Gut sein lassen

Ich kenne dich: Du stellst keine Fragen, hältst deine Meinung für die einzige, gehst nur von deiner Perspektive aus, bewertest, hierarchisierst. 

Rechthaben, du nervst! Immer wieder begegnest du mir. In unterschiedlichsten Facetten, festgefressen im Hirn der engagiertesten Menschen. Viel zu häufig bekommst du eine Auftrittsmöglichkeit. Viel zu viele Menschen scheinen dich gerne zum Ausdruck zu bringen. Heute zeigst du dich schon zum dritten Mal. Wie komme ich dazu? 

Beim ersten Mal habe ich mich auf eine Diskussion eingelassen. Einen Austausch versucht, Fragestellungen formuliert, auf Komplexität hingewiesen, weitere Perspektiven eingebracht – und bin nicht durchgedrungen. Aber ich habe es versucht und auch das ist ja schon etwas. Für dich vielleicht nicht, für mich aber schon. Ich muss mir das durchaus auch immer wieder vorsagen: Du bist ein Verhaltensmuster, das ich durchbrechen kann. Ich will dich in mir klein halten.

Beim zweiten Mal habe ich meinem Gegenüber einfach Recht gegeben. Das ist doch, was du willst, oder? Für mich hat sich das nicht gut angefühlt.

Jetzt, beim dritten Mal, schaue ich den Menschen vor mir an, öffne meine Augen weit, ziehe die Augenbrauen hoch, schiebe den Kopf schnell nach vorne und sage „Buh!”. Dann drehe ich mich um und gehe davon. Ich blicke nicht zurück. Ich lasse es gut sein. Es ist in Ordnung, so wie es ist. 

Gut sein lassen, sage ich leise noch einmal vor mich hin. Loslassen, nicht weiter darüber nachdenken, zufrieden damit sein, verschiedene Reaktionen ausprobiert zu haben. Kein Ziel anstreben, den Prozess liebhaben, eine lustvolle Praxis abseits von einfachen Antworten leben. Vielleicht ist gleich die nächste Interaktion eine mit Menschen, die Lust darauf haben, gemeinsam einen Umgang mit dieser Welt zu suchen. Die dem Verlangen nach dem Rechthaben nicht nachgeben, sondern es wahrnehmen, nicht bewerten und verabschieden. Denn lustvoll muss nicht gleichbedeutend mit schön, gut oder angenehm sein. Sollte es aber heute noch zu einer vierten Begegnung mit dem Rechthaben kommen, dann will ich für das Nicht-Wissen, das Zweifeln und das Veränderbare einstehen. Ich werde zuhören, mir eine Frage überlegen, sie stellen und es dann auch wieder gut sein lassen. Wie sehen Sie das? Wie gehen Sie mit dem Rechthaben um, wenn es Ihnen das nächste Mal unterkommt? 

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