Zeit und Geld für Unterbrechungen

Für Kulturarbeiter*innen und Künstler*innen gibt es in Frankreich ein einzigartiges System der Unterstützung: Das ‚Intermittence du Spectacle‘ ermöglicht, in bestimmten Bereichen von der Kunst zu leben. Christa Hager hat recherchiert, wie es funktioniert.

Zu den Anspruchsberechtigten zählen Clowns, Clownessen und Schneider*innen, Schauspieler*innen, Kameraleute und Techniker*innen, Tänzer*innen und Sänger*innen, Dekorateur*innen, Choreograf*innen und Musiker*innen oder auch Masken-, Bühnen- und Kostümbildner*innen. Sie arbeiten für Non-Profit-Projekte, kleine Theaterbühnen, große Opernhäuser, berühmte Festivals, fürs Staatsfernsehen, aber auch für börsennotierte Unterhaltungskonzerne. Die meisten von ihnen sind prekär beschäftigt, mit befristeten Verträgen und wechselnden Arbeitgeber*innen, viele haben sogar mehrere Arbeitsverträge gleichzeitig. Sie sind die sogenannten ‹Intermittents du Spectacle›. Ihre Arbeitswelt ist von Unterbrechungen (Intermittence) geprägt, denn Phasen der Beschäftigung und der Arbeitslosigkeit wechseln beständig.

Unterbrechungen gehören dazu und werden bezahlt

Die Arbeit der Intermittents ist nicht unbedingt an Lohn gekoppelt. Denn sie arbeiten in der Regel auch, wenn sie keiner Lohnarbeit nachgehen – wie Musiker*innen, wenn sie üben oder komponieren, Techniker*innen, die sich weiterbilden, oder Autor*innen, die an einem Drehbuch arbeiten. Deshalb gibt es in Frankreich Sonderregelungen, um das soziale und ökonomische Überleben dieser Berufsgruppen in ihren auftragsfreien Zeiten sicherzustellen: Indem ein kontinuierliches Einkommen ermöglicht wird, ohne dass bei jedem Vertragsende aufs Neue ein Antrag gestellt werden muss, oder ohne dass diese Regelung nur langjährig Beschäftigten zusteht.

Die Regeln der Intermittence du Spectacle sind in den Anhängen 8 und 10 der Arbeitslosenversicherung festgelegt, Anhang 8 betrifft Arbeitnehmer*innen und Techniker*innen, Anhang 10 darstellende Künstler*innen. Die Intermittents sind fest angestellt und arbeiten nicht als Freiberufler*innen. Ein wesentlicher Unterschied. So gibt es in Frankreich zum Beispiel auch keine Stadt-, Landes- oder Bundestheater, die künstlerisches und technisches Personal an sich binden. Stattdessen schaffen unabhängige

Theatergruppen eigene Inszenierungen, die, ähnlich einem Gastspiel, in den Theatern aufgeführt werden. Die einzelnen Künstler*innen werden bis auf wenige Ausnahmen für einzelne Produktionen engagiert. Eine Folge daraus ist, dass die regelmäßige Befristung von Arbeitsverhältnissen arbeitsrechtlich legitimiert ist.

507 Stunden Lohnarbeit

Grob skizziert sieht das Gesetz folgende Regelung vor: Können Beschäftigte innerhalb von 12 Monaten 507 Stunden Beschäftigung nachweisen, so haben sie für die Zeiten der Auftragslosigkeit Anspruch auf Arbeitslosenunterstützung für ein Jahr. Zur Beschäftigung zählen neben Aufführungen und Proben auch Weiterbildung, Unterricht; Krankheit, Arbeitsunfälle und Schwangerschaft werden ebenso angerechnet. Die Höhe des Arbeitslosengeldes wird mit einer komplexen Formel berechnet, außerdem gibt es Mindest- und Maximalwerte. «Was man als Unterstützung bekommt, ist vor allem abhängig vom Betrag, den man verdient hat und den Stunden, die man gearbeitet hat», fasst Stéphane Segreto-Aguilar von ARTCENA, dem nationalen Zentrum für Zirkus-, Straßenkunst und Theater, zusammen.

Das System der Intermittence wurde in den 1930er Jahren erkämpft und galt viele Jahrzehnte lang unumstritten als wichtige soziale Errungenschaft. Doch seit der Sparpolitik quer durch die EU wird in Frankreich auch dieses besondere System zunehmend kritisch beäugt und in der Öffentlichkeit gerne als teurer Luxus gebrandmarkt. Segreto-Aguilar: «Das ist eher eine symbolische und politische Schlacht und keine finanzielle, um Steuergelder einzusparen. Denn für jeden Euro, der mit öffentlichen Mitteln investiert wird, kommen sechs zurück.»

Wirkmacht und Grenzen

Frankreichs Kulturlandschaft und damit verbunden auch der Tourismussektor sind von den Intermittents abhängig. Wegen Streiks der Intermittents mussten im Sommer 2003 große Festivals wie Montpellier, Aix- en-Provence oder Avignon abgesagt werden. Seither werden Festivals und Theateraufführungen immer wieder bestreikt, da sie sich regelmäßig gegen Pläne zur Verringerung ihrer Ansprüche zur Wehr zu setzen haben. Sie zählen zu den tragenden Kräften der vielen Protestbewegungen Frankreichs.

Allerdings sind die Künstler*innen und Kulturarbeiter*innen mittlerweile auch großem Druck ausgesetzt. «Es gibt einen großen Wettbewerb, es gibt mehr und mehr Künstler*innen, die ihre Shows und Performances verkaufen wollen», sagt Segreto-Aguilar. «Es wird für die Künstler*innen und Techniker*innen immer schwieriger, ein angemessenes Einkommen zu bekommen.»

Auch für den Musiker Gilles Poizat war es am Anfang schwer, die Anforderungen für die Intermittence du Spectacle zu erfüllen. Er ist promovierter Ökologe und arbeitet nach Jahren in der Wissenschaft seit 2004 als Vollzeitmusiker. Bis 2017 spielte er in der Band Mazalda, seither ist er als Solo-Musiker, als Komponist und für eine Dance-Company tätig. «In den alternativen Venues werden Konzerte oft nicht ausreichend entlohnt, weshalb man sie nicht als Vertragsarbeit deklarieren kann. Der offizielle Mindestlohn für ein Konzert beträgt etwa 80 Euro für den Musiker und etwa 160 Euro für den Arbeitgeber; angerechnet werden 12 Arbeitsstunden. Aber sehr viele Veranstalter*innen können sich das nicht leisten,» erzählt er. Erschwerend kommt hinzu, dass die Arbeitslosenversicherung, darunter das régime général (für alle Arbeitnehmer*innen) und auch die beiden Anhänge 8 und 10, regelmäßig zwischen den Sozialpartner*innen neu verhandelt werden. «Die neoliberalen Regierungen tendieren dazu, die Bedingungen für die Arbeitslosenunterstützung zu verschärfen. So wurde zum Beispiel der Status der travailleurs intérimaires für Beschäftigte mit Tagesverträgen abgeschafft,» sagt Poizat.

Seit der Bewegung von 2003 sind neue Organisationen entstanden, die sich für die Rechte der Intermittents im Kulturbereich als auch in anderen Bereichen einsetzen. Wie sieht es mit der Vertretung durch die Gewerkschaften bei den Verhandlungen aus? Gilles Poizat: «Die (sozialdemokratische, Anm. der Red.) CFDT arrangiert sich in der Regel mit den neoliberalen Reformen. Die (linke Gewerkschaft, Anm. der Red.) CGT verteidigt uns stärker.»

Und während Corona?

Geschlossene Spielstätten, keine Arbeitsstunden: Wie kommt Poizat während der Pandemie über die Runden? «Einige Konzerte wurden einfach abgesagt. Ohne Entschädigung. Andere haben chômage partiel angeboten, ein Verfahren, bei dem man für ein abgesagtes Konzert 80 % des Gehalts erhält, sowie 7 bzw. mittlerweile 5 Stunden (statt 12). Im Frühjahr wurde die Intermittence außerdem bis August 2021 verlängert. Und da ich zu diesem Zeitpunkt Intermittent war, kommt mir diese Maßnahme zugute. Aber nachdem die Konzerte auf unbestimmte Zeit eingestellt wurden, wird es schwierig, 507 Stunden durch Verträge zu sammeln.»

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