Die Grazer Autorenversammlung

Versuch einer Selbstdarstellung

 

von Richard Wall

Zur Gründung der Grazer Autorenversammlung (GAV) 1) kam es 1973, & zwar in jener Stadt, die den Vereinsnamen bis heute prägt; in Graz gab seit 1960 Alfred Kolleritsch die „manuskripte“ heraus, rund um diese Zeitschrift & um das „Forum Stadtpark“ war eine Atmosphäre entstanden, die aus heutiger Sicht die steirische Landeshauptstadt als Epizentrum erscheinen läßt, von dem aus literarische Erschütterungen & von ihrer Genialität erschütterte Literaten sich über halb Europa hinweg ausbreiteten.

Autoren, die Mitglieder der GAV sind, wohnen zumeist weder in Graz noch in der Steiermark, sondern leben wie in einer echten Diaspora über den Staat Österreich & darüber hinaus verstreut; die basisdemokratisch geführte Vereinigung hat sich also – nicht nur geographisch – längst entgrenzt, trägt aber bis heute die Stadt ihrer Gründerväter & -mütter im Namen internalisiert. Mittlerweile befindet sich der Sitz der GAV in Wien, ein Büro in der ehemaligen bescheidenen Wiener Wohnung Robert Musils in der Rasumofskygasse mit der Sekretärin Magdalena Knapp-Menzel & dem Lyriker Gerhard Kofler als Generalsekretär & der Lyrikerin & Essayistin Heidi Pataki (Gründungsmitglied der GAV) als Präsidentin fungiert als Service- & Organisationszentrum sowie Beschwerdestelle – ein überquellendes Büro, in dem auch die Vorstandssitzungen abgehalten & die Generalversammlungen im Literarischen Quartier der Alten Schmiede vorbereitet werden. Mittlerweile geht es also zu wie in einem richtigen, ja typisch österreichischen Verein, mit Austritten, Wiedereintritten & sonstigen Tritten …

Doch zurück zu den mittlerweile nostalgisch verklärten 70er Jahren, zur Ursache der Gründung der GAV (wo es doch ohnehin schon einen Verein für Schriftsteller gab, nämlich den P.E.N.) 2): Die GAV entwickelte sich als Secession nach einer längeren Debatte aus dem österreichischen P.E.N.-Klub, dessen Repräsentanten neuen Literaturformen – sowohl experimentellen (Visuelle & Konkrete Poesie etc.) als auch erzählenden „realistischen“, gesellschaftsanalytischen – verständnislos bis ablehnend gegenüberstanden. Abgesehen davon hatten im österreichischen P.E.N. nach wie vor Mitglieder das Sagen, die sich nie von ihren literarischen & kulturpolitischen Aktivitäten im österr. Ständestaat & während der nationalsozialistischen Herrschaft distanziert hatten. Seither leistet sich das winzige Österreich den Luxus, zwei mehr oder weniger rivalisierende Schriftstellervereinigungen aushalten zu müssen 3) – ohne diesbezügliches Kartellrecht!

1987 wurde die GAV „regionalisiert“, d.h. Mitglieder in den Bundesländern konnten sich (vorausgesetzt sie wollten) als autonome Autorengruppe etablieren. Die GAV-OÖ ist seit dieser Zeit ein wesentlicher Faktor im Literaturbetrieb des Landes, die Aktivitäten der Vereinigung & jene einzelner Mitglieder (abgesehen von ihrem persönlich-individuellen literarischen & künstlerischen Schaffen) sind längst ein innovativer, aber auch verläßlicher Bestandteil des literarischen & kulturpolitischen Lebens in Oberösterreich.

Einige Beispiele: 10 Jahre & länger werden die programmatischen Veranstaltungsreihen „Dichter über Dichter“ (von Walter Pilar) & „linzer notate“ (von Christian Steinbacher) organisiert & moderiert; dem Gmundner Mitglied Otto Johannes Adler ist es zu verdanken, daß die vorzügliche Galerie 422 in Gmunden sich nicht ohne Literaturprogramm begnügen darf; Andreas Renoldner, Regionaldelegierter der GAV-OÖ in den vergangenen Jahren, versucht gemeinsam mit dem Kulturverein AKKU zeitgenössische Literatur nach Steyr zu bringen; Erich Klinger verschafft Kollegen Zugang zum freien Radionetz; schon 1990, als ich die Funktion des Regionalsprechers innehatte, entwickelte die GAV-OÖ Kontakte zu tschechischen Kollegen, von denen einige wie Josef Nesvadba, Hana Be`´lohradská, Alexandr Kliment, Josef Hruby, Jir`´i S`´tránsky (heute P.E.N.-Präsident Tschechiens) schon in Linz lasen, bevor noch die offiziellen Kulturkontakte zu greifen begonnen hatten. Der ungarische Romancier, Essayist & Übersetzer Imre Kertész beispielsweise las aufgrund einer Einladung in der von mir betreuten Reihe „zeitwörter“ nach dem Erscheinen seines Romans „Kaddisch für ein nicht geborenes Kind“ schon im Mai 1993 in Gallneukirchen – noch bevor das internationale Feuilleton & die österreichische Leserschaft ihn entdeckt hatte. Herbert Vorbach organisiert weiterhin einmal pro Jahr in Zusammenarbeit mit dem Stifterhaus einen Abend mit tschechischen Autoren, & der Kontakt mit irischen Autoren ist mittlerweile ebenfalls ein regelmäßiger.

Offiziell für ihre literarischen Arbeiten mit dem Landeskulturpreis ausgezeichnet wurden bislang die GAV-Miglieder Franz Rieger, Waltraud Seidlhofer, Heimrad Bäcker (langjähriger Herausgeber der „edition neue texte“ & Gründungsmitglied der GAV), Walter Pilar & der 1997 verstorbene Franz Kain; darüberhinaus waren – & hier schließt sich ein Kreis – im Jahr 1994 Erwin Einzinger, 1999 Hans Eichhorn die „manuskripte“-Preisträger des Landes Steiermark.

In einem Post Scriptum erlaube ich mir, auf einen Umstand hinzuweisen, der fehlende Auftrittsmöglichkeiten für Autorinnen & Autoren außerhalb der Ballungszentren betrifft: Wir bedauern, daß die meisten Mitgliedervereine der KUPF sich der Literatur in ihrer gegenwärtigen Formenvielfalt verschließen. Für einen Diskurs über politische, kulturpolitische, ästhetische & existentielle Fragen ist nach wie vor die Literatur unentbehrlich, da sie aufgrund ihres Mediums prädestiniert ist, komplizierteste Dinge zur Sprache zu bringen. Vielen „alternativen“ Kulturvereinen scheinen mittlerweile jene heiligen Faktoren, die sie zu Recht beispielsweise den nationalen & internationalen Fernsehanstalten vorwerfen, auch für die Gestaltung ihrer Programme entscheidend zu sein: „Quoten“ & „Unterhaltung“ (selbstverständlich „gehobene“). Das Kabarett ist zu einer Seuche geworden, die nicht Denken, sondern nur noch Schenkelklatschen auslöst & dergestalt die Kulturprogramme des Landes bis in die entlegensten Nester beherrscht.

Literatur, die sich den Gesetzen des Marktes verweigert, respektive am Markt sich aus verschiedenen Gründen nicht durchsetzen kann, ist nicht zuletzt auf Alternativen angewiesen, wie sie das Netz der KUPF den Autorinnen & Autoren anbieten könnte.

 

Richard Wall

 

1) Einige „Gründernamen“: H.C.Artmann, Gerhard Rühm, Wolfgang Bauer, Ernst Jandl, Friederike Mayröcker, Gerald Bisinger, Alfred Kolleritsch etc.; aus Oberösterreich waren dabei: Friedrich Achleitner, Heimrad Bäcker, Josef Bauer, Peter Kraml & Fritz Lichtenauer. 2) Da ich überzeugt bin, daß nur wenige wissen, was P.E.N. bedeutet: Abkürzung für Poets, Essayists, Novelists; internationale Schriftstellervereinigung, die eine Art geistiger Völkerbund von Leuten der „Feder“ (engl. pen) sein wollte, 1921 in London gegründet; der österr. PEN-Klub entstand 1922, wurde 1938 aufgelöst (während des Krieges Exil-Pen-Club in London), 1947 wiedererrichtet. 3) Die IG AutorInnen wird hier als gewerkschaftliche Vertretung der AutorInnen gewertet, und nicht als KünstlerInnen-Verbund. (Red.)

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