Kritische Anmerkungen zur aktuellen Debatte um Existenzgeld und Grundeinkommen
von Andrea Mayer-Edoloeyi
Mittlerweile wird auch in der freien Kulturszene über Existenzgeld, Grundeinkommen und Basislohn nachgedacht. Im Rahmen des ÔFestivals der RegionenÕ-Projektes „Glasfieber“ diskutierten Stadtwerkstatt und Praerie, die neue Linzer Stadtzeitung (ein vom KUPF-Innovationstopf gefördertes Projekt), dieses Thema sehr kontrovers. Warum gibt es plötzlich in der freien Kulturszene soviel Interesse an diesen Thema?
Neoliberale Umgestaltung der Gesellschaft
Die Konvergenzkriterien des Vertrages von Maastricht schränken den Spielraum der Nationalstaaten ein, Mittel in Sozial- und Beschäftigungspolitik zu investieren: Belastungspakete auf dem Rücken der sozial Schwachen folgten. Der politische Mainstream entwickelt sich immer mehr dahin, die Verantwortung an das Individuum abzuschieben: Joung, strong and healty – Codeworte für die Generation@ und Ausdruck einer neoliberalen Umgestaltung der westlichen Industriegesellschaften.
MacJobs in der Kultur
Gerade AktivistInnen in Kunst und Kultur, aber auch KünstlerInnen sind mit den Auswirkungen des Neoliberalismus direkt konfrontiert. Werkverträge, freie Dienstverträge, befristete Anstellungen und Projektarbeiten bieten keine soziale Sicherheit. Wer weiß schon, wovon er/sie nächstes Jahr Miete und Essen bezahlen wird? Die fehlenden finanziellen Mittel lassen es für viele Vereine und Organisationen gar nicht zu, gut bezahlte, abgesicherte Dienstverhältnisse mit den AktivistInnen zu begründen. Der Verein deckt die gröbsten Notwendigkeiten mittels Werkvertrag oder einer Teilzeitanstellung ab, der Rest der Arbeit wird ehrenamtlich erledigt. Für den/die AktivistIn bliebt die Möglichkeit, einen „normalen“ Job zu machen und sich ehrenamtlich zu engagieren. Dieses Engagement ist sicherlich für viele befriedigend und sinnstiftend, deckt aber nicht immer alle notwendige Arbeit ab. Also steigen immer mehr Menschen ins „Business der Werkverträge und Projektarbeiten“ ein und haben dann nicht nur einen Job, sondern gleich mehrere, oftmals für verschiedene AuftraggeberInnen, und können damit auch nur recht und schlecht leben. Tagtägliches Schwanken zwischen der bezahlten und der eigentlich interessanteren nicht bezahlten Arbeit ist die Folge. Im Strudel der atypischen Beschäftigungsverhältnisse bleibt die soziale Absicherung auf der Strecke: keine Versicherungszeiten bedingen keinen Anspruch auf Arbeitslosenunterstützung, keinen Anspruch auf eine Pension, immer mehr Menschen sind nicht mal mehr krankenversichert.
Verständliche Forderung nach Existenzsicherheit
In diesem Kontext ist die Forderung nach Existenzgeld oder Grundeinkommen sehr verständlich. Bekommt jeder und jede Geld vom Staat – steuerfinanziert – , um seine/ihre grundlegenden existentiellen Bedürfnisse zu sichern, würde das die Chance eröffnen, sich jenseits von Marktzwängen, von zeitlichen Einschränkungen und dem Streß der Subventionsansuchen, kulturell, künstlerisch oder sozial zu engagieren. Endlich das tun können, was man/frau schon lange tun wollte und trotzdem nicht ins soziale Abseits gleiten É
Marktlogik
Die Realität schaut leider anders aus, sieht man/frau sich diese Modelle genau an. Viele Modelle, auch jene die aktuell im Nationalratswahlkampf präsentiert werden, sehen vor, daß es zwar ein Grundeinkommen gibt, dafür aber andere staatliche Leistungen wie z.B. die Krankenversicherung, öffentlich finanzierte Bildung, Kinderbetreuung usw. zurückgeschraubt werden. Wenn man/frau nun soziale Leistungen am freien Markt kaufen muß, bleibt unterm Strich nicht viel Geld übrig. Gleichzeitig führen marktwirtschaftliche Modelle zu einer stärkeren Segmentierung der Gesellschaft, z.B. im Gesundheitsbereich zwangsläufig zu einer Zwei-Klassen-Medizin, z.B. zum Abgehen vom Prinzip, daß jedes Kind das Recht auf einen qualitativ hochwertigen Kinderbetreuungsplatz hat, z.B. zur martkwirtschaftlichen Ausrichtung des Bildungssystems. Andere Modelle sparen „Wer soll das bezahlen?“ aus und bleiben damit eine notwendige Anwort schuldig. Nur was auch gesellschaftlich erarbeitet wurde, kann gesellschaftlich verteilt werden. Keine Frage, steigende Gewinne aus Finanzspekulationen und die steigende Produktivität der westlichen Industriegesellschaften lassen die Überlegung zu, daß genug für alle da ist, wäre das Vermögen nur anders verteilt. In der Realität geht aber die Einkommensschere zwischen Armen und Reichen immer mehr auseinander. So ist die (bereinigte) Netto-Lohnquote, der prozentmäßige Anteil der ArbeitnehmerInnen am gesellschaftlichen Reichtum, in den letzten 20 Jahren um fast 12% zurückgegangen.
Gefahren von Existenzgeld
Die politische Kräfteverhältnisse, die zu dieser Ungleichgewichtung in der Gesellschaft geführt haben, gelten auch für neue Modelle. Es ist den Neoliberalen gelungen, den Grundkonsens, daß jede/r ein Recht auf einen gut bezahlten, qualifizierten Job hat, auszuhebeln. Existenzgeld unter diesen Bedingungen würde bedeuten, daß ein großer Anteil von Menschen mit ein paar Tausend Schilling (oder einigen Hundert Euro) abgespeist würde. Nicht Selbstorganisation von unten wäre das Ergebnis, sondern die Abschiebung der Verantwortung für die Pflege von Angehörigen, für die Kinderbetreuung, für jegliche Art von sozialen Dienstleistungen an den/die Einzelne. Nicht die Schaffung von gut bezahlten und qualifizierte Jobs im Bereich der sozialen Dienstleistungen und der Kultur steht im Mittelpunkt, sondern die Renditen für die Konzerne. Unter den gegebenen Kräftverhältnissen – schauen wir nur, wie mit dem von über 600.000 ÖsterreicherInnen unterschriebenen Frauenvolksbegehren umgegangen wurde – ist es von der Einführung eines Existenzgeldes nicht mehr weit zu verstärktem Druck auf den Arbeitsmarkt, zur weiteren Durchsetzung von MacJob-Modellen und zu einer Arbeitspflicht für ExistenzgeldbezieherInnen. Wie mit BezieherInnen der Versicherungsleistung (!) Arbeitslosenunterstützung umgegangen wird, läßt ahnen, was auf die Menschen zukommen würde beim Bezug von Existenzgeld. So werden schon heute Jobs an Frauen mit Betreuungspflichten vermittelt, selbst wenn sie keinen passenden Betreuungsplatz für das Kind haben – nehmen sie den Job nicht an, wird Arbeitslosengeld oder Notstandshilfe gestrichen.
Existenzgeld statt Kultur-Jobs?
Auch für die freie Kulturszene gäbe es negative Auswirkungen. Schon jetzt ist es schwierig genug, gegenüber öffentlichen Förderstellen durchzusetzen, daß ein Verein ab einer gewissen Größe eine/n Fixangestellte braucht und daß dies Jobs sein müssen, die auch soziale Sicherheit für den/die Angestellte bedeuten. Mit Existenzgeld wären der Argumentation, daß es ja ohnehin genug AktivistInnen gibt, die die Arbeit „nebenbei“ machen, Tür und Tor geöffnet. Damit würde die freie Szene aber auch ein Stück ihrer gesellschaftlichen Anerkennung als wichtiger Beitrag zu einer selbstorganisierten, aktiven Gesellschaft aufgeben.
Alternativen gefragt!
Sozialpolitische Modelle können daran gemessen werden, welche emanzipativen Chancen sie für alle Menschen in dieser Gesellschaft haben. Erst soziale Gleichheit sichert gleiche soziale und kulturelle Teilhaberechte für alle. Heute arbeiten in Großbritannien 60% der Männer mehr als 40 Stunden, ein Viertel der Männer sogar mehr als 50 Stunden. Frauen werden dagegen auf Teilzeitbeschäftigungen und prekäre Arbeitsverhältnisse verwiesen. Auch die österreichische Gesellschaft ist auf diesem Weg der Angloamerikanisierung. Diese Disparitäten beeinflussen auch ganz direkt gesellschaftliche Partizipationsmöglichkeiten. Wer soll, wenn er/sie 45 Stunden in der Woche einen Streßjob macht und wochenends noch den Laptop mit nach Hause nimmt Zeit haben, sich in einer Kulturinitiative zu engagieren? Wie können soziale Beziehungen, kulturelles Engagement, aber auch nur ganz banal Kultur- und Kunstkonsum stattfinden, wenn Arbeitszeiten immer flexibler werden und niemand mehr zur gleichen Zeit frei hat? Die Forderung nach einer generellen Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich ist darum heute zeitgemäßer denn je. Hohe Produktivitätssteigerungen würden ermöglichen, daß Menschen gleich viel Lohn bekommen, aber nur noch 35, 30, gar 20 Stunden arbeiten – eine unglaubliche Chance, soziale und kulturelle Partizipation für alle denkbar zu machen. Gleichzeitig muß der Sozialstaat bedarfsgerecht weiterentwickelt werden. Soziale Leistungen wie Sicherungsmodelle für unterschiedliche Lebenssituationen (Bildung, Kinderbetreuungzeiten, Arbeitslosigkeit, Krankheit, Alter, …), das Gesundheitssystem, das Bildungssystem usw. müssen ausgebaut werden – gleichzeitig mit Investitionen in die kulturelle Infrastruktur und in freie Medien.
Anerkennung der Bedeutung der freien Kulturarbeit
Es wird AktivistInnen der freien Kulturszene nicht erspart bleiben, um die gesellschaftliche Anerkennung ihrer Arbeit zu ringen. Nur wenn es gelingt, daß freie Kunst- und Kulturarbeit, aber auch freie Medienarbeit in aller Vielfalt als für die Gesellschaft wertvoll anerkannt wird, kann es gelingen, soziale Mißstände für KulturarbeiterInnen zu beseitigen: Mehr öffentliche Mittel für offene Infrastrukturen, freie Kultur- und Medienprojekte, und die Schaffung von gut bezahlten Jobs in der freien Kulturszene. Wir brauchen eine Gesellschaft, die nicht immer mehr Leistung und Flexibilität vom Einzelnen fordert, sondern demokratische Teilhaberechte für jeden und jede sicherstellt. Das ist nur möglich, wenn Arbeitszeiten verkürzt werden und Arbeit gerechter auf alle Menschen verteilt wird und wir auch in der Kultur über Mindestlöhne und arbeitsrechtliche Mindeststandards reden.