Es spricht sich herum

Während jene, die sich dem Corona-Virus täglich im Job aussetzen müssen, weiter an der kurzen Lohn-Leine gehalten werden, schütten die Unternehmen, die sie anstellen, Milliarden an Aktionär*innen aus. Das bleibt der Bevölkerung nicht länger verborgen. Von Nicole Schöndorfer.

Es mag vielleicht noch nicht wieder ein Gespenst umgehen in Europa, doch die Corona-Krise hat innerhalb kurzer Zeit wesentlich dazu beigetragen, die wachsenden gesellschaftlichen Ungleichheiten und gegensätzlichen Lebens- und Arbeitsverhältnisse der Klassen einem größeren globalen ‹Publikum› zugänglich zu machen. Ungeplanterweise verdeutlichten sich soziale Gräben in allen Bereichen und wurden nicht nur für die direkt von den Auswirkungen Betroffenen stärker sicht- und spürbar. Viele Menschen können gar nicht mehr anders, als die kapitalistische Wirtschaftsweise zu hinterfragen. Wenn auch das Fachvokabular fehlen mag: Dass die Pandemie nicht alle gleich erleben, ist für alle mehr als offensichtlich.

Es trifft die unten

Als nach und nach bekannt wurde, dass die als staatliche Hilfspakete zur Verfügung gestellten Geldleistungen an große Unternehmen gingen, die dort lieber für die Absicherung der Profite – und nicht für die Fortzahlung der Gehälter der darauf angewiesenen Mitarbeiter*innen – aufgewendet wurden, kamen manche plötzlich in Erklärungsnot. Nämlich diejenigen, die den Kapitalismus als alternativlos verteidigen, darunter die Regierenden in Österreich. Es häuften sich die Meldungen über prominente Namen wie Swarovski, Voest und FACC, die Hunderte bis Tausende lohnabhängige Menschen auf die Straße setzten. Darunter nur niemanden aus den oberen Rängen. Es traf die Arbeiter*innenschaft. Wie immer. Mit den Taschen voller Geld wurde behauptet, dass man die Leute halt nicht mehr bezahlen könne.

Zu Beginn heuchelten Sebastian Kurz und Co. noch, dass diese gesundheitliche Krise nicht zu einer sozialen werden dürfte. Mittlerweile wird die immer mehr Menschen in Existenznot und Armut treibende Arbeitslosigkeit aber nur noch dann thematisiert, wenn es darum geht, gewisse Dinge zu rechtfertigen. Etwa warum bei 6.000 Neuinfektionen pro Tag nicht schon lange Großraumbüros und nicht-systemnotwendige Arbeitsplätze geschlossen sind. Wenn die Wirtschaft leidet, tun es auch die Menschen, heißt es sinngemäß. Nein, tatsächlich leiden die Menschen unter den ihren eigenen Interessen widersprechenden Interessen der Wirtschaftstreibenden.

Zuhause bleiben, um zum Arbeiten fit zu bleiben

Regierungsvertreter*innen rechtfertigen sich immer weniger. Ihnen fällt keine Schönmalerei mehr ein, mit der sie ihre kapitalorientierten (Nicht-)Maßnahmen legitimieren könnten. Man hat außerdem den Eindruck, dass sie die Bevölkerung ohnehin für zu dumm halten, um zu merken, auf welcher Seite sie wirklich stehen. Doch die Menschen sind sauer. Es wird dann gerne auf eine ‹Corona-Müdigkeit› verwiesen und so getan, als hätten diese bloß aus hedonistischen Motiven keine Lust mehr auf Hygienevorschriften und Einschränkungen. In Wahrheit ertragen sie es nicht mehr, dass ihr Leben nur noch aus Arbeit bestehen darf – bezahlt und unbezahlt. Freizeitaktivitäten, soziale Zusammenkünfte, Kultur? Zu gefährlich, man hat schließlich in die Arbeit zu gehen. Alles, was nicht dem Profit dient, soll unterlassen werden.

Der kollektive Ärger über die ungleichen Verhältnisse und Vermögensverteilungen wächst und ist spürbar. Doch bleibt neben Lohnabhängigkeit, Reproduktionsarbeit, Homeschooling und Infektionsrisiko weniger Zeit und Raum, um diesen Ärger zuzulassen und nach Außen zu tragen. Insbesondere jene, die in den sogenannten systemerhaltenden Branchen tätig sind, hätten tausend Gründe, aufzubegehren. Selbst unter dem Druck der andauernden Krisenbewältigung haben die Lohnverhandlungen im Handel nur einen Inflationsabgleich und einen freiwilligen Corona-Bonus ergeben. Was tun? Streik? Unverantwortlich in diesen prekären Zeiten, würden Regierungs- und Unternehmensvertreter*innen so ein Vorhaben öffentlichkeitswirksam anprangern. Sollen sie doch den Job wechseln! Die stetig steigenden Arbeitslosenzahlen versprechen schließlich eine allzeit bereite Reservearmee.

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