Diabolo Jörg Haider

Lehrt Pimperl Österreich Europa das Fürchten?

 

von Irmgard Klammer

Es ist mühsam geworden mitten drin in der Untergangsstimmung eine distanzierte Sichtweise zu behalten. Ein Dazwischen oder am Rande stehen erscheint unmöglich, denn jetzt, gerade jetzt, heißt es, hätte sich mensch zu positionieren. Nur wie soll mensch sich gerade jetzt positionieren, wenn statt Gelassenheit und Klarheit Gehässigkeit und Gesinnungsdruck jede Analyse der politischen Geschehnisse im Keim ersticken. Für die neue Regierung zu sein, ihr eine Chance einzuräumen, macht automatisch verdächtig, denn wer jetzt nicht signalisiert dagegen zu sein, wird mir nichts dir nichts als blauäugig, VerteidigerIn und ParteigängerIn der „Popfaschisten“ beschimpft. Denn alle ÖsterreicherInnen haben sich tunlichst zu vergegenwärtigen, dass sie nichts dazugelernt haben und bar jeglicher Selbsterkenntnis und historischer Verantwortung im Inneren ein barbarisches inhumanes Volk geblieben sind.

Haider wurde nicht nur gewählt wegen seiner rhetorischen Wendigkeit, seiner Untergriffigkeit, Besserwisserei oder seinem Versprechen, das Schicksal der „kleinen, fleißigen, ehrlichen und betrogenen Bürger“ zu verändern, denn vielen anderen PolitikerInnen fehlt es auch nicht an rhetorischer Wendigkeit, Untergriffigkeit und Anteilnahme am Schicksal der „Kleinen“. Er wurde gewählt, weil er 1. versprach Freunderlwirtschaft, Proporz und Privilegien des Nadelstreifsozialismus abzuschaffen (wie ernst er es damit meint, werden wir ja noch früh genug sehen), und 2. sich entgegen der österreichischen k.u.k. Buckelmanier selbstbewusst vor die laufenden Kameras hinstellt und sich trotz innen- und außenpolitischer Kalamitäten Ð teilweise selbst verursacht Ð den Mund nicht verbieten lässt. Das impressionierte all jene, die in Jörg Haider den Erretter aus ihrer politischen Ohnmacht sahen, und deprimierte all jene, die a. ihre Wähler an ihn verloren, und b. all die PolarisiererInnen, die seit Jahrzehnten in jeder Ecke ein schwarzes Ungeheuer erblicken und nie auf die Idee kamen, dass es vielleicht das eigene Spiegelbild ist. Denn selbstredend sind alle, die nach außen hin, auf der „richtigen Seite“ stehen, auf der Straße und in den Medien „Widerstand“ trompeten, die Guten mit patte blanche und reinem Herz. Das wahre Österreich. Es fehlen nur noch die Meineide auf die Richtigkeit der eigenen Meinung.

Wie es aber dazu gekommen ist, dass sich nun die halbe Welt vor dem Pimperlstaat Austria zu fürchten beginnt, muss nicht diskutiert werden, denn ein Schuldiger ist bereits festgemacht und das genügt: Jörg Haider. Anstatt ihre Selbstsättigung zu hinterfragen, wählten seine politischen Gegner eine unglückliche Strategie: Sie diabolisierten Haider, erklärten ihn zum Hassobjekt und stilisierten ihn damit zum Märtyrer. Hassobjekt deshalb, weil er das Gebot der Political Correctness missachtete, sich mit den SS-Kriegsveteranen ins Einverständnis setzte und aus dem nationalsozialistischen Jargon Anleihen holte. Dass viele NS-Altvordere in anderen Parteien Unterschlupf gefunden haben, tut nichts zur Sache, denn ein roter oder schwarzer Schutzmantel deckt alles zu, und wie man weiß, lässt sich Vergangenheit und der eigene Dreck am besten bewältigen, indem man den anderen die Rute ins Fenster stellt. Anstelle Fenstergucken und Ruten anschauen, watete Haider durch „braunen Sumpf“, der manchen KommentatorInnen zufolge, ganz Österreich bedecke. Er hat die Vergangenheit nicht bewältigt, sondern sie aufgesucht und, weil er kein Diplomat, sondern ein Provokateur ist, spazierte er mit Sumpfstiefeln quer durch die Hochburgen der politisch korrekten Vergangenheitsbewältiger und hinterließ ein braunes Häufchen nach dem anderen, justament an den Stellen, wo die „Gesinnungs-Putzfrauen“ grad mit dem Lappen drübergewischt haben. Sich im Nachhinein für die Dreckpatzen zu entschuldigen, zählt in Österreich nicht, denn wenn einer das öffentlich und seriell betreibt, dann gibt es nur eine, die sozialistische Lösung: Ausgrenzung statt Dialog. Politische Empfehlungen wie sie der Philosoph Peter Sloterdijk ausspricht, finden auch international kaum Anklang: „Man hat Haider an die Macht gewarnt, indem man ihn zum privilegierten Dämon erklärte, und damit gegen die elementaren Gesetze der sozialpsychologischen Weisheit verstoßen, die besagen, dass solche Beschwörungen irgendwann dazu führen, dass sich die Heraufbeschworenen materialisieren… Im Umgang gerade mit Haider muss man eine kommunikative Strategie wählen und keine dämonisierende.“ (Profil 7. 2. 2000) Klima meinte, dass er und Vranitzky Haider nicht ausgegrenzt hätten, das hätte er schon selbst getan. Fragt sich nur, wieso die sozialistische Partei dann immer kleiner und die freiheitliche immer größer geworden ist?

Untergang herbeireden

Bislang dachte man immer, nur die Kärntnerischen seien krankhafte Gerechtigkeitsfanatiker hin bis zur Selbstgerechtigkeit. Doch dem ist nicht so. Wer die österreichische Innenpolitik in den letzten Jahren verfolgt hat, konnte folgendes feststellen: Wann immer man versucht hatte, Haiders und seiner Kumpanen Ausfälle besonders hartnäckig wiederzukäuen, in jeder Silbe eine Neuauflage des Dritten Reiches erblickte, legte er bei den nächsten Wahlen zu. Warum? Weil offensichtlich viele ÖsterreicherInnen, und nicht nur HaiderwählerInnen, es gründlich satt haben, dass die Medien „den Wortlaut mit genüsslichem Schauder weitertransportieren“ (Formulierung von B. Frischmuth, Standard, 5./6. Februar 2000) und um den Schauder zu steigern, die halbe Republik mit unter Verdacht stellen, HaidersympathisantInnen und Neonazi zu sein, die sich weigern, die Vergangenheit zu bewältigen. Wenn der Untergang von selber nicht kommt, dann muss er eben tüchtig herbeigeredet werden. Und am besten tagtäglich, denn nur „bad news are good news.“ Oder anders formuliert: Energy flows where intention goes.

Was man in Österreich unter Vergangenheitsbewältigung zu verstehen hat, ist, so denke ich, mehreren klar: Man schleicht wie ein geschlagener Hund schuldbeladen durch die Welt und vermeidet tunlichst, sich gegen die verordnete Vergangenheitsbewältigung aufzulehnen, straft sich prophylaktisch selbst, wenn der Bauch zu denken anfängt und leise nachfragt: Was habe ich, als Zweiundvierzigjährige, in einer erzpatriarchalen Welt, die nach wie vor voll von Mordbuben ist, zu bewältigen? Oder frau/man ist noch kühner und spekuliert laut: Hätte Haider mit dem Feminismus geliebäugelt, nachgefragt, wie denn die diversen Regierungen zur Rolle der Frauen in den letzten zweitausend Jahren, zur ihrer Verschacherung, Entmündigung, Verstümmelung, Verbrennung etc. stünden, hätte niemals auch nur ein einziger Hahn nach ihm gekräht. Er wäre nicht mal auf der politischen Bühne erschienen. Natürlich, ich weiß, fau/man „darf“, vor allem in der linken Szene, ein Unrecht nicht gegen ein anderes Unrecht aufrechnen, und auch nicht vergleichen, schon gar nicht dann, wenn niemand da ist, der es anklagt.

Die europäische Union.

Dahinter steht: 1. Mann glaubt durch die Regierungsbeteiligung der FPÖ in Österreich würden die europäischen rechtsradikalen Parteien salonfähig gemacht werden. Statt das Problem im je eigenen Land zu bearbeiten, wählte man in Brüssel eine unglückliche Strategie: Mann bestraft Österreich stellvertretend für das eigene Manko, sich rechtzeitig um einen Dialog mit den Rechtsparteien gekümmert zu haben. Hie wie dort, meint mann Probleme durch Polarisierung lösen zu können, anstelle genauer hinzusehen, nachzufragen und zu integrieren, wählte man die Ausgrenzung. 2. Das mehrheitlich rot dominierte Europa muss die Macht und die goldenen Fressnäpfe nicht nur mit den Schwarzen teilen, nein, jetzt kommen auch noch die Blauen daher. Das schmerzt. Im Vordergrund stehen aber Haiders Sager. Er hätte diverse Staatsmänner beleidigt, ein Umstand, der hart zu bestrafen ist. Mann weiß zwar, dass die Vertreter der Freiheitlichen Partei in Österreich keineswegs die einzigen Politiker in Europa sind, die sich mit primitiven und verletzenden Äußerungen hervorgetan haben, auch andere Fraktionsvertreter glänzten mit rassistischen und sexistischen Sprüchen, doch wenn zwei das gleiche tun, ist es noch lange nicht dasselbe. Allein der Verweis, auch andere seien … reicht um out of order gestellt zu werden.

Und nun noch ein paar Gedanken zu diversen Phrasen:

Niemals vergessen: Wer tagtäglich mehrmals daran erinnert wird, braucht sich auch von selbst nichts zu merken. Wehret den Anfängen: Welche Anfänge? Wo sind sie zeitlich anzusetzen? Meint mann die biblischen Aufforderungen Jahwes alle zu töten, die ihn als Gott nicht anerkennen, oder die patriarchalen Ausrottungs- und Unterwerfungsfeldzüge der großen Krieger der letzten viertausend Jahre? Oder meint mann damit das selbstständige Denken? Widerstand: Zuerst schnarchen, dann … Betroffenheit: Der neue Distanzierungs-Kult, der es ermöglicht, rhetorisch am Unglück anderer Anteil zu nehmen, ohne davon innerlich berührt zu sein. Neoliberalismus: „Die Grünen“, sagte Van der Bellen in der Pressestunde am 13. 2. 2000, „sind eine grün-liberale Partei.“ Da wird sich das LIF aber freuen. Globalisierungsfalle: Seit wann fürchten sich die Europäer vor der Welt? Lebenslanges Lernen: Was hat die Menschheit bisher gemacht, wenn nicht tagtäglich Neues dazugelernt? Meinungsfreiheit: Kann mensch einfordern, keine Frage, aber wer sie praktiziert ist selber Schuld. Rassismus und Sexismus: Interessant, dass diese zwei Schlagwörter automatisch verknüpft werden ohne das zweiterem Phänomen dieselbe Aufmerksamkeit zukommt und Empörung auslöst.

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