerfe Formate, in denen dieser Ansatz von Vermittler*innen erfahren und an sie weitergegeben werden kann. 

Die größte Herausforderung dabei ist, Modelle der Weitergabe zu schaffen, die selbst partizipativ gestaltet sind. Diese Modelle orientieren sich zuvorderst an den Teilnehmenden, verändern sich auf Basis ihrer Bedürfnisse und Inputs und sind entsprechend offen gestaltet. Ziel ist es, dass sich darin schon die angestrebte Didaktik zeigt und verständlich wird, worauf es ihr ankommt: auf die gemeinsamen Lernerfahrungen von Individuen in einer Gruppe. Durchführende sind dabei immer auch Teilnehmende, die Positionen zwischen lehrend und lernend wechseln fortwährend.

Es ist zentral, eine präzise Architektur für so ein Lernen zu entwickeln, in der die Durchführenden sich auf wenige aber wesentliche Punkte konzentrieren. Genau hinzuhören, was eigentlich im Raum ist, den Teilnehmenden nicht Richtung, sondern Orientierung in den eigenen Lernprozessen anzubieten, darauf kommt es an. Erreichbar ist dies nur im Rahmen kollegialer Co-Kreation, wer Partizipatives entwickelt, darf darin nicht alleine sein. Damit ist dieses Modell auch ein Modell über Vermittlung hinaus. Es bildet Teilhabe nicht nur ab und macht diese konkret erfahrbar, sondern ermöglicht erst die fortlaufende Entwicklung von Teilhabe. 

Mein Feld ist die Holocaust Education an Gedenkstätten, in Museen, im Rahmen von Ausstellungen. Immer öfter arbeite ich im Rahmen mehrjähriger Projekte. Im Grunde tüftle ich seit zehn Jahren am selben, in immer wieder neuen Umgebungen, mit alten und neuen Kolleg*innen, von und mit denen ich ständig weiterlerne. Das ist unglaublich spannend, schön und bereichernd. Die Ansätze, mit denen wir arbeiten, betreffen Vermittlungssituationen ebenso wie die Zusammenarbeit untereinander und unsere Rollen in der Gesellschaft. Während wir uns mit Geschichte beschäftigen, machen wir Gesellschaft. 


KV KAPU: Alles für Alle

Phil „Sicko“ Hues

Die Betriebsgruppe (BG) ist das mittwöchentliche offene und öffentliche Forum der KAPU. Ihre Relevanz verhält sich dynamisch zu den Bedürfnissen der Programme in der KAPU. Ihre Bedeutung ergibt sich aus-sich-selbst-heraus. Die BG bedingt freies Sprechrecht, die Inhalte sind unvorherbestimmbar. Das führt zunächst zu Chaos – energiegeladen, aber eigentlich kaum in Worte zu fassen;

Jedenfalls haben sich Fredl und Wastl manchmal so gefetzt, dass Watsch’n verteilt wurden, Rudi hat seine jeweils aktuelle Band mehrmals aufgelöst und ich war der Meinung, die sind alle viel zu alt und sollen sich endlich schleichen. Das war ca. 1993, Fredl und Rudi waren 25, ich 19. Demnach sollte ich mich also schon längst geschlichen haben.

Unabhängig vom Tonfall bedingt das Chaos, dass Ideen von ihrem normativen Ballast befreit werden. Dieser dionysische Zustand hat seinen Ursprung in Leidenschaft – zunächst ist alles erlaubt, keine Idee zu doof. Sollte es entgleiten, auch wenn’s ruppig wird, keine Angst, Toleranz ist Grundbedingung. Wie bei einem geilen Konzert wollen wir mehr. Alternative Kultur braucht die Bereitschaft, alles aufs Spiel zu setzen: Dieses Leben gehört UNS.

Mitzi hat dann an der Bar über die Stränge geschlagen und Sepp war echt beleidigt. Das ließ sich nicht mehr richten. Sie haben das dann ein paar Tage später unter vier Augen geklärt.

Nachdem alle Beziehungen gekappt und wieder aufgebaut sind, kann das Kollektiv zur Tat schreiten – der Kern des Prozesses: Ein offenes Forum ist sinn- und nutzlos, wenn nicht am Ende eine neue Idee, ein Entschluss steht. Kein Muss, ein Wollen.

Dabei geht es effizient zu, keine Zeit mehr für Animositäten. Dies verlangt Aufrichtigkeit und unglaublich viel Vertrauen sowie Verantwortung. Und Humor. Ein Uhrwerk wird zusammengesetzt, jedes Mal wieder NEU – sonst sind das Projekt und irgendwann der Verein tot.

Hauptsächlich werden in der KAPU durch die BG viele Dienste besetzt. Die Bezahlung erfolgt in Bier.


Wenn alle mitreden wollen

Anna Rieder

Ein Kulturverein, viele Mitwirkende und zwei leitende Personen, die die gesamte Verantwortung tragen. Dass sich an diesen Strukturen etwas ändern soll, hat das Team der YOUKI im Jänner 2021 beschlossen. Man wolle mehr mitentscheiden, die Leitung entlasten, besser Bescheid wissen, stärker eingebunden sein. Der Beschluss hat schließlich zu einem gemeinsamen Prozess geführt, mit dem Ziel, die Organisationsstruktur partizipativer zu gestalten. Über mehrere Wochen hinweg haben Leitung und Team in einer Online-Klausur gemeinsam erkundet, wie sie miteinander arbeiten wollen.

Partizipative Organisationsstrukturen sind energieintensiv. Man braucht Gelassenheit und Vertrauen in jene, die mitentscheiden. Man muss sich bewusst sein, dass auch Entscheidungen getroffen werden können, die für eine*n selbst nicht passen und akzeptieren, dass nicht immer alles einwandfrei abläuft.

Partizipativ zu arbeiten bedeutet nicht, dass es keine Hierarchien gibt. Ganz im Gegenteil sind diese wichtig. Zentral ist, dass Führen nicht dasselbe ist wie Leiten. In bestimmten Situationen braucht das Team eine Führung, die Entscheidungen trifft und die Verantwortung trägt. Manchmal will das Team aber nur dorthin geleitet werden, wo es selbst bestimmen kann. Oft geht es darum, Klarheit zu schaffen, Zuständigkeiten und Kommunikationswege zu definieren, oder vorzugeben, wie und wann Entscheidungen getroffen werden.

Als Co-Leiterin des YOUKI-Festivals schaffe ich Rahmenbedingungen, in denen das Team bestmöglich arbeiten kann. Ich unterstütze und beobachte, meine Entscheidung ist mir dabei nicht so wichtig. Je mehr Verantwortung übertragen wird, je eigeninitiativer das Team arbeiten kann und je mehr Vertrauen ihm gegeben wird, umso mehr wachsen Motivation, Commitment und Engagement. 

Unser Veränderungsprozess ist nach wie vor im Gange. Wir probieren weiterhin viel aus, geben einander Feedback und hoffen, dass es uns nicht zu lästig wird. Bisher sind wir auf einem guten Weg.

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