Produktiv und obdachlos: Wir brauchen Raum!

Ein Bericht von Klemens Pilsl zur Besetzung der ehemaligen ARGE Nonntal.

„Wie es dazu kam? Spätestens seit dem bekannt wurde, die ARGE zieht um, gab es Diskussionen und Treffen um die Besetzung der ARGE zu planen. 2 Mal wurde versucht ein Netzwerk zu initiieren. 2 Mal blieb es aufgrund von Meinungsverschiedenheiten was die Organisationsstruktur betrifft sowie mangelndem Engagement und Vertrauen bei dem Versuch. Das Gebäude stand leer und blieb ungenutzt. Geredet wurde viel, doch niemand wagte es wirklich. Viel wurde zwar über Freiraum geschrieben, viel darüber geredet. Es gab viele Menschen, die das Bedürfnis nach einem Raum, der nicht den marktwirtschaftlichen Zwängen unterliegt, hatten und so manch eine/r plante in Kleingruppen die Besetzung. Doch alles zerstreute sich wie Herbstlaub im Wind. Aktuell wurde es, als jemand an einem trüben Samstagabend erfuhr der Abriss der alten ARGE beginne mit Donnerstag dem 3. März 2006.“

Hausbesetzungen hatten in Österreich – im Gegensatz zu anderen europäischen Ländern – leider nie eine große Tradition. Umso verwunderlicher, dass gerade in der kulturkonservativen Mozartstadt Salzburg zur Zeit eine erfolgreiche Besetzung in der „alten“ ArgeKultur läuft. Da das Thema außerhalb von Salzburg kaum Schatten wirft, wollen wir hier einen kurzen Überblick verschaffen – die kursiv geschriebenen Passagen wurden der Homepage der BesetzerInnen bzw. von IndymediaAustria entnommen.

Geschichte und Chronologie:
Dreißig Jahre nach der Besetzung des Petersbrunnhof in Salzburg und fast zwanzig Jahre nach der Eröffnung des Kulturgelände Nonntal erhält die ArgeKultur, Salzburgs bekannteste Alternative zu Mozart, Karajan und Getreidegasse, endlich ein neues Gebäude. Ein notwendiger und erfreulicher Schritt. Die „alte Arge“ soll dafür abgerissen werden. Doch soweit kommt es nicht: Kurz vor dem Abbruchtermin besetzt am 24.2.2006 eine erstaunlich heterogene Gruppe junger Menschen („Kulturaktivist- Innen und FreiraumsympahtisantInnen“) das Haus. Und nicht nur das – sie stellt Forderungen an die Politik – mitten im Mozartjahr! Seitdem ist die alte Arge besetzt – sowohl physisch als auch kulturell und inhaltlich: Junge Menschen nutzen den ungewohnten Freiraum in Salzburg als Kreativwerkstatt, Dancefloor, Konzerthalle und Diskursraum.

Warum die Besetzung – was wollen die überhaupt:

Salzburgs freie Kultur scheint erstarrt. Die ArgeKultur leistet wichtige Arbeit, ist aber einerseits institutionalisiert und kann andererseits auch beim besten Willen nur einen kleinen Teil des kulturellen Hungers stillen. „Viele, vor allem junge Kulturschaffende können sich nur mehr schwer mit dem Selbstverständnis und den Möglichkeiten der heutigen ArgeKultur identifizieren.“ Andere Freiräume gibt es in der Tourismusstadt Salzburg kaum, und in letzter Zeit haben sich selbstorganisierte Aktionen mit der Forderung nach kulturellen Freiräumen gehäuft (zb „Reclaim The Park“). Die Besetzung soll verdeutlichen, „dass es in Salzburg Menschen sehr schwer gemacht wird, ihren kulturellen Bedürfnissen Ausdruck zu verleihen. Unkommerzielle, künstlerische und soziale Projekte scheitern oft an den finanziellen Bedingungen. So wird der Zugang zu kulturellem und sozialem Leben vom Einkommen abhängig gemacht – für Tourismus, etablierte Kultur, traditionelles Brauchtum und Prestigeprojekte scheinen in Salzburg unbegrenzte Mittel zur Verfügung zu stehen. Ein Problem ist der eklatante Mangel an passenden Räumlichkeiten, welche unkompliziert und frei nutzbar sein könnten. Um das zu ermöglichen, sollten die nötigen Freiräume erkämpft werden.“

Dabei schätzt man die Bereitschaft von Öffentlichkeit und Politik durchaus realistisch ein, will diese aber auch nicht aus ihrer Verantwortung entlassen: „Durch unseren kreativen und lautstarken Protest gegen diesen Zustand wollen wir unserer Forderung nach neuen Freiräumen Nachdruck verleihen. Die Besetzung der leerstehenden ARGE war nur der erste Schritt und hat gezeigt, dass wir fähig sind, unsere Ideen effektiv in die Tat umzusetzen. Wir wollen nicht auf die große Politik warten, sondern bewegen die Dinge aus unserer eigenen Kraft heraus. … Wir fordern die Stadt Salzburg auf, uns bei der Schaffung freier und selbstverwaltbarer Räume entgegen zu kommen!“

Zur Zukunft der Besetzung:
Die Politik erklärt die Forderungen der BesetzerInnen für utopisch und unrealistisch. Dass die alte Arge abgerissen werden soll ist fix – dies zu verhindern scheint ob der bereits bestehenden Pläne zur weiten Nutzung des Geländes schwierig. Dies ist aber auch nicht unbedingt notwendig – die KulturaktivistInnen, die das Haus besetzt halten, fordern schließlich nicht die Erhaltung des Squats, sondern die Schaffung von Freiräumen und zumindest die Möglichkeit zur kulturellen Selbstbestimmung in Salzburg. Diesen durchaus legitimen Wunsch unterstützt auch die KUPF und wünscht den BesetzerInnen alles Gute. Wer sich intensiver mit den BesetzerInnen und ihren Anliegen beschäftigen möchte kann dies auf deren Homepage tun. Dort findet sich neben Presseaussendungen, einem FAQ und jeder Menge Infos auch ein Blog der SquatterInnen. Solidaritätserklärungen werden ebendort natürlich auch sehr gerne entgegen genommen.

http://sbg-freiraum.iwoars.net

außerdem:

www.argekultur.at
www.kultur.or.at
http://at.indymedia.org

Klemens Pilsl ist Vorstandsmitglied der KUPF und arbeitet in der KAPU.

Die ArgeKultur zur Besetzung ihres ehemaligen Gebäudes:
Grundsätzlich habe ich von den BesetzerInnen in keiner Pressekonferenz und in keinem der vielzähligen persönlichen Gespräche „Kritik am Kulturverständnis der ArgeKultur“ herausgehört bzw. verstanden. Vielmehr richtet sich die Kritik der BesetzerInnen gegen die Kultur- und Sozialpolitik, die gerade im Jugendbereich zu wenig offene Räume ermöglicht. Die Forderung nach offenen Räumen für Jugendkultur wird von den Kulturhäusern der Stadt, wie auch vom Dachverband der Sbg. Kulturstätten nur unterstützt. Die grundsätzliche zur Verfügungstellung von Räumen kostenlos, jederzeit und für Jederfrau bzw. Jedermann, erfordert das Konzept eines offenen Jugendkulturzentrums. In einem Kunst- und Kulturhaus wie z.B. der ArgeKultur wird nach inhaltlichen Konzepten und längerfristigen Termindispositionen gearbeitet bzw. nach behördlichen Auflagen und in finanziellen Rahmenbedingungen organisiert. Die ArgeKultur bietet für Jugendliche Veranstaltungen, Produktionsmöglichkeiten und Angebote im Kulturvermittlungsbereich. Diese Angebote unterliegen aber obengenannten Rahmenbedingungen. Die ArgeKultur arbeitet nicht nach einem Konzept eines offenen Jugendkulturzentrums.

Der Dachverband Salzburger Kulturstätten (eine Schwesterorganisation der KUPF) zur Besetzung:
Die Besetzung der alten ArgeKultur ist die erste derartige Aktion seit Jahren in Salzburg. Zwischen den Kulturstätten und den Besetzern gibt es aber keine Auseinandersetzungen – im Gegenteil: Die BesetzerInnen nehmen – so haben sie uns gesagt – die Angebote der Kulturstätten wahr, haben allerdings das Problem der „hohen Einheitspreise“ und wollen zudem selbst aktiv Kultur produzieren und veranstalten. In der neuen Arge gibt es für solche Aktivitäten zur Zeit keine freien Raumkapazitäten – die neue ArgeKultur kämpft zudem mit erheblichen Akustik-Problemen, was den dortigen Normalbetrieb schon erheblich einschränkt. Freier Raum – also Raum für selbstverwaltete Jugendarbeit ist aber in Salzburg kaum vorhanden. Einzelne Kulturstätten unterstützen die BesetzerInnen (etwa mit technischem Equipment, Kopiermöglichkeiten …), als Dachverband haben wir auch support angeboten – dieser wurde aber bislang nur zum Teil angenommen. Spannend wird die Frage nach der weiteren politischen Entwicklung. Die Forderung nach einem „selbstverwalteten“ Jugendzentrum (ohne Konsumzwang) kommt ja nicht nur von den BesetzerInnen, sondern wird auch immer öfters als Forderung von Salzburger Jugendlichen gestellt.

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