Sektor3/Kultur

Gerald Raunig über die Konferenz der IG Kultur Österreich „sektor3/kultur<„

 

„… den zivilgesellschaftlichen Sektor im Kulturbereich lieber aus eigenem Antrieb diskursiv weiter verankern und vernetzen …“

von Ulrike Stieger

 

sektor3/kultur – so der Name der diesjährigen Konferenz der IG Kultur. Warum taucht dabei immer wieder das Wort Jubiläumskonferenz auf?

Bei der Vorbereitung unseres Ð nun nach 1995 und 1998 zum dritten Mal stattfindenden Ð Symposions kamen wir im Sommer letzten Jahres auf die Idee, dieses Symposion im Wiener WUK mit der anstehenden Generalversammlung und einem 10-Jahres-Fest der IG Kultur Österreich zu koppeln. Das heißt konkret, daß am Wochenende zwischen 30.3. und 2.4. zuerst die Ländervertretungssitzung (30.3.) und die Generalversammlung (31.3.) der IG Kultur stattfinden wird, am 1.4. abends das 10-Jahres-Fest mit der Präsentation der ironisch so getauften „Festschrift“, und von 31.3. abends bis 2.4. als Rahmung die Konferenz mit dem nüchternen Titel „sektor3/kultur“.

Was bewog euch zur Themenwahl „sektor3/kultur“?

Zum einen ging es uns um einen Begriff, der halbwegs brauchbar und gleichzeitig ideologisch halbwegs unverbraucht die Vielfalt der Initiativen beschreibt, die sich in den letzten Jahrzehnten zwischen Markt und Staat, zwischen Kulturindustrie und Repräsentationskultur entwickelt haben; also nicht nur klassische Kulturinitiativen (vom kleinen lokalen Kulturverein bis zum etablierten soziokulturellen Zentrum), sondern auch freie Theatergruppen, autonome Jugendzentren, Kollektive in der bildenden Kunst zwischen Interventionskunst und Public Art, und zuletzt immer mehr freie Medieninitiativen, vom „alten“ Medium Radio bis zu den Initiativen der Netzkultur. Zum anderen soll der Begriff des „dritten kulturellen Sektors“ ein Vorschlag sein, den Bereich des Dritten Sektors, der bis jetzt vorrangig in ökonomischen Theorien behandelt wurde, begrifflich aktiv zu besetzen; wie Oliver Marchart meint, „allein schon deshalb, weil er ansonsten von Andreas Khol und Konsorten besetzt werden wird“. Noch konkreter: Bevor also die Entscheidung zwischen „Bürger-“ und „Zivilgesellschaft“ nur mehr ein Geplänkel zwischen Khol und Mölzer bedeutet, wieweit Kulturarbeit einerseits der Belohnung mit Medaillen oder andererseits der kulturkämpferischen Prügel bedarf, wollen wir den zivilgesellschaftlichen Sektor im Kulturbereich lieber aus eigenem Antrieb diskursiv weiter verankern und vernetzen, um damit auch seine relative Autonomie von Staat und Markt zu stärken. Aktion statt Reaktion also, Offensive statt Valium.

Die Erstinformation der IG Kultur führt die Theoretikerin Chantal Mouffe an. Könntest du ihre Grundthese kurz skizzieren?

Chantal Mouffe ist eine Vertreterin radikaldemokratischer Theorien, wie auch Ernesto Laclau. Sie gehen im wesentlichen davon aus, daß die Veränderungen der europäischen Demokratien, in unserem konkreten österreichischen Fall z. B. der Zerfall der Sozialpartnerschaft, auch eine Chance beinhalten, nämlich die Chance des Entstehens von neutralen Terrains, in denen es nach einer Zeit des „stickigen Konsens“ zur Prozessierung von Konflikten kommen kann: in Mouffes Begrifflichkeit zu einer Situation des „agonistischen Pluralismus“, eines öffentlichen Wettbewerbs unterschiedlicher Positionen, die bis jetzt unter dem Deckel des Suppentopfes namens „Große Koalition“ verkocht worden sind. Ich habe diese Fragen unter dem Stichwort „Spacing the Line“ in meinem Buch1 in Bezug auf die Möglichkeiten politischer Kunstprojekte erörtert, danach im gettoattack-Sonderheft der Kulturrisse2 noch einmal stärker auf die Funktion der Grenzlinie als Hort des Populismus hingewiesen. Die demokratiepolitische Aufgabe von Kulturinitiativen wäre demnach das Öffnen dieser Grenzlinien und Erzeugen von Grenzräumen, in denen Differenzen verhandelt werden, die sonst Ð weil sie nirgends einen Ort ihrer Verhandlung haben Ð zum perfekten Aufmarschfeld des Populismus werden.

Worin siehst du generell die wichtigsten und interessantesten Fragen, die es im Zusammenhang mit Sektor3 und Kultur zu stellen gibt?

Da gibt es einen weiten Rahmen zwischen Fragen über die einzelnen Menschen, die Kulturarbeit betreiben bis hin zu den Grenzen des Felds, das wir da beackern: Was sind die Funktionen und Positionen der Subjekte im Dritten Sektor und die Effekte auf sie? Können durch Kooperation und vernetztes Vorgehen künstlerischer, soziokultureller und politischer Arbeit „reale“ politische Effekte erzeugt werden? Wie kann das zivilgesellschaftliche Unternehmen davor bewahrt werden, sich mit sich selbst zu beschäftigen, während daneben an der Rücknahme des Staates aus seiner kulturpolitischen Verantwortung gearbeitet wird. Was sind die Grundkategorien, die diesen Dritten Sektor konstituieren? Was sind Ausschließungs-, Abgrenzungskriterien, was die Relevanz, die gesellschaftlichen Funktionen dieses Sektors? Was sind die gemeinsamen Probleme und Entwicklungsperspektiven, was wären gemeinsame Forderungen an wen? usw.

Bereits im Vorfeld wurde sichtbar, daß diese Konferenz in ihrer methodischen Herangehensweise neue Wege einschlägt. Wie sieht die Konferenzvorbereitung aus?

Anstatt des gängigen Procedere, ReferentInnen und ihre Vorträge am Symposion mehr oder weniger unvorbereitet aufeinander prallen zu lassen, haben wir schon sechs Monate vor der Konferenz einen Diskussionsprozeß gestartet, der eine erste Verdichtung nach dem Jahreswechsel erreichen soll. Die neuen HauptreferentInnen haben Anfang des Jahres die Mailinglist „Sektion3“ mit ersten Abstracts zu ihren Subthemen und das Metathema der Konferenz (also auch die Diskussion über die strategische Relevanz des Begriffs „dritter kultureller Sektor“) eine moderierte elektronische Diskussion geführt. Auf der realen Konferenz werden also schon teils vergemeinschaftete Ergebnisse, teils Zuspitzung der Differenzen zu erwarten sein. In einer zweiten, offenen Mailinglist namens „Sektor3″3 soll ein breiterer Zugang für AktivistInnen ermöglicht werden. In dieser Mailinglist soll einerseits die Verbreiterung des Diskurses in alle Bereiche des kulturellen Feldes erfolgen, andererseits der Boden für einen strategischen Forderungskatalog bereitet werden, der die politischen Positionen des Sektors verdeutlicht. Daneben führen die „Kulturrisse“ seit Mai 1999 in ihren Schwerpunkten ein in die Welt des dritten kulturellen Sektors und thematisieren den aktuellen Status seiner Subszenen (Mai 99 Medieninnitiativen, August 99 politische Kunst, Oktober 99 Freie Theaterarbeit, Jänner 00 Kulturzentren). Rechtzeitig vor der Konferenz wird ein Heft mit den Abstracts der Referate erscheinen, der die Konferenz bewerben wird und gleichzeitig den Stand der Diskussion der Mailinglists „Sektor3“ und „Sektion3“ auch im Printmedium veröffentlicht.

Wie sieht der Ablauf an den Konferenztagen aus?

Die Konferenz selbst ist gegliedert in die einführenden „Keynote Speeches“ von internationalen Fachleuten, die Referate der „Sektion3“, Arbeitsgruppen, die die theoretischen Ergebnisse von „Sektion3“ in Einführungen auf ihre praktische Verwertbarkeit überprüfen sollen, eine „good practice zone“ mit Projektpräsentationen, und schließlich am Ende eine Podiumsdiskussion, die erste Ergebnisse der Konferenz zusammenfassen und Forderungen des dritten kulturellen Sektors nach außen und Anforderungen nach innen diskutieren soll.

Aus den vergangenen Jahren ist mir die Kritik der Abgehobenheit und philosophischen Überladung der IG-Konferenzen bekannt. Nicht aufgrund von Theoriefeindlichkeit, sondern in der Hoffnung einer breiten Teilnahme, möchte ich daher die Frage stellen: Bedeutet die Neuorientierung in der Methodik auch eine Möglichkeit der besseren Annäherung an Kunst- und Kulturschaffende ohne theoretischen Background?

Da gibtÕs mehrere Ebenen: Erstens das Problem, daß einige KulturarbeiterInnen ihre Arbeit nicht so emanzipatorisch oder politisch verstehen, wie sie in den bisherigen Symposien, auch im kommenden, thematisiert wurde. Die hätten statt Reflexion und Kritik lieber frontale Belehrung über Steuerrecht und Finanzmanagement. Diese Zielgruppe würde ich gern auf unsere Seminare zu diesen Themen verweisen. Zweitens das Problem, daß viele gern solche Veranstaltungen zur Potenzierung ihrer täglichen Larmoyanz mißbrauchen wollen. Das ist durchaus verständlich, wenn man die Schwierigkeiten vor Ort kennt, aber nicht gerade förderlich für die strategischen Ziele solcher Veranstaltungen. Und drittens, und das ist das wichtigste: das Problem von zu hoher Abstraktion, d.h. daß TheoretikerInnen zwar über sehr relevante Dinge reden, die aber dann keine Anknüpfung finden, nicht bei den ZuhörerInnen ankommen, und schlimmer noch: nicht in die Praxis der Kulturarbeit einfließen. Um dieses Phänomen zu mildern, haben wir uns bemüht, mittels gerade genannter methodischer Instrumente gegenzusteuern.

Danke für das Interview.

1 Charon. Eine Ästhetik der Grenzüberschreitung, Wien: Passagen Ô99 2 Spacing the Lines. Der Boden unter den Füßen des Populismus, in: Kulturrisse spezial gettoattack, November Ô99, S. 10 – 11 3 Bitte um Anmeldung bei Martin Wassermair: wassermair@igkultur.at

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