Persönliche Notizen zur Arbeit am Theaterstück Hart.Heim.Suchung.
von Thomas Hinterberger
Vorweg möchte ich zwei Zitate stellen: Leben ist nur als geordnetes Leben ein Leben (Textzitat aus dem Stück) Da haben wir Behinderten den anderen Menschen zeigen können, dass wir auch etwas leisten können (sinngemäßes Zitat Mayr Franz, Schauspieler).
Ordnung – Funktionalität – Leistung, und wir Österreicher sind glücklich. Und wer sie stört, diese Ordnung, die funktionale als auch die ästhetische, wird an den Rand gedrängt, abgeschoben. Für Behinderte folgte in der Zeit des Nationalsozialismus nach der Absonderung die Vernichtung. Heute bedeutet behindert sein oft: ausgeschlossen sein vom Leben. Ich erinnere mich an die Blicke der „Normalen“ in einer Disco, in der wir ein kleines Abschlussfest nach den ersten Vorstellungen feierten.
Bei uns sind behinderte Menschen fast ganz aus dem öffentlichen Leben verschwunden. Etwas über das Spannungsfeld Kultur und Soziales möge ich schreiben, stand in einem e-mail nach den Feiertagen. Als erste Gemeinsamkeit fiel mir der Rotstift ein, der von der neuen Regierung noch am Tag der Angelobung angesetzt wurde – sowohl bei den kleinen Kulturinitiativen als auch bei den freien Theaterschaffenden – Kürzung der Ermessensausgaben hieß das dann im Fachjargon.
Die Behindertenmilliarde wurde ausgerufen und gleichzeitig werden die Ausgaben für Integrationslehrer und Integrationsklassen gekürzt bzw. gestrichen. Die Kulturausgaben des Bundes werden zugunsten der Bundesländer verändert, frohlockt der Staatssekretär nach der Kulturreferententagung, doch die freien Kulturinitiativen bzw. Theatergruppen merken eher, dass der Gürtel nicht nur enger wird, sondern einen nahezu erwürgt.
Für ein Bundesland können wir bereits die freie Theatergruppenfreiheit verkünden. In Kärnten gibt es keine freie Theatergruppe mehr, die vom Land Kärnten Subventionen erhält. Man überlegt bereits, Herrn Haider oder Herrn Mölzer als Bundeslandsprecher der IG Freie Theater zu inthronisieren. Am Kärntner Wesen wird das Österreichische Volk genesen. Wie lange wird es dauern, bis wir die zweite freie Theatergruppenfreiheit verkünden werden dürfen?
Die Liste jener Sozialeinrichtungen, die im letzten Jahr auf Grund der Streichung von Subventionen ihre Pforten schließen mussten, muss jemand anderer schreiben. Ich jedenfalls bekomme zunehmend Platzangst und die Luft wird langsam sehr sehr dünn jenseits von heterosexuell und monogam, spießbürgerlich und drogenfrei, krennkatholisch und weiß, brav und ordentlich, und vor allem funktional.
Doch zurück zu unserem Stück und „meinen“ „normalen“ behinderten Schauspielern. Ich möchte Sie nicht langweilen mit Begriffen wie Rhythmus, Echtheit, Originalität, Autenzität. Wann immer ich mit „nichtbehinderten“ Schauspielern gearbeitet habe, war es bis auf wenige Ausnahmen fast immer notwendig, mit ihnen diese Eigenschaften wieder mühevoll zu suchen und wiederzuerlernen, die ihnen an den Schauspielschulen und im Bühnenalltag ausgetrieben wurden. Mit den Hartheimern war das nie Thema – ich war hingerissen von ihrer Präsenz, ihrer Kraft und auch ihrem Eigensinn. Überrascht war ich auch von der Professionalität und der Gelassenheit, mit der sie die Vorstellungen spielten, null Nervosität, weder bei der Premiere in Hartheim noch bei der Vorstellung im Landestheater, obwohl sich einer der behinderten Schauspieler bei der Probe am Vortag die Schulter gebrochen hatte und wir kurzfristig einige Änderungen vornehmen mussten.
In meinen Ohren klingen immer noch die Worte der zuständigen Beamtin im BKA: „Nein – so etwas können wir wirklich nicht fördern – wir fördern nur professionelles Theater“. Für mich war es jedoch immer wieder Labsal, zurückzukehren aus dieser meist gespreizten Welt der Intrigen und eitlen Theatergecken, die obendrein oft unprofessionell ist, zu „meinen“ wohltuhend „normalen“ behinderten Schauspielern, die manchmal nuscheln, die man manchmal nicht versteht, die aber immer echt sind und authentisch. Ich finde Theater dort spannend, wo es sich ins Leben begibt. Ein Mörder ist immer echter und interessanter, als ein Schauspieler, der einen Mörder spielt. Ein Behinderter ist immer echter und interessanter als ein Schauspieler, der einen Behinderten spielt. Ich musste es selbst erleben. In der Landestheateraufführung stand ich anstelle von Mayr Franz, der sich die Schulter gebrochen hatte, auf jenen Brettern, die die Welt bedeuten. Der Kommentar unserer Techniker nach der Vorstellung: „Keine Chance“.
Im Vergleich ist die Realität immer spannender als die geprobte Realität. Der Mörder bedroht uns nicht, der Behinderte braucht keine Zuwendung, der Asylant braucht keine Aufenthaltsgenehmigung. Ein neues Stück zu entwickeln braucht Zeit – viel Zeit, vor allem, wenn es mit Menschen geschieht, die nicht daran gewöhnt sind, auf der Bühne zu stehen. An diesem Stück haben wir eineinhalb Jahre gearbeitet. Dafür ist an Landes- oder Bundestheatern keine Zeit. Dort greift man eher auf altbewährtes zurück. Ich verstehe den Druck und den Zwang der innen herrscht und der auch von außen kommt – dennoch ist es mir nahezu immer langweilig, die 247. Version einer Möwe, eines Faust, eines Sommernachtstraum zu sehen. Die entsetzlichste Vorstellung sah ich einmal in Deutschland, in der Provinz, bei der 248. Version des Faust, als 10! Zuschauer im Publikum anhand der Reklamausgabe mitlesend die Originaltreue prüften.
Und in Österreich, da hat Theater Tradition. Biedermeier-K&K-Hof-gähn-schnarch-Tradition – ich erinnere mich lebhaft jener Abende, die mir beschert wurden – anläßlich der Dienstagreihe im Landestheater, damals vor 20 Jahren, wenn ein „modernes“ Stück gegeben wurde, als meine Großmutter mir die Ehre überließ, mit meiner Mutter ins Theater zu gehen, natürlich geschniegelt und in Anzug und Krawatte, und ich mich nicht nur über jene, ich würde mal sagen „10“ ärgerte, die in meiner Umgebung im zweiten Rang ein ordentliches Schnarchkonzert gaben.
Ich denke, es gäbe genug aktuelle Themen, die Menschen ins Theater bringen würden. Doch davon wollen weder die verantwortlichen Politiker noch die meisten Theaterdirektoren etwas wissen. Und unser pensionierter Rockbarde alias Ex-Burgtheaterschauspieler alias Kunststaatssekretär setzt das Tüpferl aufs i. Der Bühnenbeirat wurde gerade neu besetzt. Die Mehrzahl der Bühnenbeiräte sind jetzt pensionierte Bundestheaterangestellte. Welch genialer Schachzug. Ich hoffe, ich werde dann auch einmal, wenn ich dereinst in Pension gehen werde (so ich sie erlebe), über die Qualität und Förderungswürdigkeit der Bundestheater entscheiden können.
Hart.Heim.Suchung war in Hartheim sieben mal ausverkauft, die letzten beiden Vorstellungen hätten wir drei mal spielen können. Hart.Heim.Suchung hat den Grünpreis bekommen. Hart.Heim.Suchung hat zwei tolle Kritiken in den OÖN und im Standard bekommen (nachzulesen unter http://members.aon.at/kult-ex). Trotzdem hat sich kein Theater in Linz mit Ausnahme des Landestheaters für eine Montagvorstellung (die 280 Zuschauer zählte) für Hart.Heim.Suchung interessiert.
Thomas Hinterberger