Auszüge einer Rede von Kunststaatssekretär Peter Wittmann, gehalten am 7. Mai 1999 im Rahmen der Medienkonferenz Linz 1999
von Peter Wittmann
Meine sehr geehrten Damen und Herren,
[…] Wir haben gegenwärtig in Österreich nicht nur ein duales Hörfunksystem, bestehend aus den öffentlich-rechtlichen Radioprogrammen des ORF und den kommerziellen privaten Radioprogrammen, sondern auch einen nicht mehr wegzudenkenden Bestandteil in der privaten Radiolandschaft, nämlich den nicht-kommerziellen, in der Regel als freie Radios bezeichneten Hörfunk. Merkmale dieser freien Lokalradios sind ihre Werbefreiheit, ihre Gemeinnützigkeit und das Zur-Verfügung-Stellen eines offenen Zugangs. Die freien Radios beweisen durch engagierten Einsatz tagtäglich, daß sie dem Gesetzesauftrag, nämlich einen Beitrag zur Meinungsvielfalt zu leisten, nachkommen. Damit wird zumindest teilweise ein strukturelles Defizit der traditionellen Massenmedien behoben. Ein Defizit, das sich in einer Unterrepräsentanz von bestimmten Formen von Kultur und grundsätzlich von offener Kommunikation und Diskussion insbesondere auf regionaler und lokaler Ebene manifestiert. Nicht-kommerzielles Radio eröffnet im Prinzip jedermann die Möglichkeit, unzensuriert Programm anbieten zu können. Im Interesse größtmöglicher Meinungsvielfalt, eine demokratiepolitisch ungemein wichtige und – meiner Meinung nach – nebstbei eine höchst spannende Sache. […] Wie flexibel und auch tatsächlich unabhängig die freien Radios sind, zeigt uns gerade in diesen Wochen die Tatsache, daß es Radio FRO gelungen ist, Nachrichten aus unabhängigen Quellen, wie dem mittlerweile in Serbien verbotenen Belgrader Sender B92, zu übernehmen, und das Wiener Radio Orange sendet von Tag zu Tag abwechselnd albanische und serbische Nachrichten der BBC. Klar ist, daß solche Vorhaben, ebenso wie andere nicht-kommerzielle Projekte, nicht nur vom Idealismus der Betreiber und Mitarbeiter existieren können. Und Bund, Länder und Gemeinden haben sich auch in Hinkunft verstärkt über Möglichkeiten finanzieller Unterstützung zu verständigen und trotz angespannter budgetärer Verhältnisse hier Geld zur Verfügung zu stellen. Freie Radios sind jedenfalls eine große Bereicherung für unsere Demokratie und sie sind in ihrer Gesamtheit ein höchst zukunftsweisendes Projekt.
Der emanzipatorische Ansatz, wie er sich in den freien Radios artikuliert, ist in den neuen Informations- und Kommunikationstechnologien Strukturprinzip. Die auf diesen Technologien basierenden Dienste lösen nicht nur die in den tradionellen Medien übliche Beschränkung auf sprachliche oder kulturell begrenzte Räume auf, sondern verändern auch das Verhältnis zwischen Medienproduzent und Medienkonsument. Grundsätzlich kann sich jedermann vom Status des bloßen Rezipienten emanzipieren und selbst als Anbieter von Inhalten auftreten. Eingesponnen sind diese Entwicklungen in einen grundsätzlichen Umbruch im Medienbereich, der – auf europäischer Ebene – mit dem Stichwort der Konvergenz bezeichnet wird. Das technische Zusammenwachsen von Telekommunikation, traditionellen Medien und Informationstechnologie ermöglicht Inhalte nicht nur mehr über ein Medium, sondern simultan über mehrere Medien und de facto global zu verbreiten. Konvergenz ist heute nicht nur mehr ein etablierter Terminus in der Informationsgesellschaft.
Konvergenz bedeutet für mich die Herausforderung, eines sehr deutlich zu betonen: Der künftige Weg der Gestaltung der Rahmenbedingungen kann und darf nicht allein unter dem Blickwinkel der Technologie und des Wettbewerbs gesehen werden. Konvergenz ist nämlich nicht nur ein Zusammenführen von technischen Plattformen, die sich ökonomisch verwerten lassen. Konvergenz ist vielmehr eine Symbiose aus einer Vielzahl unterschiedlichster Anliegen der Informationsgesellschaft, bei denen ich insbesondere die Bedeutung der gesellschafts- und kulturpolischen Implikationen hervorheben möchte. Lassen Sie mich das kurz so ausdrücken. Konvergenz, das bedeutet zum einen eine ungeheure Quantifizierung des Informationsangebotes. Doch wer wird an diesem Informationsangebot teilhaben können? Nur diejenigen, die sich den Zugang dazu leisten können, etwa aufgrund der Bildung oder finanzieller Verhältnisse. Konvergenz bedeutet die immense Chance auf die Schaffung von neuen Arbeitsplätzen. Doch ist mit Konvergenz nicht zugleich impliziert, daß viele Arbeitsplätze zugleich gar nicht mehr benötigt werden, da der Mensch in der Informationsgesellschaft zunehmend durch Technik abgelöst wird. Und schließlich – was mir als Kulturpolitiker in diesem ganzen Prozeß am Herzen liegt: Konvergenz, das bedeutet eine große Aufgabe für die Kreativität, denn je mehr Kommunikationsplattformen es gibt, desto mehr Inhalte werden benötigt. Doch je mehr diese Inhalte am Markt vorhanden sind, desto mehr stehen diese im Wettbewerb und sind damit der Gefahr ausgesetzt, daß nicht mehr die Qualität, sondern überwiegend oder sogar ausschließlich deren kommerzielle Verwertbarkeit im Vordergrund steht. Hier muß meines Erachtens eine verantwortungsbewußte Kulturpolitik ansetzen, um Konvergenz nicht nur als technologische, sondern vielmehr als gesellschaftspolitische und inhaltsfördernde Plattform zu begreifen. Je stärker sich das Informationsangebot ausdifferenzieren und individualisieren wird, desto größer wird die Nachfrage nach Orientierung und damit der Qualität der Inhalte. Hier stellt sich insbesondere eine große Aufgabe für die Kulturschaffenden, für die kulturvermittelnden Medien. Nämlich inwieweit sich Kultur, oder anders gesagt, die kulturelle Qualität der Inhalte, in dem sich rasant veränderndem technologischem Umfeld überhaupt noch behaupten kann. Gerade weil wir durch die konvergenzbedingte Informationsexplosion künftig ein Vielfaches an Inhalten geboten bekommen, muß es das Anliegen der Kultur- und Medienpolitik sein, speziell diejenigen Projekte zu fördern, welche sich in der Informationsflut aufgrund ihrer besonderen Qualität herausheben. Gerade diejenigen, die nicht nur ausschließlich nach Quoten und kommerziellen Erfolg ringen, müssen uns daher ein Anliegen sein.
Wir sind als Kulturpolitiker diesbezüglich verpflichtet, das große Potential unserer kreativen Kräfte zu unterstützen. Wir müssen mit aller Deutlichkeit vermitteln, daß dieses kreative Schaffen nicht als irgendeine beliebig handelbare Ware dem Wettbewerb ausgesetzt werden kann, sondern ein zentrales, unverzichtbares Element unseres Selbstverständnisses ist. Dem mindestens die gleiche Bedeutung zukommt, wie – aus meiner Sicht – den allseits bekannten, einseitig betrachteten kommerziellen, ökonomischen Gesichtspunkten. Die vom Bundeskanzleramt während der österreichischen Präsidentschaft veranstaltete Expertenkonferenz „Kultur als Kompetenz“ hat, wie ich meine, hier ebenso Zeichen gesetzt, wie auch das Cultural Backbone Meeting die Notwendigkeit eines europäischen Kulturnetzwerkes für neue Kommunikationstechnologien betont hat. Schwerpunkt dieser Diskussionen waren die strukturellen Defizite einer Technologiepolitik, die kulturelle Dimensionen vollkommen vernachlässigt, aber auch Defizite in kulturpolitischen Konzeptionen hinsichtlich der Wahrnehmung von Netzinitiativen und Medienkunst als neue künstlerische Ausdrucksformen. Und ich bin mir bewußt, was ich hier sage. Das ist auch durchaus selbstkritisch zu verstehen, weil ich weiß, daß hier die Politik einen enormen Aufholbedarf hat und über große Versäumnisse hier von der politischen Seite her gesprochen werden muß.
Umso mehr freue ich mich aber, daß nunmehr in Form des gelben Papiers nicht nur ein Positionspapier der unabhängigen Netzkulturszene vorliegt, sondern auch eine konkrete Handlungsanleitung für die Politik. Diese wird sich auch im „Weißbuch für Kulturpolitik“ wiederfinden. Ich darf abschließend allen Initiativen für diese Arbeit danken und wünsche Ihnen allen noch eine spannende und interessante Konferenz und möchte mit einer letzten Bemerkung schließen. Ich glaube, daß es Sache der Politik sein wird, hier diese neuen Entwicklungen aufzugreifen, die Inhalte zu fördern, die Kreativität der Inhalte zu fördern und sich ganz maßgeblich von den kommerziellen Erfolgen und ökonomischen Zwängen loszulösen. Wir werden auch Geld in die Hand nehmen müssen. Das gilt sowohl für den Bund als auch für die Länder sowie für die Städte. Und selbst, wenn die Budgets nicht wachsen, wird man innerhalb dieser Budgets umschichten müssen, weil es eine gesellschaftspolitische Entwicklung ist, der wir jetzt schon hinterherlaufen und die wir aktiv in die Hand nehmen müssen. Ich kann Ihnen versichern, daß wir im Rahmen unseres Budgets diese Umschichtung vornehmen, wenn auch schrittweise, wenn auch zu langsam. […] Aber wir werden uns dieser Aufgabe stellen und ich kann Ihnen hier versichern, daß wir am Ball bleiben oder zumindest aufholen, was wir schon versäumt haben, und vielleicht in einigen Jahren auch zur Spitze zählen werden.
Es war mir wirklich ein Anliegen, hierher zu kommen und das auch hier zu sagen. Und auch dafür Verantwortung zu tragen, daß das auch stattfindet in der politischen Diskussion und auch umgesetzt wird. Weil ich glaube, daß wir hier viel zu lange schon hinterherlaufen und hier berechenbarer werden müssen. Daher danke ich für die Einladung zu dieser Konferenz. Ich wünsche noch einen interessanten Verlauf und bin auf die Ergebnisse sehr gespannt. Ich kann Ihnen garantieren, daß wir diese selbstverständlich gemeinsam diskutieren werden und die entsprechenden Maßnahmen ergreifen, um auch hier Umsetzung zu garantieren.
Dankeschön.