Über das politische Miteinander in Wels und wie Bürger*innenbeteiligung gelingen kann. Von Ralf Drack.
Wels ist eine Kommune, die gern am Bestehenden festhält. Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges wurde Wels 40 Jahre durchgehend von einer SPÖ regiert, die sozial defensiv agierte. Einhergehend mit der neoliberal befeuerten Krise der Politik begann der Missmut unter den Welser*innen zu wachsen und Ende der 1980er Jahre setzte ein rasanter Niedergang von SPÖ und ÖVP ein, komplementär mit dem sagenumwobenen Aufstieg der FPÖ. Von 1985 bis 2021 haben sich die Wähler*innenstimmen bei der SPÖ mehr als halbiert und die ÖVP hat sich nahezu gedrittelt. Während die FPÖ sich versiebenfacht hat. Sieben gesellschaftliche Weltwunder sind ausgeblieben. Der Standard hat dies kürzlich als „blaues Wunder“ bezeichnet und den Bürgermeister Dr. Andreas Rabl gar mit sozialistischen Zügen gezeichnet.
Was hat sich verändert?
Das Amt wurde umgefärbt und die Verwaltung bekam einen privatwirtschaftlichen Schub mit einer als Strukturreform verkauften Rationalisierung. Das Marketing wurde professionalisiert. Wenig hat sich an der politischen Praxis geändert, die „eigene“ Klientel zu befrieden und Probleme schön zu reden.
Die Welser*innen sind Werbeempfänger*innen. Sie haben das Steueraufkommen zu leisten und sind nach wie vor konfrontiert mit gesellschaftlichen Herausforderungen, die nunmehr steigende Beträge aufweisen. Die Folgen: eine in Wels besonders stark sinkende Wahlbeteiligung und eine weiterhin gute Saison für Populist*innen.
Was fehlt?
Vielen Welser*innen fehlt es an Mut, Missstände öffentlich anzusprechen oder gar Kritik zu üben. Der Schriftsteller Stefan Kutzenberger, der 2018/19 als Stadtschreiber in Wels arbeitete, schrieb über „die Welser“, dass sie zurückhaltend seien. Er habe viele Geschichten und selten das OK gehört, darüber schreiben zu dürfen. Andere Kenner*innen der Stadt haben mir erzählt, dass das „Harmoniebedürfnis“ stark ausgeprägt sei. Meine Erfahrung ist, dass viele ihr eigenes Süppchen kochen und Neid zur ehrlichsten Form der Anerkennung gehört.
Ich denke, Wels braucht ein Mehr an Diskursen, die das Eigene wie das Andere sachlich aufeinander beziehen und gesellschaftlich produktiv machen können. Dazu gehört eine gesündere Definition von Begriffen wie „Effektivität“, „Sparsamkeit“, „Leistung“. Diese Begriffe werden häufig und insbesondere von Rechts in die Diskussion geworfen. Spannend wäre ein Austausch darüber, was unterschiedliche Personen darunter verstehen und was man noch damit meinen könnte. Wels braucht grundlegende Alternativen zu Mustern und Haltungen, die die Gesellschaft aushöhlen.
Wie kann Beteiligung gelingen?
Diese Frage entscheidet sich zentral über alltagskulturelle Qualitäten, wie sie beispielsweise im FreiRaumWels gepflegt werden. Zu den Kernformaten gehört das Philosophische Cafe, das seit 2016 besteht. Monatlich kommen zwischen zehn und zwanzig Menschen zusammen: Arbeiter*innen und Akademiker*innen, jung und alt, unterschiedliche Geschlechter, … Sie alle beleuchten virulente Themen und machen das, was in einer Demokratie zur Voraussetzung gehört: Sie pflegen eine Kultur der Kritik.
Expert*innen der Lebenswelt(en) sollen sich als handlungsfähige Bürger*innen begreifen. Macht und Parteipolitik stehen dem entgegen. Besonders die Lokalpolitik ist eigentlich prädestiniert für Sachpolitik und ein Miteinander. Denn wenn die Sache im Vordergrund steht, ist Einigkeit leichter zu erzielen.
Eine meiner eigenen Initiativen ist die im Aufbau befindliche Online-Plattform Politik-im-Blick.at, mit der Welser Gemeinderatsprotokolle als Wissensbestände zugänglich gemacht und aufgewertet werden.
Die Rolle von Kunst und Kultur
Kunst und Kultur kann nicht umhin, sich mit gegebenen Verhältnissen auseinanderzusetzen. Kunst schafft Bewältigungs- und Artikulationsräume und gibt Impulse. Kulturpolitik muss solide sein, weil sie das Rückgrat der Gesellschaft stärkt.
Mit Hilfe von Außen und Innen und in Reibung zu den Widersprüchen, die wir alle erleben.