Feminismus und Krawall ist eine Allianz aus über 20 Initiativen und weiteren einzelnen Aktivistinnen, die seit letztem Jahr am internationalen Frauentag musikalische, akustische und performative Aktionen an verschiedenen Orten in der Linzer Innenstadt gemeinsam tragen. Auch abseits vom 8. März ist die transkulturelle, frauenpolitische Allianz präsent, „wenn es wichtig ist und es um etwas geht“, beschreibt Oona Valerie Serbest das Selbstverständnis. Sie und Gitti Vasicek sprechen mit Tami Imlinger von der KUPF über ihre Erfahrungen bei Feminismus und Krawall.
Wie ist es euch oder dir, Valerie, gelungen, dass sich so viele Initiativen an einen Tisch setzen?
Serbest: Weil der Wunsch von so vielen Seiten spürbar war, muss man immer wir sagen. Es hat einfach nur die gefehlt, die sagt: Setzen wir uns zusammen! Ein ganz wesentlicher Teil ist, dass die Frauen, die Interessensvertreterinnen auch gekommen sind.
Vasicek: Es ist eine Allianz von Interessierten, die unterschiedliches KnowHow, unterschiedliche Kompetenzen und unterschiedliche feministische Anliegen haben. Wir haben viele Meinungen und Themen, die in die Gruppe getragen werden. Ob das jetzt ein weißer, schwarzer, transsexueller, intersexueller Feminismus ist, und und – es geht darum, diese Vielfalt gemeinsam zu tragen.
Was sind die Vorteile von so einem Zusammenschluss?
Vasicek: Es gibt viele verschiedene Kompetenzen und Ressourcen und wir lernen die Unterschiedlichkeit kennen. Zum Beispiel haben die Frauen von maiz andere Anliegen, Erfahrungen und einen anderen sozialen kulturellen Background und dadurch kriegen wir unheimlich viele Zugänge.
Serbest: Der Mehrwert liegt im Austausch. Man kommt durch die Gruppe mit vielen Dingen in Kontakt, mit denen man sich wenig beschäftigt hat, weil man nicht betroffen ist. Auch davon lebt die Gruppe. Es kommen und gehen Frauen – oder Menschen, besser gesagt. Je nachdem, wer gerade aktiv ist, werden bestimmte Anliegen stärker thematisiert. So bleibt man ständig in Bewegung und wird mit Neuem konfrontiert.
Wie geht ihr mit Widersprüchen um?
Vasicek: Die Widersprüche sind in dem Konzept total willkommen, an denen arbeitet man sich ab, man muss sich und seine Position erklären und wird gefordert. Ohne diese Widersprüche wäre es langweilig. Für mich sind sie begrüßenswert.
Welche Reibungsflächen gibt es?
Vasicek: Ich habe zum Beispiel bei der Prozession (der antropofagischen Prozession, Anm.d.Red.) lernen müssen, was es heißt, wenn MigrantInnen sagen, „sie fressen Europa“[1]. Weil ich mich natürlich als Europäerin und als Österreicherin fühle, aber: Es geht ja gar nicht um mich, sondern es geht um Systeme und auf einmal arbeitest du dich auf einer ganz anderen Ebene ab.
Gibt es Kriterien, um Teil der Allianz zu sein?
Vasicek: Nein, wir haben keine Kriterien. Die Frage hat sich bis jetzt nicht gestellt. Menschen kommen mit Anliegen, bei denen es um gesellschaftspolitische, feministische oder Gender-Queer-Fragen geht. Das ist so vielfältig – da gibt’s keine Kriterien und wir wollen auch keinen Kriterienkatalog aufstellen.
Serbest: Ich finde das immer ganz lustig, weil grundsätzlich vorausgesetzt wird, dass keine Männer kommen dürfen. Wir sehen das aber gar nicht so: Die kommen einfach nur nicht und wären genauso herzlich willkommen. Feminismus betrifft nicht nur Frauen, sondern es geht um gesellschaftspolitische Probleme. Und es geht auch darum, gegen Neoliberalismus und Kapitalismus zu sein.
Es ist geplant, eure Form des Zusammenarbeitens wissenschaftlich zu begleiten – was erhofft ihr euch davon?
Vasicek: So etwas wie ein Arbeitstagebuch! Man schreibt sich nämlich die Entscheidungen leider nicht auf, die man permanent trifft. Eine Begleitung kann so etwas sichtbar machen. Das ist immer dieser Zauber, wenn man sich Dinge und Handlungen bewusst macht.
Serbest: Und auch, weil es uns selber interessiert. Es war am Anfang wirklich unklar, ob es funktionieren wird und dann ist ja die Basisdemokratie auch nicht unbedingt ein einfaches Mittel und kann zu Zerfall führen. Wir haben überhaupt nicht das Gefühl, auch nur in der Nähe von Zerfall zu stehen – ganz im Gegenteil, es wird immer besser. Es ist schon eine interessante Frage, warum es in dem Kontext so gut funktioniert, wie es funktioniert.
Wer kann sich womöglich davon etwas abschauen?
Serbest: Wenn das Produkt gut ist und für andere zu übertragen, stellt man es auch zur Verfügung. Feminismus und Krawall arbeitet überhaupt gerne damit, Information zur Verfügung zu stellen. Seit kurzem gibt’s eine Webseite, die ausgebaut werden wird und wo man sich eine Druckvorlage oder was auch immer downloaden kann. Es ist gewünscht, dass man Wissen teilt.
Vasicek: Das ist dann wie eine virtuelle Bastelstube.
Ihr seid momentan „nur“ in Linz vernetzt – gibt es Pläne, die Allianz auszuweiten?
Vasicek: Prinzipiell gibt’s Pläne und es gibt auch eine Einladung. Wenn jetzt 40 Leute nach Graz fahren, um diese Einladung, die es dort gäbe, anzunehmen, muss das schon geplant sein. Prinzipiell schließen wir es nicht aus und so lange es lustvoll ist und die Idee für die Einladenden klar ist, und es finanzierbar ist, kann man sich das schon vorstellen.
Du, Valerie, bist in der Stadtwerkstatt angestellt – ist Feminismus und Krawall zu Beginn als ein Stadtwerkstatt-Projekt gelaufen oder in deiner Freizeit?
Serbest: Ich habe gewusst, ich muss ein bisschen ein Budget aufstellen. Es gibt einfach Ausgaben in kleineren Bereichen – für Drucksorten zum Beispiel –, die nicht durchs Ehrenamt erfüllbar sind. Wir haben zu dem Zeitpunkt auch nicht gewusst, ob wir Förderungen bekommen werden – oder überhaupt beantragen wollen, es wird ja alles basisdemokratisch entschieden. Über die Stadtwerkstatt habe ich eine erste Finanzierung bekommen und im ersten Jahr war auch fiftitu% stark beteiligt.
Wie sieht’s mittlerweile mit der Finanzierung aus?
Serbest: Nach wie vor liegt ein riesengroßer Teil im Ehrenamt, in der Liebe und im Engagement der Frauen, die teilnehmen. Und ja, wir kriegen Förderungen von der Stadt Linz Kultur, vom Frauenbüro, von Land OÖ Kultur und vom Frauenreferat. Ein Boot auf den Hauptplatz zu stellen wäre sonst zum Beispiel nicht möglich. Wichtig ist uns auch, dass Künstlerinnen nicht gratis auftreten, dass wir uns nicht wieder an der Ausbeutung von Frauen beteiligen, unter dem Deckmantel, etwas für Frauen zu machen.
Vasicek: Also alles, was sozusagen zugekauft werden muss, wird honoriert. Oder wenn gekocht wird, was sehr wichtig ist, um überhaupt einen Tag auf der Straße durchzuhalten.
Im Forum eurer Homepage steht, ihr wurdet letztes Jahr von der Presse ignoriert. Heuer wird das schön langsam anders – woran liegt das?
Vasicek: Ich glaube, dass es zum einen an dem Preis liegt – Feminismus und Krawall hat den Frauenpreis 2014 in Linz bekommen – und zum anderen ist es so, wenn man etwas wiederholt, dann hat man eine Erinnerung und eine andere Wahrnehmung.
Serbest: Für viele Menschen ist es eine provokante Geschichte und manche Gruppierungen finden es halt nicht so toll, was wir machen und die wettern dann. Man muss da sagen: Jede Werbung ist Werbung, ob negativ oder positiv – wir nehmen alles (lacht)!
Zusätzlich zur medialen Präsenz: Was bedeutet es für euch, den Frauenpreis bekommen zu haben?
Vasicek: Es ist natürlich ein Auftrag, auf jeden Fall weiter zu arbeiten. So etwas stärkt, das ist überhaupt keine Frage. Und die 3.600,- Euro nehmen Druck weg.
Serbest: Wichtig ist auch, in der Stadtgeschichte noch einmal anders präsent zu sein.
Welche Pläne, welche Wünsche habt ihr für die Zukunft?
Vasicek: Um im Sinne von Johanna Dohnal zu reden: Wir wollen keine Herrschaft, aber wir wollen die Macht.
Serbest: Was ich vom organisatorischen Part ergänzen kann ist, dass sich Feminismus und Krawall weiter ausbaut. Wir haben letztes Jahr schon begonnen, Aktionen auch unterm Jahr zu machen – zum Beispiel zum International Sexworkers Day. Heuer im Sommer wird ein Symposium im öffentlichen Raum stattfinden, es ist der Begleitprozess geplant und es gibt Einladungen in andere Bundesländer. Wir wollen auch unterm Jahr präsent sein in der Stadt – was die einzelnen sowieso sind und mit gemeinsamen Aktionen sind wir es dann gemeinsam, wieder, noch mehr.
[1] „Wir fressen Europa“
Die antropofagische (menschenfressende) Prozession war Teil des Programms von Feminismus und Krawall am 8. März, wurde vom Verein maiz initiiert, zog vom Linzer Hauptplatz zum Martin Luther Platz – der in Refugee Platz umbenannt wurde. Migrantische Identität und Erfahrungen mit Machstrukturen wurden selbstironisch inszeniert und mit verschiedenen Charakteren dargestellt: Super Puta Pradastern, eine Porno-Päpstin und eine schwangere Päpstin, Madame Kloé, Poka Hunter und noch einige mehr waren mit dabei. Die Prozession endete mit einem Ritual am Refugee Platz: Im Stil von Fürbitten wurden transkulturelle und frauenpolitische Forderungen vorgetragen, z.B. „Wir nehmen uns das Recht, Rechte zu haben“, „Wir nehmen uns das Recht, den weißen Feminismus zu kritisieren“ und „Wir fordern das Recht auf Migration für alle und zwar überall“. Ein mit (essbarem) Geld befüllter Kessel wurde umtanzt und Slogans wie „Wir fressen Europa“, „Luxus für alle“ und „Sexarbeit ist Arbeit“ wurden – zum Teil in unterschiedlichen Sprachen – wiederholt. Den Abschluss bildeten Statements der einzelnen Charaktere.
Die antropofagische Bewegung hat ihren Ausgangspunkt in der Antikolonialisierungsbewegung in Brasilien. Oswald de Andrade forderte in seinem Manifest 1928 zur produktiven Aneignung der Dominanzkultur auf: „Der Brasilianer als kultureller Kannibale, der gierig fremdes Kulturgut verschlingt, es mit eigenen Elementen vermengt und als etwas verändertes wiedergibt.“
Dies wird nun umgedeutet und wurde bei der Prozession performativ dargestellt: Die weiße Kultur soll gefressen werden, nicht um geschluckt und verdaut zu werden, sondern um wieder ausgepuckt und mit eigenen Komponenten angereichert zu werden. Im weiteren Sinn bedeutet das: Es geht nicht um Assimilation, sondern die herrschende Hegemonie soll sich angeeignet werden.
(Vgl. Europa fressen und ausspucken, migrazine 2/2013 & Antropofagia – Plädoyer für ein eigenartiges Leben, online unter: art-zweinull.org)
Oona Valerie Serbest (Stadtwerkstatt, fiftitu, KV peligro) hat Feminismus und Krawall initiiert, kann man so sagen. Es gab davor schon Aktionen von einzelnen Vereinen und AktivistInnen zum 8. März, Valerie Serbest hat aber die Notwendigkeit einer Vernetzung gesehen und ist mit dem Wunsch ausgerückt, das Ausbaupotential umzusetzen. Gut eineinhalb Jahre später meint sie: „ Ich glaube, es ist besser geglückt, als wir uns überhaupt erwarten hätten können. Wir machen jetzt das zweite Jahr, wir sitzen noch immer da, die Gruppe wird größer anstatt kleiner und das erscheint mir alles recht positiv!“
Brigitte „Gitti“ Vasicek ist Vertreterin der Kunstuniversität, hat von dem Projekt gehört und ist aus Neugierde zur ersten Sitzung von Feminismus und Krawall gekommen. Sie hat eine sehr offene Runde erlebt, die mit unterschiedlichen Themen und Zugängen versucht hat, etwas für den 8. März zu kreieren. Da es ihr wichtig erscheint, den 8. März zu thematisieren und etwas Aktionistisches im öffentlichen Raum zu machen, ist sie zur nächsten Sitzung gekommen, und zur nächsten, und zur nächsten.
Tamara Imlinger ist Mitarbeiterin im KUPFbüro, hat vor gut zehn Jahren eine Frauengruppe im Infoladen Wels mitbegründet und einen Frauen-Band-Versuch gestartet, hat während ihres Studiums einen Fokus auf Geschlechtergeschichte gelegt und bekommt schön langsam wieder Lust auf mehr Aktionismus.
Das gesamte Interview als Audiofile im Podcast: http://cba.media/255148