Ein Kommentar zu zweieinhalb Jahren „Chefsache“ Kunst.
von Martin Wassermair
Ausgerechnet der Bundespräsident stahl dem Kunstkanzler bei der Eröffnung der Festspiele die Show. Mit der diesjährigen Anrufung des Hugo von Hoffmannsthal blies Klestil der Intendanz in Salzburg gehörig den Marsch in die Vergangenheit zurück. Viktor Klima hielt seinerseits mit Pierre Bourdieu dagegen. Doch die Chefsache verhallte ungehört. Kein Wunder, denn deren Eignung lässt ohnehin bis heute auf sich warten.
„Wir müssen vom Staat die Mittel fordern, die die Freiheit gegenüber wirtschaftlichen, aber auch politischen Mächten, das heißt gegenüber dem Staat selbst, garantieren.“ Niemand weiß, woher er es plötzlich weiß, aber mit diesem Zitat hatte der Herr Bundeskanzler der Sache überraschend auf den Zahn gefühlt. Vielleicht dachte sein Urheber, der französische Kultursoziologe Pierre Bourdieu, im Augenblick der Festschreibung ebenfalls an Österreich. Vielleicht dachte er sogar an die Kulturinitiativen hier im Lande, die bereits seit langem die gleiche Einsicht an die Politik heranzutragen suchen. Viktor Klima wird ihm allerdings nicht als vorbildhaft durch den Kopf gegangen sein, denn dieser interessiert sich für eine emanzipatorische Kulturentwicklung noch immer herzlich wenig.
Vor nunmehr zweieinhalb Jahren hatte der rote Strahlemann das Kunstressort als oberste Staatsaufgabe zu sich ins Kanzleramt geholt und durch die Einrichtung eines Staatssekretariats die persönliche Verantwortung dafür sogleich auch wieder abgestreift. Der symbolische Umgang mit diesem Politikfeld entsprach ungefähr jener Wertschätzung, die als sogenannte „Chefsache“ schließlich auch zum Tragen kam. Stets kehrte der Kanzler Kunst und Kultur den Rücken zu und überließ Peter Wittmann, den Lückenbüßer ohne ein Stimmrecht im Ministerrat, dem Missmut und auch dem Spott. Mit der Neubildung der Regierung nach dem 3. Oktober scheint diese Zeit für den Staatssekretär nun vorbei zu sein. Er selbst aber zeigt sich vom Unbill der zurückliegenden Jahre unbeirrt und möchte Ð ganz im Gegenteil Ð in Hinkunft „die Früchte seiner Arbeit ernten“. Aus der Perspektive der Kulturinitiativen stellt sich da natürlich sofort die Frage: Worin hat denn die Saat gelegen? Worin der fruchtbringende Impetus? Die Lage der österreichischen Kulturinitiativen stellt sich in der Förderpolitik des Bundes vor allem durch enorme Mängel dar. Seit vier Jahren stagniert das Budget der Abteilungen, und das angesichts eines unentwegt steigenden Bedarfs. Hier hat mit Peter Wittmann zuallererst sein Chef versagt. Und damit auch eine Partei, die im Grunde nichts mehr zu einem Umdenken und zur gerechten Verteilung des Wohlstands beizutragen weiß. Geld ist jedenfalls vorhanden. Das zeigt sich an der Finanzierung von Projekten, deren Glanz in erster Linie durch Spektakel und Repräsentation erstrahlen soll: Subventionen in Millionenhöhe für eine Diashow aus dem Hause Habsburg-Thyssen (Salzburg 1997); eine Eröffnungsfeier zur Übernahme der EU-Präsidentschaft, die an Banalität nicht zu überbieten war (Wien 1998). Und auch im Herbst dieses Jahres kommtÕs noch einmal so richtig dick: 77 Millionen Schilling seitens des Bundes für den „World Sports Award for the Century“. Als Austragungsort der Preisverleihung für den wirtschaftlich höchst ertragreichen Spitzensport ist die Wiener Staatsoper vorgesehen. Hier wurde Pierre Bourdieu ganz offensichtlich missverstanden. Überhaupt kannte die Kulturpolitik des Kabinetts Klima I bisweilen nur spärlich programmatische Kontur. Als das unbequeme Tanztheater „Ikarus“ mit seinem künstlerischen Leiter 1998 ins Visier der Kärntner FPÖ, der „Kronen Zeitung“ und zuletzt der finanziellen Kürzungen geriet, hielt sich der ausgleichende Arm des Bundes auffallend bedeckt. Heute existiert „Ikarus“ nicht mehr, der Kopf des internationalen Ensembles hat das Land in Folge der Hetze gegen ihn verlassen. Was aber wohl insgesamt noch schwerer wiegt: Der Erfolg Jörg Haiders, erneut Landeshauptmann und auch Kulturreferent zu sein, wurde durch ein Zurücktreten der SPÖ auf die Linie des politischen Gegners erst recht nicht abgewendet. „Eine radikale Wende wird es für Österreich nicht geben!“ Diese entscheidende Ankündigung des Kanzlers und sozialdemokratischen Spitzenkandidaten nur wenige Wochen vor der Wahl holt auch die hohen Erwartungen an das „Weissbuch zur Reform der Kulturpolitik“ sehr rasch wieder auf den Boden der Realität zurück. Denn gerade ein fundamentaler und tiefer Einschnitt wäre erforderlich, sollte sich im Soge der nunmehr schriftlich verfassten Absichtserklärung tatsächlich einiges bewegen. Immerhin ist darin von der Notwendigkeit einer deutlich spürbaren Anhebung des Kunstbudgets (um 650 Millionen Schilling) die Rede, wobei nicht zuletzt das Feld der Initiativen davon profitieren sollte. Insbesondere die Freien Radios und ihre elektronische Nachbarschaft, die nicht-kommerziellen Contentprovider an der Schnittstelle von Kunst, Kultur und Neuen Medien, haben die von Staatssekretär Wittmann im Rahmen der „Medienkonferenz Linz 1999“ noch vollmundig in Aussicht gestellten 13 Millionen Schilling alleine für ihren Basisbetrieb ganz bitter nötig. Nichts davon war bislang zu sehen, das Wort Pierre Bourdieus im Munde Viktor Klimas einmal mehr Makulatur. Die Erstellung des „Weissbuchs“ fand für Kulturinitiativen und ihre Dachverbände im wesentlichen unter Ausschluss statt. Dialogbereitschaft seitens der politisch Verantwortlichen war erst dann zu spüren, als KUPF und IG Kultur Österreich mit „zuMUTungen“ und „Klimawechsel“ bereits in ein erweitertes System kulturpolitischer Koordinaten gewiesen hatten. Mit einem Katalog grundsätzlicher Positionen und daraus abgeleiteter Forderungen, der dem Stillstand, vor allem aber der Ignoranz gegenüber den Initiativen der Freien Szene, eine Ideensammlung der „kulturellen Differenz“ entgegenstellt. Hier die wichtigsten Punkte, die insbesondere für diese Nationalratswahl und die darauffolgende Periode von Bedeutung sind: Die Wiedereinrichtung eines Ministeriums, das Kunst und Kultur mit Medienagenden zusammenführt; Aufstockung des Bundeskunstbudgets auf 2 Milliarden Schilling; die Schaffung der legistischen Voraussetzung für die Förderung freier und nicht-kommerzieller Medienprojekte; nachhaltige Strukturförderung für den Non-Profit-Bereich.
Nach dem 3. Oktober wird sich wenig ändern. Es sind „keine Kulturkriege zu erwarten“ (eine Warnung des Bundespräsidenten bei der Eröffnung des Brucknerfestes 1999), weder ein Wettstreit gesellschaftlicher Ideen noch eine Abkehr von der erstarrten Administration. Einzig ein Ministerium scheint wieder in realistische Nähe gerückt, doch was nützt es, wenn Ziele und Orientierungen, wie etwa jene des „Weissbuchs“, auch dann wieder ungehört verhallen. „Kurskorrekturen zur Kultur- und Medienpolitik“, so auch der Titel der aktuellen Publikation der IG Kultur Österreich, münden als Leitbild dennoch unablässig in die Herausbildung eines dritten Sektors der Initiativen abseits von Staat und Markt. Das nämlich hat Pierre Bourdieu gemeint, und darum soll er noch lange erhalten bleiben. Ansonsten überlassen wir die Kulturentwicklung dieses Landes am besten gleich dem Spitzensport.