Arbeit neu Denken

Zum Verhältnis von Ehrenamt und Hauptamt Hauptamtliche arbeiten, Ehrenamtliche auch. Menschen sind berufstätig oder nicht, und viele engagieren sich, leisten unentgeltliche und ehrenamtliche Arbeit. Eventuell wird besorgt nachgefragt, ob es zukünftig noch genug Ehrenamtliche gäbe. Vielleicht steckt auch die Erwartung dahinter, mehr Ehrenamtliche zu finden und mit ihnen nicht zuletzt teure Hauptamtliche zu ersetzen oder einzusparen.

 

von Heinz Harrich

Keine Vollbeschäftigung mehr

In unserer westlichen Arbeitsgesellschaft hat sich ein rasanter Wandel vollzogen. Die Zeit der Vollbeschäftigung ist vorbei. Für viele gilt die Normalarbeitszeit nicht mehr Ð in Teilzeitarbeit und geringfügiger Beschäftigung ebenso wie für Teleworker oder in Schicht Arbeitende. Arbeitnehmer/innen müssen heutzutage flexibel sein, nach Bedarf einsetzbar, möglichst gut und bedarfsgerecht qualifiziert. Inzwischen ist Jahr um Jahr Ð trotz Wirtschaftswachstum Ð die Zahl der Arbeitslosen gestiegen. Um Kosten zu sparen, wurde Personal abgebaut. Neue Technologien und Automatisierung halfen mit, die Produktivität zu steigern, ohne dafür mehr Arbeitskräfte zu brauchen. Sorgen machen sich nicht nur die Arbeitslosen, sondern auch diejenigen, die (noch) Arbeit haben. Alle sind potentielle Unterbeschäftigte oder Arbeitslose.

Weniger Arbeitslose?

Obwohl die herkömmliche Arbeitsgesellschaft zu Ende geht, wird Vollbeschäftigung immer noch als Ziel proklamiert. Aber wie soll dieses Ziel erreicht werden? Weiteres Wachstum bringt zwar vermehrten Reichtum, aber keineswegs Arbeit und gerechten Lohn für alle. Lohnkosten zu senken bedeutet für die Erwerbstätigen zumeist niedrigere Einkommen, in der Folge niedrigere Pensionen und niedrigeres Arbeitslosengeld. Die Kosten der Unternehmen werden zwar verringert, mehr neue Arbeitsplätze aber bringt das kaum. Ziel kann es doch auch nicht sein, daß Frauen Ð ohnedies noch immer Benachteiligte auf dem geltenden Arbeitsmarkt Ð wieder zurückgelobt werden in Haushalt und Familienarbeit, damit die Arbeitswelt wieder eine heile Welt der Männervollbeschäftigung wird. Ein vermehrtes Angebot an Teilzeitarbeit kann Arbeitsuchenden Arbeit und Einkommen bieten. Aber diese Art von Arbeitszeitverkürzung ohne Lohnausgleich schmälert den Lohn der Teilzeitbeschäftigten deutlich. Soll schließlich der Druck auf Arbeitslose erhöht werden, unbedingt irgendeinen Job anzunehmen, womöglich zwangsweise, um die Arbeitslosenrate zu senken? Dienstleistungen werden derzeit als Hoffnungsarbeitsmarkt betrachtet. Doch Erwerbsarbeit in diesem Sektor ist großteils deutlich geringer entlohnt. Und auch im Dienstleistungssektor wird rationalisiert. Der sogenannte Non-Profit-Sektor Ð gemeinnützige Vereine, Initiativen und Organisationen Ð ist wiederum stark abhängig von öffentlichen Mitteln, also sehr schnell betroffen von neuen Vergaberichtlinien und Einsparungen des öffentlichen Bereichs.

Dominante Arbeit

Nach wie vor dominiert die Erwerbsarbeit. Über sie bekommen die Menschen ihr Einkommen, ihre Sozialleistungen, auch Pension und Arbeitslosengeld werden danach bemessen. Steuer- und Sozialsystem sind weitgehend an Erwerbsarbeit gekoppelt. Ein einseitiges Verständnis von Arbeit reduziert Menschen in produktive und unproduktive, in Menschen mit Erwerbsarbeit und Lohn und in solche ohne. Die einzelnen Menschen Ð auch die Staaten Ð unterwerfen sich dem kapitalistischen Profitstreben. Die Verlierer, die Opfer, die Ausgegrenzten bleiben jedoch nicht aus. Solche Engsicht von Arbeit verstellt den Blick darauf, daß nicht allein Erwerbsarbeit Arbeit ist, sondern darüber hinaus eine Fülle an unbezahlten Tätigkeiten geleistet wird und möglich ist.

Vielfältig tätig sein

Wenn daher über Arbeit neu geredet wird, wird als Alternative zur bisherigen Arbeitsgesellschaft eine plurale Tätigkeitsgesellschaft genannt. Diese stützt sich nicht allein auf die Erwerbsarbeit, sondern auf eine Vielfalt von Tätigkeiten, die für den einzelnen Menschen und für das Zusammenleben Bedeutung haben. Nicht die klassische Vollbeschäftigung soll wiedergewonnen werden, sondern die Menschen sollen neuen Freiraum gewinnen, damit sie vielfältig leben und arbeiten können. Erwerbsarbeit ist dann eine Tätigkeit neben anderen. Daneben gibt es nämlich auch noch Eigenarbeit, Familienarbeit, Erziehungsarbeit, Arbeit im kulturellen, sozialen und politischen Bereich und verschiedene Freizeitaktivitäten. Soziales Ansehen und soziale Sicherheit sollen nicht mehr vorwiegend von Erwerbsarbeit abhängen. Allerdings genügt es nicht, diese Tätigkeitsgesellschaft herbeizuloben. Es reicht auch nicht, den Menschen zu erklären, daß sie doch viel mehr sind als Arbeitskraft und Kaufkraft.

Umverteilen

Wie kommen jedoch die Menschen zu ausreichendem Einkommen, wenn die Erwerbsarbeit nicht mehr für alle reicht und somit als halbwegs gerechtes Verteilungssystem ausgedient hat? Angesichts des allgemeinen Wohlstands und Reichtums ist es wirklich möglich, Arbeit und Geld neu zu verteilen.

  • Damit alle, die erwerbstätig sein wollen, auch Arbeit und Einkommen finden können, muß die Arbeitszeit generell verkürzt werden.
  • Wer erwerbstätig sein will, soll auch in der Lage sein, ausreichend bezahlte Arbeit zu finden.
  • Es gibt genug zu tun, etwa im Umwelt- und Sozialbereich. Gemeinden, Land und Staat können Arbeit in solchen Bereichen fördern, finanzieren und ausbauen, und damit neue Arbeit schaffen.
  • Neben der Erwerbsarbeit gibt es eine Fülle von gesellschaftlich wertvollen Tätigkeiten. Kindererziehung, Sorgearbeit, kulturelles, soziales und politisches Engagement müssen gesellschaftlich anerkannt werden, samt dem Recht auf Sozialversicherungsleistungen (Pensions- und Krankenversicherung)
  • Bezahlte und unbezahlte Arbeit muß zwischen Männern und Frauen gleich verteilt werden. Dafür müssen sie miteinander die Familienarbeit teilen.
  • Darüber hinaus ist ein Grundeinkommen Ð ohne Erwerbsarbeit Ð wichtig. Es soll zumindest existenzsichernd sein Ð etwa in der Höhe des durchschnittlichen Arbeitslosengeldes. Diese Grundsicherung soll den Zwang mildern, zu jedem Preis und ständig Erwerbsarbeit leisten zu müssen.

 

So kann wirklich zwischen Erwerbsarbeit und anderen Tätigkeiten gewählt werden. Karenzzeiten, Arbeitsunterbrechung über längere Zeit, flexible Gestaltung der Jahresarbeitszeit und der Lebensarbeitszeit werden möglich. Und diejenigen, die Erwerbsarbeit leisten, können auch selbst ihre Arbeitszeit, deren Verteilung und Ausmaß, wählen und gestalten. Erst dann wird Arbeit den herkömmlichen Stellenwert verlieren. Viele anderen Tätigkeiten und Lebensbereiche werden mehr Platz bekommen, Gemeinschaft und Demokratie können gewinnen. Die bisherige Rollenverteilung zwischen Männern und Frauen kann überwunden werden, und Arbeitslosigkeit muß nicht mehr Schande und Last bedeuten. Tätigkeitsgesellschaft heißt, eine neue Kultur des Lebens und Zusammenlebens zu ermöglichen, statt durch noch mehr Differenzierung, Rationalisierung und Arbeitsdruck das Leben der Menschen weiter zu beengen.

Verschleierte Absichten

Es gibt auch Worttäuschungen. Manchmal wird von Tätigkeitsgesellschaft oder Bürgergesellschaft geredet, aber bloß gemeint, bezahlte Arbeit durch unbezahlte zu ersetzen, um dadurch die Nachfrage nach Erwerbsarbeit zu verringern und die alte „Vollbeschäftigung“ zurückzugewinnen. Dahinter kann auch die Gefahr lauern, daß die bisherige Rollenteilung zwischen Männern und Frauen restauriert werden soll: Männer im Beruf und Frauen daheim. Der Etikettenschwindel kann auch mehr unsichere und ungeschützte Arbeitsverhältnisse bedeuten, mehr Selbstversorgung im Alter, mehr private Krankenpflege, und alles in allem ein großes Sparpaket zugunsten der Privatwirtschaft und des Staates. Tätigkeitsgesellschaft ist kein Zukunftsweg zur Entlastung des Arbeitsmarktes, kein Alibi dafür, daß der Arbeitsmarkt manchen Menschen verschlossen bleiben soll.

Ehrenamtlich arbeiten

Wenn die Tätigkeitsgesellschaft ehrlich und ernst zum Ausweg aus der Krise der Arbeitsgesellschaft wird, dann kann auch das Ehrenamt in vielfältiger Weise blühen. Selbstverständlich darf solches Ehrenamt nicht zur Sparmaßnahme entwürdigt werden. Und das Hauptamt, also die Erwerbstätigkeit, ist mehr als jetzt freie Wahl, so daß Menschen mitgestalten können, wieviel sie arbeiten, wieviel Zeit sie einsetzen, wieviel sie gerade verdienen wollen, und auch welches Ehrenamt sie erfüllen wollen, über ihren Beruf hinaus. Erst wenn die Arbeitswelt so geändert wird, daß die Menschen nicht allein von ihr abhängig sind und sich zu fügen haben, kann eine Tätigkeitsgesellschaft neue Werte bringen. Menschen können dann entscheiden, wie und wo sie unbezahlte Tätigkeiten leisten wollen, was sie also, neben der Berufstätigkeit, noch alles arbeiten wollen. In einer solchen Tätigkeitsgesellschaft wird ehrenamtliche Arbeit möglich, die bislang kaum Platz hat. Die Menschen gewinnen Zeit für Eigenarbeit und Familie, für Muße und Erholung, Zeit zur Bildung auch über berufliche Weiterbildung hinaus, Zeit für Gemeinschaft, Soziales, Kultur und Politik.

Arbeit neu denken

heißt also, daß die notwendige materielle Sicherheit aller Menschen bedacht und geregelt werden muß. Nur dann sind Vielfalt und freie Wahl der Tätigkeiten möglich. Nur dann ist eine Lebensgestaltung möglich, in der der einzelne Mensch nicht so sehr davon bestimmt ist, ob er gerade einen Arbeitsplatz hat oder nicht. Aus der Macht und der Ohnmacht der Arbeitsgesellschaft gibt es sehr wohl einen Ausweg, wenn wir es wollen Ð für uns selbst und für eine freiere und lebenswertere Gesellschaft. Es ist dringend notwendig, Arbeit neu zu denken, einen neuen Weg zu beschreiten und auf dieses Ziel hin politisch zu handeln. Abdruck mit freundlicher Genehmigung der Sozialen Information „Interesse“ der Diözese Linz und des Autors

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