Argumente für ein neues Verständnis von Öffentlichkeit

Kultur- und Medieninitiativen errichten einen selbstbestimmten Raum

 

von Martin Wassermair

Der Krieg in Europa bedeutet Tod und Verderben, er bringt den Menschen unsägliches Leid. Um in die Realität dieses Krieges einblicken zu können, muß man sich darüber informieren. Was aber tun, wenn die freie Meinung der Knute eines totalitären Regimes zum Opfer fällt und die Welt der Freiheit bei ihrer gewaltsamen Antwort lediglich in Bildern der Lüge spricht? Der Belgrader Sender B92, ein maßgebliches Sprachrohr der Demokratiebewegung, hat nun versucht, den Dirigismen einer manipulativen Informationspolitik auszuweichen. Mit einer „anderen“ Wahrheit, die trotz Zensur und Knebelung auch außerhalb des Krisengebietes wahrgenommen werden soll. Daß dies in Österreich ermöglicht wurde, ist auf das Zusammenwirken der freien und unabhängigen Medieninitiativen zurückzuführen. Auf die beispielgebende Anwendung einer aktiven Vernetzung, wie sie auch die Medienkonferenz Linz 1999 zu einem der ganz zentralen Anliegen erklärt.

Die Medienkonferenz sucht im Zeitraum von 7. bis 8. Mai 1999 in erster Linie nach Kurskorrekturen zur Kultur- und Medienpolitik und damit nach Auswegen aus einer beunruhigenden Misere. Immerhin orientiert sich die Entwicklung des gesellschaftlichen Instruments der Medien hierzulande an den Richtwerten eines gewinnträchtigen Wettbewerbs. Um diesem gefährlichen Trend regulativen Einhalt zu gebieten, bedarf es zuallererst eines grundlegenden Umdenkens in der verantwortlichen Politik. Eines Paradigmenwechsels, der – vorerst noch punktuell – nun auch in das Weißbuch zur Reform der Kulturpolitik Eingang finden konnte. Damit hat die Kunstsektion im Bundeskanzleramt nicht zuletzt jener Forderung Rechnung getragen, die insbesondere aus dem Feld der sogenannten Freien Szene immer lauter wird. Die Forderung nach einem kulturpolitischen Verständnis von Medienpolitik.

Ob im Bereich der Printmedien, der Freien Radios oder der Contentprovider beim Vordringen in die virtuelle Welt der digitalen Kommunikation – die österreichischen Kultur- und Medieninitiativen gehen immer selbstbewußter dazu über, das eigene Profil an den neuen Herausforderungen der Informationsgesellschaft auszurichten und deutlich Stellung zu beziehen. Mit einem Entwurf einer zivilgesellschaftlich gefaßten Medienlandschaft in vielfältiger Form, mit uneingeschränkter Meinungsfreiheit in lokaler Verankerung, mit der gleichberechtigten Akzeptanz kultureller und künstlerischer Inhalte in freien und nicht-kommerziellen Medien.

Das Ineinandergreifen der Initiativen in den Bereichen Kultur und Medien hat sich überaus bewährt. An einem Beispiel wurde der Vorteil ganz konkret: Die enge Anbindung an die Interessenvertretungen im Kulturbereich stärkte die Freien Radios in der oftmals existenzgefährdenden Phase des Sendestarts, nun wird die Zusammenarbeit auch bei den Verhandlungen zur weiteren Konsolidierung fortgeführt. Demzufolge ist mittlerweile selbst auf höchster Ebene die Einsicht zu vernehmen, daß man die gesellschaftliche Funktion der Freien Radios bislang schlicht verkannte. Nämlich offene Zugänge zu schaffen und damit die Aktivierung von Beteiligung in einem selbstbestimmten Raum, der als drittes Standbein – neben dem ORF und den kommerziell ausgerichteten Privatstationen – das gegenwärtige Gefüge zu einem trialen Rundfunksystem erweitern soll. Dieses Modell sucht schließlich auf die immer tiefer greifende Sklerose demokratischer Öffentlichkeit heilsam einzuwirken, allerdings nicht blauäugig, denn man hat gerade von den Erfahrungen aus dem Bereich der alternativen Publizistik, aus der „lex Khol“ und ihren Auswirkungen auf das ohnehin viel zu gering dotierte Förderwesen, einiges gelernt.

Den zur Zeit aktuellsten Nachweis einer sinnvollen Verknüpfung kultureller Anliegen mit Aspekten der Medienentwicklung bilden die programmatischen Akzente für das Aktionsgebiet des Cyberspace. NETZ.KULTUR.ÖSTERREICH nennt sich das aktuelle Positionspapier mit der Botschaft, daß man die gesellschaftliche Aufspaltung in „User“ und „Loser“, das Überhandnehmen von Machteliten und Desinformation, weder einfallslos noch tatenlos zur Kenntnis nehmen will. Doch um den vielschichtigen Implikationen neuer Technologien mit geeignetem Weitblick Rechnung tragen zu können, ist zuvor eine offensive Bewußtseinsbildung nötig. Der Erfahrungsschatz einer stetig steigenden Initiativenzahl an der Schnittstelle von Kunst, Kultur und Neuen Medien läßt jedenfalls jetzt schon ganz zentrale Schlüsse zu: Direkte Kommunikation, vernetzte Interaktion und damit der rege Austausch kultureller Inhalte, setzt ausreichende Bandbreite und offene Zugänge zu digitalen Netzwerken voraus. Aktive und an Inhalten orientierte Teilnahme ist einzig möglich, wenn hochqualitative Strukturen auch außerhalb der Ballungsräume zur Verfügung stehen. Die Perspektive, im virtuellen Raum kulturelle Handlungsfelder zu erschließen, mündet schließlich in die Forderung nach einem Cultural Backbone, nach sinnvoller Ausweitung bestehender Ressourcen und nach gezielter Vermittlung medialer Kompetenz.

Über dieser Ideensammlung zur Herausbildung einer Netzkultur in Österreich steht einmal mehr das zivilgesellschaftliche Prinzip der Selbstorganisation. Ein Ziel, das Kultur- und Medieninitiativen in Zukunft noch stärker aneinander bindet. Einen neuerlichen Höhepunkt bildet daher die Medienkonferenz in Linz. Ausschlaggebend ist dabei, auf sehr breiter Basis – im Sinne der Konstitution von Öffentlichkeit – die programmatischen Grundzüge jenes dritten Sektors deutlich aufzuzeigen, der sich durch die zunehmende Verschmelzung der Freien Szene immer deutlicher formiert. Eine Kombination aus Vorträgen und Arbeitskreisen verfolgt den Zweck, grundlegende Leitsätze für deren politische Handhabung zu formulieren. Die zentralen Aspekte: Schaffung öffentlicher Räume als Voraussetzung für Interaktion in Netzwerken und gesellschaftliche Kommunikation; Gesetzgebung, Förderrichtlinien und ihre Anwendung; Cultural Competence, Medienzugänge, Know-How-Vermittlung und nicht zuletzt das Nachdenken über die weiterführende Bündnisstrategie. Schließlich treten auf Initiative der OÖ. Gesellschaft für Kulturpolitik und des Forum Generandum erstmals der bundesweite Verband Freier Radios, die Virtuelle Plattform und die Vereinigung alternativer Zeitschriften mit der IG Kultur Österreich sowie der Kulturplattform OÖ. gemeinsam auf. Mitgetragen werden die Zielsetzungen vom Renner Institut, der Grünen Bildungswerkstatt sowie von der Linzer Universität für künstlerische und industrielle Gestaltung. Insgesamt also ein Fundament, das in seiner Zusammensetzung nicht nur dem Prinzip der Vernetzung Folge leistet, sondern vielleicht auch einen Hinweis darauf gibt, daß die Freie Szene mit ihren Kurskorrekturen zur Kultur- und Medienpolitik tatsächlich nachhaltige Wirkung zeigt.

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