Marlene Streeruwitz über die Stellung des politischen Text in Österreich.
…In unserer Kultur hat der politische Text es einfach. Die Erbschaft des römischen Rechts stattet diesen Text mit Kategorien aus, die als Medien der Umbenennung fungieren. Verbalisierung von Ordnung ist das. Auch Ordnung muß erst gesprochen werden, bevor sie hergestellt werden kann.
…So wie der absystematisierte Postbedienstete meines Postamts nach der Benennung als Absystematisierter nicht mehr im Text vorkommt. So erfüllt der Sozialschmarotzer als Kategorie eine appelativ rhetorische Funktion. Der Sozialschmarotzer ist eine Bereithaltungskategorie, aus der jederzeit und beliebig Unterkategorien zur Zugangsbeschränkung fabriziert werden können. So sind die Studenten und Studentinnen, die zwar keine adäquaten Studienbedingungen vorfinden und deshalb länger studieren müssen, keine Studenten und Studentinnen mehr, wenn sie nicht die Benennung Studiengebührzahler erfüllt haben, indem sie Studiengebühren bezahlen.
Und. Das ist alles ganz wörtlich so. Ob man in der „als ob“ Wirklichkeit des Entwurfs des politischen Texts bleibt oder in die wirkliche Wirklichkeit fällt. Der politische Text entscheidet das mit Hilfe von Verschiebung und Auslassung.
Der politische Text mit seinen Methoden der semantischen Verschiebung, der Auslassung, der Umbenennung lügt. Der politische Text muß lügen, wenn er die Beschränkung auf die Wirklichkeit „als ob“ aufgibt und in die Wirklichkeit strebt. Ein Wahlprogramm kann Lügen enthalten, aber es kann nicht lügen. Die Umsetzung des Wahlprogramms als Fall eines Texts in Wirklichkeit kann dem Text nicht gerecht werden. So wie jede Theateraufführung den Text Theaterschauspiel nur immer in dieser einen bestimmten Form auf die Bühne bringt und die Wahrheit aller anderen Möglichkeiten verschweigt, kann die Umsetzung des Wahlprogramms nicht alle im Text eingeschlossenen Möglichkeiten in die Wirklichkeit bringen. Nun ist der Text Theaterschauspiel ein Text, der nur auf seine eigene Wirklichkeit verweist und darin zur eigenen Wirklichkeit wird.
Diese eigene Wirklichkeit kann nur mittelbar auf die Wirklichkeit des Zusehers oder der Zuseherin einwirken. Der Text des Wahlprogramms dagegen bedient sich ähnlicher Umsetzungsformen. Ist in dieser Umsetzung ähnlich eingeschränkt. Aber diese Umsetzung hat nicht Modellcharakter. Es gibt keine Möglichkeit, verschiedene Interpretationen eines Wahlprogramms durchzuprobieren. Oder den Regisseur oder die Regisseurin öfter zu wechseln. Es handelt sich um Leben, das betroffen ist. Bei Klimakonferenzen geht es um das Atemholen. Bei Bildungsfragen um ein zu Gedanken kommen. Es geht um die bittere Wirklichkeit, wie in einer Gesellschaft letzte Augenblicke möglich sind. Und trotzdem wird der politische Text so erstellt, als ob es nur um den Text ginge. Der politische Text ist Fiktion, die dann als Gebrauchsanleitung wirksam wird und in dieser Transformation geschieht die Lüge.
In unserer Kultur ist diese Lüge systemischer als anderswo. Die Erbschaft des Metaphysischen ist nie aufgesagt worden . In unserer Kultur. Der politische Text will und muß Heilstext sein und will sich von einer alles erklärenden Weltsicht herleiten. In Österreich ist das immer Heilsversprechung. Ist das in der Ableitung von Predigt und Verordnung. Und jeder Text außerhalb dieser Kategorien war und ist schon Gegentext und unterliegt darin schon einer internalisierten Zensur.
Der Wunsch, Widerspruch gegen den politischen Text vollkommen auszuschalten, hat darin seine Geschichte und ist aus der weiterhin wirksamen Heilssehnsucht zu erklären. Man möchte nur das Beste. Man weiß auch ganz genau, was das Beste ist. Das ist Verkündigung. So haben wir es gelernt. Alle. So etwas verlernt sich nicht. Ministrieren ist da wie Schwimmen. Und die Unverständigen zwingt man zum Glück. Oder verliert sie mit Hilfe irgendeiner Umbenennungskategorie, die man sich ja bereitgestellt hat. Im politischen Text. Und dann feiert man wieder Dankgottesdienste. Diese Dekonstruktion monarchistischer Rituale als Textverstärker. Das ist Dada. Die semantische Verschiebung, die Auslassung, die Umbenenung, der Ebenensprung, die Fragmentierung. Waren das alles künstlerische Mittel der Avantgarde zum Verweis auf fragmentierte Wirklichkeit der Moderne, so wird hier das Mittel der Fragmentierung des Rituals des Dankgottesdienstes aus dem monarchischen und ständestaatlichen Inventar als Teil eingesetzt, ein vollständiges Bild herzustellen.
Jeder Text trifft eine Auswahl aus allen Sinneinheiten, die möglich sind. Was in einem Text vorkommt und was ausgelassen ist, schafft die Bedeutung des Texts. Wird dieser Text nun mit der Intention politischer Macht verfaßt, dann wird diese Auswahl oder Auslassung existentiell. Was und was nicht und vor allem wer und wer nicht in einem politischen Text repräsentiert ist. Das hat ja wirklich Auswirkungen. Vor allem auf der symbolischen Ebene des Lesens des politischen Texts wird diese Auswahl verstärkt. Es wird darüber entschieden, wer und was auf dieser Symbolebene existiert. Oder nicht. Über die Symbolfunktion kann Existenz hergestellt werden. Oder entzogen. Und die Wirklichkeit wird darin überspielt.
Benennt der politische Text Gruppen nicht. Wie die Frauen. Oder beschreibt der politische Text Prozesse wie Emanzipation nicht. Dann existieren diese Sinneinheiten auf der Text- und Symbolebene nicht. Und dann existieren sie in dieser Form auch in der Wirklichkeit nicht. Das Fehlen auf der symbolischen Ebene im politischen Text wird zu einer Leerstelle in der Wirklichkeit. So können die emanzipiertesten Frauen auftreten. Ohne Repräsentation gibt es sie nicht. Sie werden unter anderen Kategorien auftreten müssen. Auf einer anderen, dem politischen verwandten Ebene, der Werbung, verläuft das ähnlich. Obwohl alle Frauen angezogen herumlaufen und in der Öffentlichkeit angezogen gesehen werden, wird das Palmersplakat die Repräsentation auf der Symbolebene übernehmen.
Der politische Text ist semantisch sehr freizügig. Wie sich die Bilder und Symbole unserer Kultur so ableiten. Ziemlich einfach. Kitschig. Weil diese Bilder und Symbole immer verborgen gehalten werden können. Der politische Text bleibt ja Fassade. Ich denke, daß sich zum Beispiel Dankgottesdienste ganz entfernt aus einem unserer Hauptkulturgüter ableiten. Aus den Sissi-Filmen. Sissi fährt ja auch die Donau hinunter und Maria Taferl winkt herunter. Und immer wieder sonnenüberglänzte Plätze vor Kirchen und Kathedralen. Das Volk jubelt.In Erinnerung kommt einem die Szene vor dem Markusdom. In Sissi, Schicksalsjahre einer Kaiserin. Die kleine Sophie läuft Romie Schneider in die Arme. Und alle freuen sich. Freudentränen der einfachen Frauen. Das Muttersein. Das verbindet sie mit der Kaiserin. Jedenfalls im Film. Der Himmel ist so himmelblau. und Karl Heinz Böhm ist auch so fesch. Ich denke, einer der verborgeneren Gründe an die Macht zu wollen, ist die Erwartung, solche Szenen zu erleben. Solche Szenen.
…Wir haben nun keine Tradition des säkularen Texts. Einer Aufklärung etwa. Wir haben keine Tradition, aber sie wurde auch nicht unterbrochen. Und. Die Geschichte, wie aus einem politischen Text Wirklichkeit konstruiert wird, die ist in diesem Land bekannt. „Mein Kampf“ ist ein nicht zu übersehendes Beispiel, wie ein mit dem Willen zur Macht verfaßter quasiwissenschaftlicher Verkündigungstext sich in der Wirklichkeit entwirft. Die Grundgrammatik dieser Textsorte wurde in unserer Kultur nie in Frage gestellt. Nie angezweifelt. Es gab gar keine Überlegungen dazu. Es gab kein Innehalten und ein Neu Beginnen. Es wurde weitergemacht. Die einen machten von 1938 an weiter. Andere von 1934. Wieder andere von 1918 weg.
Und andere hörten nie auf. Mit dem Weitermachen. Wenn es die Entwicklung von Gegenströmungen gegeben hat, dann darin. Gegenkultur in Österreich bedeutet Verstärkung rigider autoritärer Textformen. Natürlich mit Medienmarketing und Akzeptanzüberprüfung. An dieser Entwicklung ist die Logik von Dankgottesdiensten und von emotional aufgeladener Metaphorik abzulesen. Seltsam an diesem Geschichtsbild ist das vollkommene Fehlen ödipaler Gegenbewegungen. Die Väter wurden nicht viel gefragt. 68 entstanden ein paar Kommunen. Aber dann. Brave kleine Thronfolger schlüpften alle immer gleich in den Anzugs. Nachfolge, wie es bei der Leitklasse, der Aristokratie zu lernen ist.
Es gab immer wieder technische Anapssungen des politischen Texts, wie die Inkorporierung des Unterhaltungstexts zu Lasten des Verkündigungstexts. Die Ähnlichkeit der theatralischen Strukturen von Musikantenstadl und Bierzelt ist Absicht. Der Unterhaltungstext konstruiert Passivität im nostalgischen Verweis auf die einmal so gut oder schön gewesene Zeiten. Im Musikantenstadl auf eine Zeit, in der alle außerhalb Wiens Trachten trugen und auch sonst alles in Ordnung war. Im Bierzelt. Als die Mander noch etwas zu sagen hatten. Und die Weiber wußten, wann sie staad sein sollen.
In der Rückschau auf diese Zeiten, die es nie gegeben hat, können auch alle diese großen und edlen, aber auf jeden Fall überwältigenden Gefühle aufsteigen. Teilnahme wird über das Heben des Bierglases simuliert. Alles ordnende Conferenciers oder Politiker erklären alles. Das wird ein Text über Wirklichkeit als ob alles in Ordnung wäre. Und wirklich toll wird es dann wenn gewitzelt wird. Da verschwimmen die Grenzen endgültig. In der Diffamierung der Schwiegermütter oder der Ausländer. Da sind sich alle schmunzelnd einig. Meistens auch die Schwiegermütter. Es wird schrecklich gelacht. Und. Die Geschichte der Ausgrenzung ist weitergeschrieben. Im Humor. Im Scherz und in der ach so witzigen Metapher. Da sind der Unterhaltungstext und der politische Text kongruent. Und. Bei Bedarf könnte das Grinsen in Empörung gekippt werden. Das bestimmten die Conferenciers. Die verwendeten Sinneinheiten der Konstruktion des Anderen, die Schwiegermutter oder der Andere, sie lassen beides zu.
Wie gesagt. Es gab immer wieder technische Angleichungen des politischen Texts an Anforderungen der Zeit. Wie eben an den Unterhaltungstext. Die Intention blieb Verkündigung. Kein Politiker oder Politikerin könnte mit Unterhaltung zufrieden sein. Und es gab den endgültigen Wegfall der erlebbaren Wirklichkeit als Wirklichkeit, die den Behauptungscharakter des politischen Texts sichtbar machen könnte. Die politische Fiktion hat freie Bahn. Und wir leben in der Monokultur des kaiservaterlosen Kinds, das in zynischer Resignation von Nachahmung zu Nachahmung taumelt und in keiner Sicherheit findet. Vor allem keine Selbstsicherheit. Wenn die größte Erneuerung im politischen Text der Rückgriff auf die vorvorige Sprache ist. Eine Sprache, die schon einmal die Darstellung von Essentiellem behauptet hat und ja kein Problem hatte, tödliche Kategorien zu phantasieren. Der politische Text in unserer Kultur ist vertan. Das, was von manchen als Neuanfang begrüßt wurde, ist ein Altanfang.
Wie aber kann weitergeredet werden. Wie daraus gehandelt. Wie ist ein Verstummen zu verhindern im Fall zwischen alle Wirklichkeiten. Es gibt keine andere Möglichkeit als Kunst. Kunsthandeln und kunstreden. Kunsttexte, die auf nichts verweisen als auf ihre eigene Wirklichkeit. Die ihre eigene Wirklichkeit sind. Die nicht in wirkliche Wirklichkeit gezerrt werden können und da eine Wirkung. Kunsthandeln und kunstreden in nachgewiesener Autorschaft. Jeder Text entzieht sich durch diese Autorschaft dem Willen zur Macht. Gibt in die Machtlosigkeit ein und ermöglicht sich darin. Warum den politischen Text nicht durch den Kunsttext ersetzen. Warum nicht die Unmöglichkeit des Ganzen zugeben und darin die eigene Wirkung begründen, Wirklichkeit erfahrbar zu machen. Das heilt nicht. Das rettet nicht. Das erhebt nicht. Aber es lügt nicht. Und es tut auch nicht weh. Und vielleicht wird das Sprechen dann schwieriger und müßte jedesmal neu sein und könnte immer nur sich sagen. Aber vielleicht können wir dann beginnen, uns Vorstellungen über eine andere Sprache zu machen. vielleicht können wir dann beginnen, eine Sprache zu entwerfen, die wir heute gerade nur in ihrer Nochnichtmöglichkeit ahnen können.
Marlene Streeruwitz