Sie sind bekannt, die vielfältigen Misslagen, in denen sich die westlichen Industriegesellschaften befinden: Das politische System kommt nicht aus der Krise, die traditionellen Verbände wie Parteien oder Gewerkschaften ringen nach wie vor mit mäßigem Erfolg um ihre AnhängerInnen, die Wahlbeteiligung zeigt weiter nach unten und das nachhaltigste zivilgesellschaftliche Projekt ist nach wie vor die Kronen Zeitung.
Und doch scheint dieser Befund in letzter Zeit nicht mehr so ganz zu stimmen. Im Windschatten dieser eher unerfreulichen Entwicklungen bilden sich soziale Bewegungen heraus wie aktuell um die Uniproteste oder entstehen vermehrt kritische Projekte in der Kulturarbeit. Als Beispiel sollen hier nur genannt werden: »Watchdogwatcher «, »Die Wachschatten« (Ulrike Hager, Christina Korherr). Ausserdem »Maskerade« (Kollektiv Helletsgruber), drei Projekte, die mit Mitteln des Kupf-Innovationstopfes in Linz umgesetzt werden oder antirassistische Interventionen, die im Rahmen von Soho Ottakring 2010 realisiert wurden wie beispielsweise das Boulevardmedienprojekt von Hansel Sato oder »Re-Enactment« von Christine Werner. Eine detaillierte Beschreibung dieser Arbeiten würde den Rahmen dieses Textes sprengen, weshalb nur ein paar Aspekte beleuchtet werden sollen.
Allen genannten Projekten gemeinsam ist eine Dimension der Öffentlichmachung von Zusammenhängen, die in neoliberalen Machtverhältnissen verschleiert werden. Denn ein neoliberaler, neokonservativer Staat zieht sich nicht aus allen Belangen zurück – im Gegenteil, die staatliche Präsenz wird in bestimmten Bereichen wie in der sogenannten Sicherheitspolitik oder Migrations- und Arbeitsmarktbelangen kräftig ausgebaut. Wie sich die Machtstrukturen hier allerdings zusammensetzen und von wem sie zu wessen Gunsten fortgeschrieben werden, wird zunehmend verdeckt. Gouvernementale Machtdispositive befördern diesen Prozess, indem der Widerstand gegen diese systematische Unsichtbarmachung gesellschaftlicher Strukturen und der Auslagerung politischer Prozesse in informelle Gremien immer undenkbarer wird. An diesem Punkt setzen die erwähnten Projekte ein: Sie wählen ein Thema – die schleichende Militarisierung des öffentlichen Raumes durch Überwachungsapparate, die zunehmende Beschneidung von Grundrechten durch restriktive Gesetze oder eben den immer offener zutage tretenden Rassismus gesellschaftlicher Institutionen und deren Akteurinnen. Alle Projekte bestimmen den öffentlichen Raum als Austragungsort für ihre Interventionen und machen so Phänomene sichtbar, die sonst in die Unsichtbarkeit gedrängt werden. Und fordern damit zur öffentlichen Debatte heraus.
Die mitunter äußerst povokanten Methoden, die künstlerischen und kulturellen Ansätzen hier zur Verfügung stehen, verweisen gleichzeitig auf ein neues Stadium der politischen Auseinandersetzung. Denn in einem Kontext, wo sich die VertreterInnen des politischen Systems einem Dialog in zunehmendem Maße verweigern, indem sie zumeist Scheindialoge führen, die auf Ruhigstellung abzielen, ist der Glaube an die Kraft des sachlichen Arguments erschöpft. Die Verweigerung, sich in diesem System als Statistin vorführen zu lassen und der Rückgriff auf andere Mittel wie Aktionen im öffentlichen Raum machen deutlich, dass die Zeit konsensualer Round tables vorbei ist. Der Modus der Beschwichtigung scheint angesichts weit auseinander driftender Lebenswelten zu zynisch, als dass er noch angewendet werden könnte. Nachdem die Beschneidung von Grundrechten, die immer weiter um sich greifende Prekarität und allem voran ein rassistischer Grundkonsens als politische Konstante von keiner politischen Partei oder vergleichbaren Institution mehr ernsthaft in Frage gezogen werden, geht es um die Entwicklung von Strategien, die jenes Vakuum füllen, das Politik wie auch Mainstreammedien in einer duldenden Passivität geschaffen haben. Bevor nun an dieser Stelle die Repolitisierung von Kulturarbeit allzu enthusaistisch abgefeiert wird, müssen jedoch die Erwartungen wieder eingeschränkt werden, denn die unmittelbare politische Wirkamkeit dieser Interventionen ist beschränkt. Hier trifft der von Gudrun Axeli-Knapp in Bezug auf die Frauenbewegung geprägte Begriff der »Ent-täuschung« zu: Zwar ist es möglich, den Bauplan verdeckter Zusammenhänge ans Licht zu holen, doch sind dieser Erkenntnis politische Grenzen gesetzt, die genau jene Offenlegung von Machtstrukturen wieder umso schmerzhafter werden lässt. Die unmittelbare Wirksamkeit von Kunst und Kultur auf politische oder gar staatliche Strukturen ist beschränkt. Als Ausgangspunkt für weiteres politisches Handeln ist genau jene Sichtbarmachung jedoch unverzichtbar.