„Die Zahl ist das Wesen der Dinge“

Andre Zogholy über Evaluation im Kunst- und Kulturbereich.

 

… meinte bereits der griechische Philosoph und Mathematiker Pythagoras. Dieser vermutete eine höhere Sphäre durch eine umfassende mathematische Ordnung. Alle Dinge des Lebens seien demnach Nachbildungen von Zahlen. Heute, also etwa 1400 Jahre nach Pythagoras und ein halbes Jahrhundert nach Theodor W. Adornos und Max Horkheimers kritischer Feststellung „Die Ideologie versteckt sich in der Wahrscheinlichkeitsrechnung“ erleben wir einen wahren
Quantifizierungsboom. Pythagoras hätte in der Gegenwart wohl seine Freude – 100-prozentig.

only what you can measure you can manage
Im neoliberalen New-Public-Management-getränkten Wunsch, das Bessere vom Schlechteren
zu unterscheiden, knappe Ressourcen effizienter einzusetzen oder einfach nur Leistung messen zu können, hat sich die Evaluation als Instrument und Methode immer mehr durchgesetzt. Öffentliche Verwaltungen, Universitäten, Unternehmen, Krankenhäuser

und immer mehr auch Kulturbetriebe müssen schließlich und selbstverständlich schlank, flexibel, fit und autonom sein. Diese Fitness-Metaphorik und Flexibilitätssemantik wird besonders deutlich, wenn der Ruf nach Wettbewerbsfähigkeit und einem kostengünstigen Arbeiten unter betriebswirtschaftlichem Kalkül laut wird. Im Rahmen des New Public Managements werden dabei mehr oder minder hohle betriebswirtschaftliche Erkenntnisse aus der Privatwirtschaft auf öffentliche Institutionen übertragen. Es geht also um eine ständige Steigerung, Verbesserung und Optimierung mittels der Ausrichtung an quantitativen Daten, Kennzahlen und Indikatoren, die sich direkt aus Zielen bzw. Zielvorgaben ableiten lassen, Vergleiche ermöglichen und Entwicklungen nachvollziehbar machen. Scheinbar objektivierte
Kriterien sollen einer Beurteilung und einer Rechenschaftslegung dienen, dies hinsichtlich
Effizienz (Verhältnis Aufwand – Nutzen), Effektivität (Zielerreichungsgrad) und des Effekts (Wirkung, Nachhaltigkeit). Angestrebt wird eine völlige Kontrolle von Komplexität, Kausalität und Wirkungen von Handeln über Wissen und Information, dies jedoch immer auf eine simplifizierende Art und Weise. Und so wird evaluiert, was das Zeug hält. Bisweilen kann von einer um sich greifenden, virulenten Evaluationitis gesprochen werden.

Miss es oder vergiss es
Evaluation als stetiges Aus- und Bewertungsritual dient vor allem dazu, Leistungen zu vergleichen, internen wie externen Wettbewerb anzuregen und so im Namen des Fortschritts, der Innovation, der Qualität und der KundInnenorientierung einen Verbesserungsprozess fortzusetzen. Das heißt, erst wird einmal evaluiert, dann ein Ranking erstellt, anschließend die Werte der „Klassenbesten“ als sogenannte Benchmarks definiert und das Feld verpflichtet, den „Besten der Besten“ nachzueifern, dieses Ergebnis wird wieder evaluiert und so weiter und so fort. Willkommen in der Evaluationsgesellschaft. Der Rückzug des Staates findet in dieser jedoch nicht statt. Aufbauend auf dem Konzept des New-Public-Management und unter Berufung auf Zahlenmaterial und Ziel- und Leistungsvereinbarungen dürfen von PolitikerInnen nun wahrhaft rationale Entscheidungen mit betriebswirtschaftlichem Kalkül gefällt werden, denn – um nochmals Adorno und Horkheimer zu zitieren: „Bekämpft wird der Feind, der bereits geschlagen ist, das denkende Subjekt.“ Es scheint in diesem Zusammenhang deshalb angebrachter zu sein, von einem Rückzug geistiger Fähigkeiten zu sprechen.

Überwachen und Strafen?
Evaluation fungiert als Analyseprinzip, indem sie nichtökonomische Bereiche und Handlungsformen mittels ökonomischer Kategorien untersucht, Bewertungen von (kulturellen) Praktiken anhand von Marktbegriffen unternimmt und so die Bewerteten
unter ein permanentes ökonomisches Tribunal stellt. Evaluation ist eine moderne

Form von Machtausübung. Als panoptische Kontrolltechnologie stellen ihre Mechanismen
Gesellschaft und Subjekte unter (gegenseitige) Dauerbeobachtung und Dauerbewertung und
münden im Leitbild neoliberaler Subjektivität unter dem Diktat des Komparativs nach dem
Motto „schneller, besser, schlanker“.

TÜV im Kultursektor.
Unser Verein ist ISO-DIN-9004-zertifizert

Nun sind Total Quality Management im Gesundheits- und in zunehmenden Masse auch im Bildungsbereich keine Novitäten, die Auswirkungen sind bereits seh-, spür- und natürlich auch analysierbar. Interessant ist darüber hinaus, dass in letzter Zeit immer häufiger das New-Public-Management-Wording von lokalen und regionalen KulturpolitikerInnen übernommen wurde. Nicht nur der Klubobmann und Kultursprecher der Grünen OÖ spricht gerne und oft mit leuchtenden Augen „Leistungsvereinbarung“ und „tiefergehenden Evaluierungen“ im Kultur(vereins)bereich. Der Begriff der Leistungsvereinbarung zum Beispiel ist dem New Public Management entnommen und zielt eindeutig auf den Einsatz privatwirtschaftlicher Steuerungsinstrumente in Form von Rechenschaftslegung über Effizienz und Effektivität anhand von Leistungsindikatoren. Stetige Qualitätsverbesserung verlangt kontinuierliche Leistungsmessung. KundInnen- und MitarbeiterInnenzufriedenheit, Fehlerquoten, Umsatzraten, BesucherInnenzahlen, Umwegrentabilitätsfaktoren sowie individuelle Leistungsprofile sollen erhoben werden, diese Daten quantifiziert und in ein Ranking mit Vergleichswerten gebracht, um Optimierungsschritte abzuleiten. Der aus dem Japanischen stammende Begriff „Kaizen“ bedeutet frei übersetzt „kontinuierliche Verbesserung“. Damit ist die laufende Produktund Prozessverbesserung gemeint und so wird davon ausgegangen, dass laufende kleine Verbesserungen einen möglichen Fortschritt – auch im Sinne von Innovation und Kreativität – besser ausnützen als ein Warten auf die nächste innovative „Revolution“. Diesem liegt die Überzeugung zugrunde, dass alle (kulturellen, unternehmerischen) Aktivitäten als Projekte bzw. (diese wiederum) als Prozesse aufgefasst und deren Inputs wie Outputs auch kalkulierbar gemacht werden können.

Minoritär Werden

Auch und gerade der Kulturbereich hat im Kontext des postindustriellen Strukturwandels,
der Ökonomie der Symbole und eines globalen Konkurrenzkampfes zwischen einzelnen Regionen, Metropolen und Staaten einen neuen Stellenwert erhalten, der unter
anderem die permanente Gefahr der Instrumentalisierung durch den unternehmerischen
Geist in Politik bedeutet. Kunst und Kultur funktionieren dementsprechend auch als Standortfaktoren und Imageproduzenten, die einer Stadt / einer Region / einem Staat eine
bestimmte Identität verleihen, und diese mit Attributen ausstatten, die vor allem Wachstum
und Fortschritt suggerieren sollen – ein Medienstandort, ein Labor der Zukunft, ein Land
der Forschung und Innovation. Auch das Schlagwort einer „Kultur für alle“ beschreibt demnach heutzutage meistens lediglich ein ausdifferenziertes und distinguiertes / distinguierendes Angebot an Möglichkeiten zu einer Gestaltung von Freizeit für eine mehr oder minder qualifizierte (Teil-) Öffentlichkeit und ihrem Wunsch nach einem ästhetischen
und mit einem kulturellen Mehrwert versehenen Leben. Hier wird vor allem eine tiefgreifende Kulturalisierung und Ästhetisierung verfolgt, eine weitere Verdrängung unerwünschter und unterpriviligierter minoritärer Randgruppen scheint evident. Hier angekommen sind wir dem Messen wieder nahe, wie auch Gilles Deleuze meint: „Minderheit und Mehrheit sind nicht nur quantitativ einander entgegengesetzt. Mehrheit impliziert eine ideale Konstante, ein Standardmaß, an dem sie sich misst und bewertet. Nehmen wir an, die Konstante oder das Maß sei: weiß – westlich – männlich – erwachsen – vernünftig – heterosexuell – Stadtbewohner – Sprecher einer Standardsprache.“ Auf diese zunächst relativ plausiblen und einfachen Kategorien kann natürlich auch die Frage der Kultur und deren Entwicklung folgen. Doch wie soll Kultur gemessen werden? Welche Qualität hat Kultur? Welche Definitionen werden hier
verwendet? Wer hat die Definitionsmacht über Begriffe wie Qualität und Kultur und bestimmt somit auch dementsprechende Indikatoren? Beispielhaft einhergehend mit einem Verlust von Experimentierfeldern, mit kurzfristigen Innovationsschüben anstatt langfristiger und nachhaltiger Invention sehen wir, dass künstlerische und kulturelle Prozesse sich beinahe per se simplifizierenden, aber strategisch hoch wirksamen New-Public-Management und Total-Quality-Management Konzepten entziehen bzw. verweigern sollten. Eine kritischere Auseinandersetzung ist hier in jedem Fall angebracht, um das oftmals lauthals vorgebrachte Schreien der Evaluations- JüngerInnen zum Verstummen zu bringen. Hierbei könnte wiederum durchaus Pythagoras gefolgt werden, der seinen Schülern beharrlich Schweigegebote auferlegte.

Andre Zogholy ist Vorstandsmitglied der KUPF, Ländervertreter Oberösterreichs in der
IG Kultur und Mitglied bei qujOchÖ – experimentelle Kunst- und Kulturarbeit

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