Zeitgeist und Vielfalt in europäischen Online-Archiven

Im 21. Jahrhundert sind Archive, unabhängig davon welche, Schätze sie bergen, von einer Herausforderung betroffen: der Digitalisierung ihrer Bestände und deren Implikationen. Die Archivia Konferenz 2014 in Linz suchte Anfang September nicht nur den Diskurs im Spannungsfeld von Urheberrecht und Nutzerrechten. Hinter Archivia steht ein EU-gefördertes Projekt „Captcha“, dessen AktivistInnen an einer Studie zu Archiven und darüber hinaus an einer Datenvisualisierung arbeiten, die eine neue Narration von Archivbeständen eröffnen wird. Die KUPF hat anlässlich der Konferenz zu Digitalen Archiven Joachim Losehand (wissenschaftlicher Kurator) und Thomas Diesenreiter (CBA Entwickler) um einen Einblick gebeten.  

Was sind aktuelle Probleme innerhalb des Urheberrechts? Welche Herausforderungen ergeben sich für Archive im Spannungsfeld von Urheberrecht, das die Interessen der einzelnen Produzenten vertritt im Gegensatz zu den NutzerInnen. Das Archiv versteht sich als Gemeingut. Zwei Pole, die sich annähern müssten. Doch sind Lizensierungen das (einzige) Instrument, das Urheberrecht flexibler zu gestalten oder gibt es schon andere Wege?

Thomas Diesenreiter: Urheber*innen, also die Schöp- fer*innen kreativer Werke, haben das berechtigte Interesse, von ihrer Arbeit leben zu können. Etwa im 18. und 19. Jahrhundert wurden als Reaktion auf den technischen Fortschritt beim Buchdruck die ersten Formen des UrheberInnenrechts gebildet. Das UHR ist eigentlich also eine recht junge Idee, die sich allerdings noch nicht an die jüngste technische Errungenschaft, das Internet, angepasst hat. Dahinter steckt wie so oft eine Verteilungsfrage. Heute stellt sich also einerseits die Frage, wie Kreative ihre Arbeit finanzieren können, andererseits, wie man die vielfältigen Potentiale des Webs rechtlich abgedeckt für die breite Masse nutzbar machen kann.

Einige Diskursteilnehmer*innen fordern vehement für den angeblichen Schutz der Kreativen eine Verschärfung des UHRs, andere plädieren aus Sicht der Konsument*innen für völlige Freiheit. Beide Lösungsansätze werden aber meiner Meinung nach nicht zu einer fairen Entlohnung kreativer Arbeit führen. Ich glaube, dass nur eine Lösung, die alle berechtigten Interessenlagen berücksichtigt, Erfolg und Akzeptanz finden wird. Also sowohl den Kreativen ihr Überleben sichert, als auch das Recht auf freie Meinungsäußerung im Netz und die dortigen vielfältigen nichtkommerziellen Nutzungen ermöglicht.

Seit der Digitalisierung der Freien Radios wird an der CBA (Cultural Broadcasting Archive) wie am lebenden Patienten operiert. Neue rechtliche Bedingungen zeichnen sich hier ab, in der Nutzung, wie in der Archivierung. Seit einigen Jahren gibt es etwa ein Schnittinstrument, mit dem RadiomacherInnen rechtlich geschützte Musik aus einer Livesendung fürs Archiv wieder entfernen können. Nun gibt es einige Neuerungen in der CBA. Wie sehen sie aus und welche juristische Notwendigkeit steht dahinter?

TD: Wir haben erfreulicherweise vor kurzem sowohl mit LSG als auch AKM erstmalig eine Lizenzvereinbarung treffen können. Diese erlaubt es den Mitgliedern der freien Radios Österreichs, Beiträge in voller Länge inklusive urheber*innenrechtlich geschützter Musik auf das CBA zu laden. Die Verwertungsgesellschaften haben den experimentellen Charakter der Vereinbarung betont und diese auch zeitlich begrenzt, wir werden unsere Vereinbarung also 2017 mit ihnen evaluieren müssen.

Die einzige, wesentliche Einschränkung lautet, dass Sendungen mit urheberrechtlichem Material nicht zum Download stehen, sondern gestreamed werden dürfen. Das dafür weltweit. Beiträge ohne solchem Material stehen natürlich weiterhin auch zum Download bereit. Bei allen noch übriggebliebenen Graubereichen haben wir damit einen großen und wichtigen Meilenstein erreicht. Wir sind damit wohl auch das erste nichtkommerzielle Medienarchiv in Europa, das eine solche Regelung umsetzen konnte. Dennoch gibt es immer noch genug zu tun, sowohl technisch, juristisch als auch politisch.

Die NutzerInnen werden auch irgendwo zu ExpertInnen was Lizenzen betrifft. Urheberrecht und Lizensierung sind aber wirklich große, auch komplizierte rechtliche Materien. Wie funktioniert das in der Pra- xis, mit der unüberschaubaren Menge an NutzerInnen?

TD: Wären alle unsere Nutzer*innen Expert*innen, hätten wir wesentlich weniger Probleme. Leider ist das Gebiet ein so komplexes, dass selbst versierte Menschen mit täglicher Medienpraxis immer wieder Fehler machen. Für die vielen ehrenamtlichen Sendungsmacher*innen der Freien Radios ist es daher oft noch viel schwieriger zu beurteilen, was sie machen können und was nicht. Wir bemühen uns nach Kräften, möglichst klare Richtlinien vorzugeben und Schulungen anzubieten, aber es bleibt dennoch oft eine Unsicherheit zurück. Aus diesem Grund sollte eine modernes UHR auf jeden Fall auch für Laien verständlich sein und klar und transparent definieren, welche Spielräume es für welche Nutzungsszenarien gibt.

Anlässlich der Archivia Konferenz 2014 werden ganz unterschiedliche Archive, aber auch Ansprüche an Archiv / NutzerInnen präsentiert und diskutiert. Bleiben wir mal bei den Freien Radios und deren kulturellem Erbe. Wie funktioniert diese Schnittmenge aus wirtschaftlichen Interessen (urheberr. geschützte Musik) und den individuellen nicht-kommerziellen Sendungen. Wir ZeitgenossInnen sind ja auch über die Remix-Kultur geprägt, dh. ein Zitat aus einem Film oder eine Musiksequenz sagen oft sehr klar aus, was jemand ausdrücken will. Wie frei ist im Moment die Nutzung? Wo wird es eng?

Joachim Losehand: Allgemein muss man für die tägliche Radioarbeit feststellen, dass jede Verwendung von fremden, urheberrechtlich mit «alle Rechte vorbehalten» geschützten Medien immer genehmigungspflichtig ist. Lediglich die Verwendung von Musikstücken (ganz oder ausschnittsweise), die im Handel erhältlich sind, ist durch Gesamtverträge der im Verband der Freien Radios zusammengeschlossenen Radiostationen mit den Verwertungsgesellschaften bereits vorab pauschal zur Sendung und neuerdings auch zur öffentlichen Archivierung lizenziert und damit ohne weitere Rückfrage nutzbar.

Alle anderen fremdproduzierten Medien wie Texte, nicht-musikalische Tonaufnahmen (aus Theater, Film, Lesungen) usw. unterliegen sehr engen genehmigungsfreien Nutzungsgrenzen. Ein freies begrenztes Zitatrecht gibt es nur für Texte, nicht aber für Ton- oder Filmwerke, deren Nutzung immer einzeln lizenziert werden muss. Auch jede Form der Bearbeitung («Remix», «Mash Up») ist zustimmungspflichtig. Ähnliches gilt übrigens auch beim creativecommons Lizenzmodul «nd» («keine Bearbeitung»), bei der jede Form der Veränderung und damit auch Ausschnitte aus Werken zusätzlich vorab genehmigt werden müssen.

Im europäischen Vergleich heißt es oft, beispielsweise in der Fürsorgepolitik: Blicken wir nach Skandinavien! Im Programm der Archivia klingt ein Programmpunkt ganz ähnlich. Welchen Weg haben die Archive im Norden eingeschlagen und was davon fehlt den Archiven hierzulande?

JL: Einige skandinavischen Länder haben bereits in den siebziger Jahren des letzten Jahrhunderts das System der sog. «erweiterten kollektiven Rechteeinräumung» eingeführt, das detailreiche und umfängliche Rechteklärung durch Pauschalverträge von bspw. Archiven mit Verwertungsgesellschaften ersetzt. Dabei sind auch jene Werke und Nutzungsrechte inkludiert, die nicht von den Verwertungsgesellschaften vertreten werden. Nichtmitglieder können Lizenzzahlungen für Nutzungen von Verwertungsgesellschaften erhalten, dürfen aber im Gegenzug keine darüber hinausgehenden Schadenersatz- oder Unterlassungsansprüche an Archive stellen. Der deutsche Jurist Felix Trumpke berichtete auf der Archivia 2014 aus seinen Forschungsergebnissen zum «Skandinavischen Modell», die unter anderem auch die Vor- und Nachteile sowie die Möglichkeiten einer Adaptierung für andere Länder beinhalten.

Das CBA wird weiterentwickelt. Was hat das zu tun mit einer neuen Serverstruktur, den Kosten für ein Freies Radio? Die stetige Ausdifferenzierung des Archivs wird einfach mehr in Anspruch nehmen, ein mehr an Speicherplatz, mehr Personalaufwand … wie bewältigt ihr das Unterfangen?

TD: Früher wurde sehr viel ehrenamtlich gearbeitet, aber mit der laufenden Professionalisierung und Etablierung der Plattform erwarten sich sowohl die Betreiber als auch die Nutzer*innen heute einen Service, der rein ehrenamtlich nicht mehr zu stemmen ist. Glücklicherweise hat der Projektträger VFRÖ, also der Verband Freier Radios Österreich, in den letzten beiden Jahren seine finanzielle Unterstützung laufend ausgebaut, um den Basisbetrieb zu sichern. Weiters haben wir mit servus.at eine technische Partnerin an Board, die sehr geschickt darin ist, unsere Infrastrukturen sehr kostengünstig zu betreiben.

Darüber hinaus haben wir schon immer sehr erfolgreich externe Gelder aus dem Kultur- und Forschungsbereich akquiriert, um das Projekt weiterzuentwickeln. Derzeit sind wir beispielsweise Partner in einem EU Projekt, aus dem wir sowohl die Archivia14 als auch technische Weiterentwicklungen zur Datenvisualisierung finanzieren, die dem CBA zu Gute kommen.

Zukunftsmusik. Was sind weitere Schritte für offenere Archive auf der politisch / rechtlichen Ebene? Was werden die nächsten Schritte sein, die das CBA gehen wird?

TD: In Zukunft ist es meiner Meinung nach notwendig, Strukturen für eine langfristige Sicherung des Archivs aufzubauen. Ich habe schon länger die Idee einer Stiftung im Kopf, da ich diese Gesellschaftsform inhaltlich passend finde. Diese könnte auch über das CBA hinausgehen und offene Infrastrukturen und offene Software für verschiedenste nichtkommerzielle Archivprojekte bereitstellen. Weiters ist es meiner Meinung nach auch notwendig, den Bund als Subventionsgeber in die Pflicht zu nehmen. Projekte wie das CBA dokumentieren einen Teil des zeitgeschichtlichen Erbes, das in vielen staatlichen oder privaten Archiven nur sehr lückenhaft dokumentiert ist. Und im Vergleich zu den Kosten für die Sicherung analoger Bestände, die oftmals in Tiefbunkern gelagert werden, reden wir bei digitalen Archiven von viel geringeren Beträgen. Wir haben mit dem CBA schon heute eine großartige Plattform, die durch den anhaltenden Medienwandel auch in Zukunft weiter an Relevanz gewinnen wird. Und wir haben genug Ideen für weitere Innovationen, dass uns die Arbeit sicher auch langfristig nicht knapp werden wird.

 

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