ZwischenSpielRäume

Kreatives Europa!? Ein Fallbeispiel. Die KUPF-Mitgliedsinitiative MAIZ erzählt in der aktuellen KUPFzeitung #149 über ihr aktuelles EU-Projekt „Mezzanin„.

Der Verein maiz definiert seine Arbeit durch Selbstorganisation, Partizipation, Autonomie, Widerstand, Transformation & Utopie. Seit 20 Jahren engagieren sich die Mitarbeiterinnen mit Elan, Geduld, fundiertem Wissen und Mut die Lebens- und Arbeitssituation von Migrantinnen zu verbessern. Die umfangreiche Erfahrung bei der Umsetzung vieler EU-Projekte zeichnet den unabhängigen Verein aus und ist Anlass, seine Aktivistinnen einzuladen über ihr aktuelles Projekt INTERMEZZO/MEZZANIN zu berichten. Dabei handelt es sich um ein Bildungsangebot im Bereich Kunst, Kultur und Medien für jugendliche Migrantinnen nach dem Abschluss der Pflichtschule. Es soll ihnen bei der Orientierung im Feld der Berufs- und Bildungsmöglichkeiten helfen. Die KUPF ist Kooperationspartnerin bei diesem Projekt.

Weshalb der Projekttitel INTERMEZZO/MEZZANIN?

INTERMEZZO und MEZZANIN sind hier als Zwischenräume gemeint. Auf einer pragmatischen Ebene ist die Zeit zwischen zwei Abschlüssen oder zwischen Abschluss und Berufsweg gemeint. In politischer Hinsicht ist das Projekt eine Aussage gegen die aktuelle Bildungs- und Fremdenpolitik in Österreich, Migrantinnen – wenn überhaupt! – höchstens bis zum Hauptschulabschluss auszubilden, damit sie schnell für bestimmte Berufe(!) am Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen; denn dieser Zwischenraum eröffnet eine Perspektive für weitere Bildung und/oder andere Berufswege.

Welchen Bedarf hattet ihr vor der Idee zu diesem Projekt festgemacht?

maiz orientiert sich an den Bedürfnissen der Migrantinnen und bietet seit 18 Jahren den Vorbereitungskurs zum Hauptschulabschluss an. Da wir auch in Kontakt mit unseren ehemaligen Teilnehmerinnen bleiben, wissen wir, dass es trotz dem Abschluss immer schwerer wird, eine weitere Berufsschule zu besuchen oder überhaupt andere, neue und unkonventionelle Berufsperspektiven in Betracht zu ziehen – eben nicht im Sinne der Stereotypen der österreichischen Fremden- und Bildungspolitik. Aus diesem Bedarf, andere Perspektiven zu eröffnen, wurde die Idee zu MEZZANIN geboren.

Wie habt ihr eure Teilnehmerinnen angesprochen, welche Reaktionen habt ihr geerntet?

Die ersten Angemeldeten für MEZZANIN waren bereits bei maiz. Es wird eine interne Statistik geführt, wie viele von den ehemaligen Teilnehmerinnen des Vorbereitungskurses zum Hauptschulabschluss langfristig beschäftigt sind. Über sie kamen Freunde und Bekannte hinzu. Allerdings merken wir, dass die Akquise keine leichte Aufgabe ist. Die Gründe sind sowohl in den anderen Informationskanälen, die die Jugend von heute in Anspruch nimmt, zu suchen, als auch im Boom von Projekten für die Zielgruppe der Jugendlichen, was zu einem „Kampf“ in Bezug auf die Akquise führt. Aber die Gründe liegen auch in den Stereotypen, die die Mainstreamgesellschaft, inklusive der Migrantinnen, gegenüber Tätigkeiten in den Bereichen Medien, Kunst und Kulturproduktion hat. Das Projekt versucht genau diese stereotypisierte Berufswahl zu thematisieren, in Frage zu stellen und andere Berufsmöglichkeiten zu visualisieren.

Bereits im Vorfeld des Projektstarts konnten zahlreiche Organisationen als Kooperationspartner gewonnen werden. Nicht nur der non-profit Sektor Kunst, Kultur und freie Medien, sondern auch der institutionalisierte Kunstbetrieb oder Firmen, die im weitesten Sinn unter Kreativbranche zusammengefasst werden können, sind eure Partner. Was war für euch bei der Findung und Zusammenstellung der Partner wichtig?

Für die Auswahl der Partnerorganisationen war wesentlich, dass sie realistisch die Möglichkeit anbieten, die/den eine/n oder andereN der Teilnehmerinnen in ihren Betrieb anzubinden. Ein anderes Kriterium war und ist die Bereitschaft der jeweiligen Organisation, sich aktiv zur antirassistischen Praxis in ihrem Betrieb zu bekennen und in diesem Sinne eine Lehrstelle, beispielsweise jemanden anzubieten, der/die sonst kaum Chancen hätte, weil sie ein Kopftuch trägt oder weil er bereits eine Lehrstelle abgebrochen hat.

Welche Reaktionen und Erfahrungen macht ihr nun mit den Projektpartnerinnen?

Je größer die Organisation, desto mehr Arbeitsmöglichkeiten bietet diese an, allerdings stehen Anstellungen jeglicher Art in der Zuständigkeit einer Personalabteilung und daher stellt sich immer die Frage, wo ähnliche Projekte anknüpfen können, denn Kooperationspartnerin zu sein ist keine Garantie, dass sich die jeweilige Organisation den langen und sehr mühsamen Weg durch die Bürokratie antun wird, um eine Migrantin anzustellen, wenn es auch leichter gehen kann, nämlich eine Mehrheitsösterreicherin anzubinden.

Der Bereich Kunst, Kultur und Medien fällt oft unter prekäre Beschäftigungsbedingungen. Wie ist es möglich, diese Berufsalternative für Migrantinnen in Österreich zu verwirklichen?

Der Prekarisierungsbegriff im Bereich Kultur, Kunst und Medien in einem hegemonialen Diskurs zu verwenden ist per se ein Widerspruch. Prekarisierung soll nicht auf ökonomisches Kapital reduziert werden. Gerade im Bereich Kunst & Kultur sind die anderen Kapitalien, wie symbolisches, kulturelles Kapital, von sehr hoher Relevanz. Das spiegelt sich wider in den Lebensbedingungen der Migrantinnen in Österreich, die ohne „gefragte“ Kapitalien das Leben neu gestalten müssen.

Wenn ich das Schlagwort „europäisches Wertesystem“ in den Mund nehme, was heißt das für euer Projekt?

Wertesysteme zu definieren, ist per se ein Ausschlussmechanismus. Die wichtige Frage ist bei Definitionen, von wem und wofür werden sie gemacht? Hinter dem europäischen Wertesystem gibt es Europa als Wirtschaftsraum, das heißt, der Wert wird immer wirtschaftlich definiert.

Aufgrund der Finanzierung des Projekts durch den Europäischen Sozialfonds kann der Lehrgang kostenlos angeboten werden. Eine derartige Finanzierung zu organisieren ist für einen Verein wie maiz mit den zur Verfügung gestellten Ressourcen und Mitteln eine große Herausforderung. Was sind die schwierigsten, problematischsten Punkte dabei?

Der MEZZANIN Kurs orientiert sich nach seinen Teilnehmerinnen und ihren Bedürfnissen: Wenn jemand mehr Deutsch-Unterricht braucht und weniger Englisch, weil er/sie bereits in ihrem/seinem Heimatland den Unterricht in Englisch wahrgenommen hat, dann wird das berücksichtigt. Schwierig wird es, wenn wir nach jedem dritten Monat Quartalsberichte abgeben sollen und jede Teilnehmerin in den Anwesenheitsliste durchgehend präsent sein soll. Überhaupt beansprucht die Berichterstattung extrem viel Zeit, die woanders fehlt, z.B. direkt im Unterricht, im Kontakt mit den Jugendlichen, im Sinne einer durchgehenden Evaluierung des Kurses, im Sinne politischer Bildung. Beratungsgespräche sind sehr wichtig, um die Teilnehmerinnen zu motivieren, dran und dabei zu bleiben. Für manche ist es eine enorme Leistung, dass sie den Kurs überhaupt besuchen: Als Asylbewerberin weiß man nicht einmal, wie lange man hier bleiben kann und ob man hier bleiben darf.

Bitte schildert eure Erfahrungen mit EU-Projekten, von der Organisation bis zu Problemen und positiven Effekten?

maiz hat, im Sinne das hegemoniale Wissen zu erobern, einen sehr langen autodidaktischen Weg hinter sich, sehr viele von der EU geförderte Projekte umgesetzt. Abgesehen vom bürokratisch enormen Aufwand bei der Durchführung, haben diese eine Bedeutung für einen Verein v.a. auf der symbolischen Ebene: Ein Stück „von der Torte“ als Migrantinnen-Selbstorganisation zu beanspruchen, ist ein Akt der Beanspruchung von Platz und von Rechten. Außerdem wird dadurch den Mitarbeiterinnen eine Möglichkeit fürs Sammeln von Erfahrungen und Ansammeln von Knowhow gegeben, die sie sonst sehr schwierig bekommen würden (z.B. der Aspekt der „perfekten Deutschkenntnisse“, die als Voraussetzung für ähnliche Jobs gestellt werden und die ein Grund sind, den Job nicht zu bekommen oder mit Tätigkeiten beauftragt zu werden, die weder anspruchsvoll noch verantwortungsvoll sind) und die sie gegebenenfalls woanders danach zum Ergattern von Jobs nützen können. Insofern sind EU-Projekte Aus/Weiterbildungsplattformen für Migrantinnen.

Was würdet ihr anderen Vereinen empfehlen?

Allianzen zu bilden, Übertragung von Knowhow und die Bereitschaft, für uns ausgeschlossene Räume – im Sinne von Wissen, Kenntnis, Kompetenzen, Fähigkeiten und Informationen – zu besetzten.

Im EU-Programm „Kreatives Europa“ wird  eine neue Begrifflichkeit verwendet und damit eine neue Zielrichtung gesteckt. Die Rede ist nun von Kultur- und Kreativbranche. Der Focus ist u.a., die kulturelle und sprachliche Vielfalt in Europa zu fördern, es legt aber auch großen Wert auf ökonomische und kreativwirtschaftliche Belange. Letzter Punkt wird für die Wiederholung von Projekten wie INTERMEZZO/MEZZANIN eine Herausforderung. Wie seht ihr der Entwicklung entgegen?

Eine Reihe von Studien in letzter Zeit zeigen das wirtschaftliche Potenzial der s.g. Kreativbranche auf. Sicher spielt dieser Zweig z.B. eine wesentliche Rolle bei der Gentrifizierung von Städten und/oder Stadtteilen.

Die Intention, die sprachliche und kulturelle Vielfalt in Europa dadurch zu fördern, speist sich unter anderem aus dem Verständnis, dass Kunst- und Kulturproduktion ein eher toleranteres Feld sein soll, was andere kulturelle/sprachliche Hinter-/Vordergründe betrifft. Ohne jegliche Widersprüche abzutun, sehen wir unsere Beteiligung eher pragmatisch: Ein Widerstand außerhalb des Systems ist nicht möglich, ergo genau mit/im Tun sind wir aufgefordert, diese Widersprüche zu visieren, zu thematisieren, aufzuzeigen und auszuhalten. Doch die Forderung ein Teil dieses Potenzials zu sein und aber Teile der Ergebnisse/Profite für sich zu beanspruchen, bricht mit den herrschenden zugewiesenen Plätzen für Migrantinnen.

Widersprüchlich scheint die Betonung der EU-Kommission mit dem Programm gleichzeitig das Bewusstsein für eine kulturelle europäische Einheit fördern zu wollen. Spiegelt sich hier für euch eine Realität ab?

Nein, es gibt eine Einheit auf einer wirtschaftlichen und der Finanzebene, wenn schon. Einheit als Begriff ist per se problematisch, denn die konstruiert sich anhand einer Abgrenzung von etwas anderem. maiz grenzt sich streng vom hegelianischen Einheitsbegriff ab. Sprechen wir über Einheit im arbeitsmarktpolitischen Sinne: Haben alle Recht auf Arbeit? Eine Arbeit nach ihrer Wahl? Sprechen wir über die politische Einheit: Haben alle das Recht, national und übernational zu wählen?

Die Politik regiert in die Kultur (mit Hilfe von Förderungen) hinein. Die verstärkte Kritik an dem neuen EU Programm „Kreatives Europa“ bringt differenzierte Stimmen hervor, z.B. dass Kultur ausschließlich national organisiert werden sollte. Was würde fehlen?

Kultur ist keine metaphysische Instanz, die sich außerhalb der Politik befindet. Die relevante Frage ist, welche Politik regiert die Kultur? Eine Politik, die sich zur Gleichheit und Differenz, Mehrheit und Minderheit bekennt oder eine, die sich ausschließlich zu hegemonialen Gruppen bekennt?

Gerade die Betonung des Beschäftigungspotentiales lässt Kulturarbeiterinnen kritisch auf das neue Programm äugen.  Wie steht ihr dieser Kritik der EU Fokussierung gegenüber?

Die Ökonomisierung der Kulturarbeit ist eine Säule vom Neoliberalismus. Es geht nicht darum, den Prozess in sich zu kritisieren, es geht darum das ganze neoliberalistische System in Frage zu stellen. Es gibt nichts Richtiges im falschen Leben. Eine wichtige Frage, die wir uns bei maiz stellen ist, wie viel Dissidenz wir leisten können.

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