Während das Musiktheater Formen annimmt, kracht es bei den heimischen Gruppen ordentlich im Gebälk. Und zwar vor allem bei jenen, die ihr Schaffen tatsächlich unter den Status der vollerwerblichen, freischaffenden Bühnenarbeit gestellt haben.
Das Musiktheater nimmt Formen an, Pressekonferenz im November 2011: Landeshauptmann Josef Pühringer, Intendant Rainer Mennicken, der kaufmännische Vorstandsdirektor Thomas Königsdorfer und der technische Geschäftsführer Otto Mierl empfangen im Info-Pavillon geschätzt 30–40 Journalisten und Journalistinnen für ein technisch-bauliches Infogespräch und den anschließenden Baustellenrundgang. Interessant ist diese Begehung allemal – gerade wegen des Rundums zur inhaltlich-künstlerischen Positionierung … ein paar ausgewählte Details: multifunktionale Transportdrehbühne (z.B. mit Drehbühne auf der Drehbühne), ein vollautomatisch gesteuertes Dekorations- und Prospektlager (Flughafentechnik wird erstmals am Theater angewandt), maßgeschneiderte LED-Lichtdecke (energieeffizient), Photovoltaik, E-Mobilität, Solartechnik, Fernkälte (Niedrigstenergiegebäude), begrüntes Dach und eine schöne Außenfassade (es gibt ausschließlich lobende Briefe an den LH), 170 km verlegte Kabel, etc., etc. – keine Frage, das Musiktheater wird groß, groß,groß.
Nun soll dies kein Kommentar zu einem Haus werden, das manche als Vision begeistert, das andere als Großmannssucht ablehnen, nicht wenige ob der entstehenden Kosten oder einer Auslastung fragwürdig finden. Vielmehr interessant ist die Frage, wie viel Wirtschaftlichkeit eigentlich die Kunst verträgt – und wie das alles im Verhältnis zum lokalen, freien Bühnenschaffen steht. Wir versammeln die Punkte, die das neue Haus jetzt schon kann – denn die Beurteilung von Budgetentwicklung, Positionierung, etc. bleibt der Gegenwart per se verschlossen. Also, was kann das Haus jetzt schon? Das Haus kann die modernste Bühnentechnik Europas (siehe oben), es erfüllt jetzt schon die 2019er-Ökostandards der EU (Vorzeigeprojekt „Kultur trifft Ökologie“), die Baustelle kurbelt in der konjunkturschwachen Zeit die heimische Wirtschaft an (ca. 88% der Aufträge wurden an österreichische Firmen vergeben, davon ca. 79% an oberösterreichische), und das Haus begeistert jetzt schon jeden Sonntag ca. 100 Menschen, die die Baustelle begehen (Zeichen für gesteigerte Akzeptanz). Also – wenn es mal den ohnehin schon recht tollen Spruch gab, dass Kunst von Können kommt, dann ist klar, dass Kunst heute noch viel mehr machen muss, als nur von Können zu kommen: Sie muss recht viel Außertourliches zu leisten imstande sein, um relevant zu bleiben. Denn so viel ist klar: Die Bevölkerung mit Großprojekten zu begeistern, Ökostandards zu setzen, für Konjunktur am Arbeitsmarkt zu sorgen – das macht den Wirtschafts-Trend um sehr vieles klarer: Kunst muss Wirtschaft können und freie Gruppen können so viel Wirtschaft klarerweise nicht (wollen sie auch nicht, oder können sie nicht wollen)! Mehr dazu weiter unten und: Falls das irgendwem nur irgendwie doch gelingen sollte, bitte Bescheid geben – es ist ja nicht so, dass man sich nicht gerne vom erfolgreichen Gegenteil überzeugen lassen würde.
Wir wollen produktiv bleiben und fragen mal umgekehrt: „Wie viel Kunst verträgt eigentlich die Wirtschaft?“, denn freien darstellenden Gruppen wird ja in Zeiten wie diesen gerne empfohlen, die Lösung im Sponsoring zu sehen. Rückfragen bei Kolleginnen und Kollegen bestätigen die eigene Erfahrung: Es ist durchaus möglich, hier und da ein paar Euros aufzustellen, aber die relevanten Summen, die tatsächliche Produktionskosten abzudecken imstande wären, bleiben den größeren Kulturplayern vorbehalten – jede professionelle und seriöse Person, die im Sponsoring arbeitet, wird das bestätigen. Eine andere Frage: „Wie viel Kooperation vertragen eigentlich freie Gruppen?“ – Stichwort „Öffnung der Institutionen“. Was sich grundsätzlich gut anhört, erweist sich in der Praxis eher als Ausnahmefall der Regel. Diese Ausnahmen gibt es, aber: Grundsätzlich beinhalten solche Öffnungen inhaltliche und strukturelle Schwierigkeiten, unterschiedliche Vorstellungen von Ästhetik oder Bühnenmittel-Einsatz, wieder Finanzierungsfragen, und nicht zuletzt wirtschaftlichen Erfolgsdruck – denn das ist auch symptomatisch: Wo man sich als freie Gruppe, gerade ob der Größe und der guten Finanzierung der Häuser, eigentlich Mut zum Experiment und zum Wagnis erhofft, ist der Spielraum dahingehend relativ gering, oft geradezu gegenteilig.
Wie sieht es nun aus, so allgemein auf den freien Bühnen? Grundtenor nach einer kleineren Telefonrecherche: „Ha, eine ernsthafte Frage?“ So manch Akteur, so manche Akteurin denkt ans Aufhören, manche kämpfen um einen Bühnenraum und stehen vor dem vielleicht-Aus, aber mit der Hoffnung, besser weiterzumachen, „aber nur mit einem notwendigen Schritt nach vorne“. Die anderen haben so sehr die nicht vorhandenen Mittel, also die „Not zur Tugend“ gemacht, dass sie laut eigenen Aussagen nicht mehr klar definieren können, was sie „eigentlich brauchen würden, in einem Idealfall“. An vielerlei Orten ein Entweder-Oder. Und die Konfrontation mit einem weitverbreiteten Irrtum, dass Linz09 im Bühnenbereich viel getan hat: Allgemein nicht mehr, als in anderen Sparten – und strukturell fürs freie Bühnen schaffen: gar nichts. Eine Frage meiner Recherche: Freie, vom Bühnenschaffen tatsächlich lebende Gruppen in Linz, gibt es tatsächlich nur diese einigen wenigen drei, vier, fünf – oder hab ich einen Zahlensturz im Hirn? Antwort: „Neinnein, das sind tatsächlich schon alle, für so eine kleine Stadt ist das eh viel“ … oder auch nicht. Denkpause, Ergänzung: „Aber für so eine kleine Stadt andererseits das riesige neue Musiktheater, tja.“
Bleibt zum Schluss der Aufruf, diese paar wenigen freien Grüppchen zu hegen und zu pflegen und nicht noch mehr ihrem eigenen Schicksal und einem fragwürdigen Markt zu überlassen: Denn so viel Wirtschaft verträgt das freie Bühnenschaffen eindeutig nicht.