Im August zogen die Mobilen Gaukler im Rahmen des KUPF-Innovationstopfes „EUphorie – EUphobie“ mit ihrem Eu(o)rakel aus, um ein wenig Licht in die noch graue Zukunft zu bringen. Die sogenannte Ost-Erweiterung der Europäischen Union steht an. Ungarn und Tschechien sind beitrittswillige Kandidaten.
von Roman Ganhör Daniel Steiner
Doch wie werden sich die TschechInnen und UngarInnen entscheiden? Wählen sie die gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik (GASP), Europol und Euro? Oder doch NATO? Stehen sie auf variable Grenzen, Kontrollen im ganzen Land? Oder votieren sie für eine unbekannte Unabhängigkeit, die ihnen mit freundlicher Genehmigung von Volkswagen, OMV und Billa zur Verfügung gestellt wird? Diese Fragen, die sich in einem einzigen JA oder NEIN manifestieren, werden in den kommenden Jahren von der jeweiligen Bevölkerung beantwortet werden. Doch wie wird das Ergebnis beeinflußt? Läßt sich die Bevölkerung durch manipulative Propaganda einen Knoten ins Hirn machen? Ist die Zeit für das Malen eines Kreuzes in ein rundes Feld nicht viel zu kurz für Entscheidungen dieser Größenordnung? Das Eu(o)rakel meint ja und zog daher schon jetzt in die Landen, eben Tschechien und Ungarn, um das jeweilige kollektive Meinungsbild zu erfaßen. Delphiesk ermunterte es die Bevölkerung, ihrer eigenen Zukunft ins Antlitz zu blicken.
Parkplatz vor dem Duty-Free-Shop Wullowitz, Niemandsland, Grenze. Alte Damen, auf ihren Komfort-Bus wartend, als erste – wirklich allererste – Mitspiel- und MitstimmFans. Das Spiel beginnt! (Die alten Damen entscheiden sich mit 4 zu 2 (also JA) für einen EU-Beitritt.) Im Niemandsland, wo wir uns dann hinbewegen, spielt sich ein anderes Spiel ab. Das Projekt „Im Bauch der Grenze“ beschallt und bietet dem wartenden Stauvolk in zwangsbeglückender Art und Weise ein Aktionstheater. – Dort ergibt sich, selbstredend, die eine oder andere Partie Boccia. Wie auch mit zwei zwischenstoppenden Harley-Davidson Bikergenossen. Sie lassen durch geschicktes Spiel ein Nein auf unserem Stimmblock übrig.
Die Mobilen Gaukler gurken im viel zu kleinen Wohnmobil in das nächste potentielle Beitrittsland – Ungarn. Pusta, flaches Land, Maisfelder so weit das Auge reicht. Die Städte mondän und das Hinterland – hmmmm – rustikal. Wie entscheidet sich dieses Agrarland im Bezug auf die EU? Das Eu(o)rakel wird es an den Tag bringen.
DEBRECEN: Igen: 51,28% Nem: 48,71% Debrecen, Zentrum der Pusta und zugleich ein historisch interesanter Ort: 1944 wurde von hier aus das faschistische Joch Schritt für Schritt abgeschüttelt. Die Weltoffenheit der Menschen in dieser schier unendlichen Weite wird nicht nur durch das besonders ausgeprägte Modebewusstsein der weiblichen Bevölkerungsmehrheit ausgedrückt, auch das Interesse und die Anteilnahme an unserem Projekt ist überdurchschnittlich hoch. Doch trotz der deutlichen Parteinahme der einheimischen Mitspieler für die Europäische Union, sprich Igen oder Blau, zeigt uns das Eu(o)rakel für diese Stadt nur einen knappen Vorsprung der BeitrittsbefürworterInnen.
OBBAGYI: Igen: 14,28% Nem: 85,71% Wo die Strategie verbrannter Erde auf ländliche Gemütlichkeit trifft, die Sonne gnadenlos die Landstrasse zum flimmern bringt und die Donau ihre Kniescheibe präsentiert, sagt uns das Eu(o)rakel besonders starke Ablehnung einer tausende Kilometer entfernt liegenden Zentralmacht voraus. Budapest ist nahe und berrechenbar, Brüssel interessiert hier niemanden.
HEVIZ: Igen: 68,42% Nem: 31.57% Ein ab 17.30h geschlossener, radioaktiver Warmwassersee stellt die örtliche Einnahmequelle dar. „This is illegal“ war die einzige bemerkenswerte Reaktion auf unser Handeln, junge Künstler (oder junge Menschen) nicht sonderlich gerne gesehen. Auch eine Erfahrung, die gemacht werden muss. Doch auch hier gab es interessierte Ausnahmen.
Abschliessend machen sich die Mobilen Gaukler auf, um eine traumhafte Kombination zweier grundverschiedener Sportarten zu präsentieren. Der „Boccia-Marathon“ von Antwerpen nach Brüssel – läppische 42,195km. Beide Teams sind gefordert, Konzentration und Ausdauer werden entscheiden. Das Ergebnis gilt als Barometer für die momentane Politik der EU – alsdann …. Der Wahnwitz beginnt, wie schon erwähnt, in Antwerpen. Diese Stadt, welche eigentlich in den Niederlanden sein sollte – zumindest nach Meinung der Einwohner, votierte ganz eindeutig gegen EU. Dies war/ist nicht überraschend, da separatistische Bestrebungen mit Einheitsgedanken nicht viel anfangen können, sofern sie die „falsche“ Einheit propagieren. Der Vorsprung für GELB war eindeutig, doch BLAU schlief nicht. Je weiter sich die Mannschaften von Antwerpen wegbewegten, desto mehr konnte sich BLAU fangen. Bei einem Marathon kann man sich nichts aussuchen. Das Gelände ist vorgegeben. Die Route auch – dies erfordert Konzentration und vor allem Konzentration. Unwirtliche Plätze wie Waschstraßen mit schiefen (hängenden) Zufahrten, verluderte Hinterhöfe mit Rollsplit müßen genauso weggesteckt werden, wie interessiert dreinschauende Kühe, die aber in Wirklichkeit nur gefüttert werden wollen.
Am nächsten Tag war die Verlesung der Ergebnisse bei den zuständigen Damen und Herren in Brüssel angesagt. Also auf zum Parlament. Das Ministerium für Wahrsagung war nicht zu finden, also auf zu den Euregio-Menschen (Europa der Regionen-Kulturbeauftragte). Doch zwischen denen und uns steht noch die Security. Und die meint, nicht heute, nicht wir und überhaupt. Video-Kamera schon gar nicht – also weg damit, schnell noch den Boden filmen. Die Security behandelt uns doch wirklich wie dahergelaufene Gaukler – dabei sind wir mit dem Auto gekommen. Warten wir mal ab, bis die Abstimmungen in den Ländern kommt. Dann vergleichen wir mal wie das Eu(o)rakel vorhersagte. Dann werden sie auf Knien angerobbt kommen und um weitere Vorhersagungen bitten. Doch dann wird es keine Eu(o)rakel mehr geben.
Statistiken:
Tschechien
Fläche: 78 864 km2 Einwohner (1994): 10 295000 = 131/km2 Hauptstadt: Prag BSP je Einwohner (1994): 3210 US$ Republik seit 1993. Laut dem EU-Statistikamt Eurostat betrug das um die Wechselkursschwankungen bereinigte BIP 1997 der Tschechischen Republik 63% des EU-Durchschnitts und erreichte damit fast das Niveau von Griechenland – das Land mit dem niedrigsten BIP innerhalb der EU. Am 23.1.1996 bewirbt sich Tschechien, seit Februar 1995 assoziiertes Mitglied der EU, um die schnellstmögliche Vollmitgliedschaft.
Ungarn
Fläche: 93 030 km2 Einwohner (1994): 10 161000 = 109/km2 Hauptstadt: Budapest BSP je Einwohner (1994): 3840 US$ Republik seit 1989. Ungarn erreicht 47% des durchschnittlichen EU-BIP (1997) und schneidet so ein wenig schlechter ab, als der Mitwerber Tschechien. Rund 3,5 Mio Ungarn leben außerhalb der ungarischen Grenzen, vor allem in Rumänien und der Slowakei. Im Juli 1996 unterstützten Regierungsmitglieder die Autonomieforderungen dieser ungarischen Minderheiten und lößten damit Proteste in den jeweiligen Staaten aus, die eine Destabilisierung der Region befürchten.
Belgien
Fläche: 30 518 km2 Einwohner (1994): 10 080000 = 330/km2 Hauptstadt: Brüssel BSP je Einwohner (1994): 22 920 US$ Parlamentarische Monarchie. Am 14.6.1996 wird in Belgien – als letzte Land der EU – die Todesstrafe abgeschafft. Kurz darauf wird vom Senat ein Asylgesetz verabschiedet, welches unter anderem die Fluggesellschaften verpflichtet, die Passagiere daraufhin zu untersuchen, ob ihr Lebensunterhalt in Belgien sichergestellt ist. Intern ist Belgien in den flämischen Norden und den wallonische Süden geteilt. Diese Teilung findet nicht nur in der unterschiedlichen Sprache ihren Ausdruck.