Unverzichtbar – Unbezahlbar

Werner Bachstein analysiert die öffentliche Meinung zum Ehrenamt

 

von Werner Bachstein

Das Ehrenamt in der öffentlichen Meinung Unverzichtbar – unbezahlbar, aber…

In unserer Gesellschaft werden viele wichtige Leistungen ohne unmittelbare Gegenleistung erbracht. Zu arbeiten, ohne dafür bezahlt zu werden, ist nicht nur ein häufiges, sondern auch ein unverzichtbares Phänomen in unserer Gesellschaft. Der moderne Wohlfahrtsstaat wäre ohne unentgeltlich bereitgestellte Ressourcen verloren. Weder könnten die großen Wohlfahrtsträger ihr Leistungsangebot ohne ehrenamtliches Engagement von Menschen (gerade in Zeiten von „Sparpaketen“) aufrechterhalten, noch könnten alle Leistungen, die z.B. noch immer im Bereich der Nachbarschaftshilfe (vor allem Pflegeleistungen) erbracht werden, vom Staat oder von anderen Institutionen angeboten werden.

…nicht unproblematisch!

Trotz all der Wichtigkeit und Unverzichtbarkeit der ehrenamtlichen Arbeit muß auch auf Probleme in diesem Zusammenhang hingewiesen werden: Ehrenamtlichkeit wird nicht nur als wichtiges Leistungs- sondern auch oftmals als Kosten(einsparungs)element gesehen. Gerade in Zeiten von Privatisierungsdebatten und Sparprogrammen erhält dieses „Gratisengagement“ neue Brisanz. Ehrenamtlichkeit wird vielfach als Beitrag zur Lösung der finanziellen Probleme des Staats gesehen, gleichzeitig aber auch als neue Form der gesellschaftlichen BürgerInnenbeteiligung gepriesen. Die damit induzierten gesellschafts- bzw. sozialpolitischen (Verteilungs-)Wirkungen gilt es deshalb um so mehr mitzudenken und zu diskutieren.

Die öffentliche Meinung

Der Dritte Sektor und das Ehrenamt boomen – und zwar nicht nur in der Medienwelt, sondern vor allem auch in der politischen Auseinandersetzung. Der Dritte Sektor bzw. speziell das Ehrenamt als Hoffnungsmarkt in Zeiten gesellschaftlicher Sinnkrisen, als Wundermittel zur Lösung der Arbeitslosigkeit, als Privatisierungsinstrument, als Ausdruck des Liberalismus, als Allheilmittel gegen die öffentliche Finanzkrise, als idealistisches Betätigungs- bzw. Beteiligungsfeld für engagierte BürgerInnen, als „Demokratieübungsplatz“, als Zukunftshoffnung schlechthin etc. Es könnten wahrscheinlich noch viel mehr Beschreibungen gefunden werden, die in letzter Zeit über diesen Sektor und das Ehrenamt als Inbegriff zivilgesellschaftlichen Engagements geschrieben, geredet, diskutiert worden sind. Es ist in aller Munde. Die Motivationen, die hinter dieser intensiven Auseinandersetzung mit diesem Thema stehen, sind jedoch oft sehr unterschiedlich Ð je nach wissenschaftlichem Zugang, (partei)politischer Einstellung oder ideologischer Sichtweise. Dies macht eine kritische Auseinandersetzung nicht unbedingt leichter. Trotzdem scheint sie notwendiger denn je.

Die ökonomische Bedeutung

Obwohl die gesellschaftliche Relevanz beispielsweise der ehrenamtlichen Arbeit auf der Hand liegt, wird die wirtschaftliche Bedeutung bislang in der öffentlichen Diskussion kaum zur Kenntnis genommen und weit unterschätzt. Die durch das Ehrenamt geschaffenen Produktionswerte werden Ð auch mangels Informationen über den quantitativen Stellenwert Ð nicht in das Bruttosozialprodukt einbezogen. Ein Beispiel: Ein und dieselbe Betreuungsarbeit an einem alten Menschen wird zum Bruttosozialprodukt gezählt, wenn sie bezahlt wird, nicht aber, wenn sie ehrenamtlich erbracht wird. Soziale Dienste sind beispielsweise ein Arbeitsfeld, wo die ehrenamtliche Arbeit sogar das Volumen der bezahlten Arbeit übertrifft. Bezahlte und organisierte Arbeit machen in diesem Bereich im Verhältnis dazu einen verschwindend kleinen Anteil aus. Bei der bisher einzigen österreichischen Schätzung des Volumens der ehrenamtlichen Arbeit, die Mitte der achtziger Jahren durchgeführt wurde, zeigte sich etwa, daß im Sozialbereich die Leistungen des „informellen Sektors“ mehr als doppelt so groß sind als jene der bezahlten Arbeit. Apropos ökonomische Bedeutung: dies gilt nicht nur für die geleistete ehrenamtliche Arbeit aus einer volkswirtschaftlichen Sicht. Auch für jede/n einzelnen ehrenamtlichen Engagierten stellt sich die âökonomische FrageÕ; denn nur wer ökonomisch, d.h. finanziell abgesichert ist, kann es sich leisten, ehrenamtlich tätig zu sein. Das Ehrenamt – eine kritische

Betrachtungsweise…

Von dem Ehrenamt zu schreiben oder zu reden ist zumindest aus zwei Gründen nicht haltbar: Zum einen deutet das „ehrenhafte Amt“ sehr stark auf eine (männliche) mit Macht und Ehre ausgestattete (Funktionärs-)Tätigkeit hin und viel weniger auf Basisarbeit, die oft von Frauen ausgeübt wird. Zum anderen gibt es unterschiedlichste Formen des Ehrenamtes (nachfolgend ein paar Formen):

 

  • Innerhalb und außerhalb von Organisationen: Ehrenamtliche Arbeit in Organisationen wie z.B. Caritas, Greenpeace und Amnesty International etc.; außerhalb von Organisationen z.B. in Form von Nachbarschaftshilfe;

     

     

  • Laienarbeit und professionelle Arbeit: Ehrenamtliche Arbeit kann nicht immer mit Laienarbeit gleichgesetzt werden; es gibt genug Beispiele, bei denen sich ProfessionistInnen ohne Bezahlung für ideelle Zwecke engagieren;

     

     

  • Leitende und ausführende Arbeit: Wie bereits angedeutet, ist sowohl ein Vereinspräsident, aber auch eine Basisarbeiterin, die notwendige Hilfsdienste verrichtet, ehrenamtlich tätig (hier trifft leider noch immer zu, daß Männer eher leitende und Frauen eher ausführende Arbeit verrichten).

     

    Auf einige Probleme bzw. Schwierigkeiten im Zusammenhang mit der Ehrenamtlichkeit soll nachfolgend noch kurz eingegangen werden:

     

  • Qualität: In Zusammenhang mit der Ehrenamtlichkeit wird auch immer wieder die Qualitätsproblematik angesprochen: Kann die notwendige Leistungsqualität Ð bzw. wenn man es ökonomischer formuliert Ð kann die effiziente Erstellung von Dienstleistungen auch mit Hilfe Ehrenamtlicher gesichert werden? (Schlagworte: Verfügbarkeit/Verläßlichkeit);
  • Abstimmungsprobleme zwischen ehrenamtlicher und bezahlter Arbeit: Das Zusammenspiel zwischen bezahlten und ehrenamtlichen MitarbeiterInnen verursacht in den Organisationen oftmals große Schwierigkeiten Ð z.B. durch fehlende klare Kompetenzaufteilung (wer darf/kann was machen?). Hier stellt sich auch die Frage nach den Qualifikationsanforderungen bestimmter Tätigkeiten;

     

     

  • Geschlechterverteilung: Im Sozialbereich sind über 65% aller ehrenamtlichen MitarbeiterInnen in NPOs Frauen (im gesamten Pflegebereich, d.h. inklusive der ehrenamtlichen Arbeit außerhalb von Organisationen steigt der Frauenanteil auf über 80%). Ökonomisch betrachtet verursacht jede produktive Leistung Kosten, selbst wenn kein monetäres Entgelt bezahlt wird. Es geht also um die Frage, wer denn die Kosten trägt. Wenn gegen Entgelt Ð beispielsweise durch eine diplomierte Krankenschwester Ð gepflegt wird, trägt die Kosten zum Großteil die Allgemeinheit durch ihre Steuerbeiträge. Pflegt eine Frau ihre Nachbarin ehrenamtlich, trägt sie selbst die (Opportunitäts)kosten (sie könnte ja in der gleichen Zeit gegen Bezahlung tätig sein). D.h., daß z.B. die ehrenamtliche Pflege, die noch immer fast ausschließlich von Frauen geleistet wird, zu einem offiziellen und damit wünschbaren Teil öffentlicher (Sozial-)politik gemacht wird. Somit wird von politischer Seite die Rollenverteilung zwischen den Geschlechtern oft verstärkt.

 

…und deren mögliche Konsequenzen

 

  • Neudefinition des Arbeitsbegriff: Immer wichtiger scheint das Nachdenken über den Begriff der Erwerbsarbeit, d.h. eine Abkoppelung des Arbeitsbegriffs von der traditionellen Erwerbswirtschaft. Arbeit existiert in unterschiedlichen Formen, jedoch hat immer noch lediglich die Erwerbsarbeit die eigentliche gesellschaftliche und somit ökonomische Anerkennung. Eine Auseinandersetzung mit der ehrenamtlichen Arbeit bedingt eine Auseinandersetzung mit der Erwerbsarbeit. Eine gerechte Verteilung ist für beide Arten der gesellschaftlichen Teilhabe unbedingt notwendig.

     

     

  • Chancengleichheit für beide Geschlechter: Frauen und Männer sollten die gleichen Möglichkeiten haben, sowohl bezahlte als auch unbezahlte Arbeit leisten zu können. Vielfach zeigt jedoch die Arbeitswelt, daß Frauen am Arbeitsmarkt immer noch sehr benachteiligt sind. Eine Verbesserung der Voraussetzungen bzw. der Rahmenbedingungen, damit Erwerbsarbeit und ehrenamtliche Arbeit von beiden Geschlechtern geleistet werden kann, wäre ein großer Fortschritt.

     

     

  • Anrechnung von ehrenamtlicher Arbeit in der Pensionsversicherung: Eine potentielle Honorierung ehrenamtlichen Engagements wäre die Anrechnung der ehrenamtlicher Tätigkeit bei der Pensionsversicherung. Ehrenamtlichen fehlt zumeist jegliche sozialrechtliche Absicherung Ð sie sind wiederum von Dritten abhängig, daß sie in ihrer Pension eine finanzielle Unterstützung erhalten.

 

 

Literaturtips (Bsp.):

 

  • Badelt, Christoph (Hrsg. unter Mitarbeit von Bachstein Werner): Handbuch der Nonprofit Organisation – Strukturen und Management. 1999. Stuttgart

     

     

  • Beher, Karin, Liebig, Reinhard, Rauschenbach, Thomas: Das Ehrenamt in empirischen Studien – ein sekundäranalytischer Vergleich. 1998. Stuttgart

     

     

  • Notz, Gisela: Die neuen Freiwilligen. Das Ehrenamt – Eine Verantwortung auf die Krise? 1998. Neu-Ulm.
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